Redebedarf?

Ein Gastbeitrag von Susannah Winter

Es lässt sich nicht mehr beschönigen: Die AfD ist im Aufwind.

Der Populismus der Rechtsnationalen, er verfängt in den Köpfen derer die sich abgehängt sehen oder wahlweise in Angst und Panik verfallen bei dem Gedanken an ein Deutschland, das sich „abschaffen“ könnte. Kein rein deutsches Phänomen, eher ein Produkt zunehmender Wohlstandsschieflage, eine systemimmanente Problematik. Gerade auch die etablierten Parteien haben lange genug an eben dieser Angst gearbeitet, spielten mit Ängsten, wenn sie Armutsdrohkulissen etablierten, die Schlangen vor den Tafeln lang und länger werden ließen, Bilder von Alten und Armen salonfähig machten, die sich mit dem Wühlen nach Pfandflaschen im Müll ein paar Euro zum Aufstocken oder gar dem zusammengekürzten Existenzminimum ein paar Euro dazuverdienten und als Reaktion höhnisch Pfandringe forderten.

Das Damoklesschwert der drohenden Not, es fand sich  in den Beteuerungen, die Rente sei nur noch sicher so man denn selber Vorsorgen träfe (und nicht zuletzt damit Geld in die Taschen der Privatwirtschaft spülte), ohne auch nur annähernd ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass zehn Prozent der Bevölkerung am Existenzminimum leben und Vorsorge keine Willens- oder Entscheidungsfrage darstellt. Ein Mensch mit einem Tagesbudget von durchschnittlich 7 Euro am Tag ist froh, wenn am Ende des Monats noch etwas Essen im Kühlschrank ist. Den quälen vielleicht des Nachts diffuse Altersängste, aber ihm scheint wichtiger, dass die Kinder auch morgen früh noch ein Frühstück auf dem Tisch haben. Das Spiel mit der Angst war dauerpräsent in den unzähligen Polit-Talk-Sendungen, den BILD -,Welt-, SZ-Artikeln (um nur einige zu nennen), die mal  mehr mal weniger subtil ihren Abscheu und Ekel vor Arbeitslosen kundtaten, selbstverständlich nie den Hinweis vergessend, dass diese grundsätzlich eher „bildungsfern“ seien, „sozial schwach“. Breite Teile der Presse, Politiker und Moderatoren übernahmen diesen Duktus. Dass es einen Unterschied zwischen „sozial schwach“ und „finanziell schwach“ geben könnte schien niemandem aufzufallen, so er denn nicht selber betroffen war.

Sprache formt Bewusstsein, Bewusstsein Sprache. Die Verachtung, die so gekonnt gesponnen und etabliert wurde, sie traf die, die sie treffen sollte. Wer einen Job hatte, egal wie unterbezahlt, er wollte ihn dennoch um jeden Preis behalten.

Politiker wie Arbeitgeber begannen, Hand in Hand die Mittel zur Gegenwehr – Gewerkschaften, Betriebsräte, Streikrecht – einzudämmen, während sie mit dem Job als Status an sich, mit der Drohkulisse „Arbeitslosigkeit“ und „Verachtung“ zeitgleich den Willen unterbanden, an diesen Mitteln festzuhalten. Politik, die man im schlimmsten Falle von der FDP und konservativen Teilen der CDU/CSU erwartet hätte, sie wurde vorrangig von Grünen und Roten vorangetrieben, den Parteien, die man üblicherweise im „linken“ Spektrum verortet hätte, vormals für die Stellvertreter der Arbeitnehmerschaft hielt.

Der „kleine Mann“, wie er so despektierlich genannt wird, er mochte die eigene Ausbeutung in Zeiten wachsenden Bruttoinlandsproduktes nicht mehr mittragen. Er sah sich in einer Politik der „Alternativlosigkeit“ nicht mehr repräsentiert, sah die Sozialdemokraten seine Interessen unterwandern, sah in einem Klima wachsender Existenzangst die „Fremden“ noch um einen Platz am Futtertrog bitten, der am unteren Ende der Nahrungskette, unter Geringverdienern, Rentnern, Aufstockern schon umkämpft genug schien. Und selbstverständlich hatte auch die Mittelschicht zu fürchten begonnen. Die Mittelschicht schrumpft, trotz aller Bekenntnisse der Parteien, in ihr die „Mitte“, die „Leistungsträger“, eine relevante Wählerschaft zu verorten. Auch an ihr ist die Drohung, möglicherweise irgendwann, bei mehr Konkurrenz, mehr Menschen, die beschäftigt, untergebracht, versorgt werden wollen, vielleicht selbst ins Prekariat abzurutschen nicht spurlos vorübergegangen. Auch sie spürt seit Jahren wachsenden Druck und damit das Bedürfnis, einen Schuldigen auszumachen.

Und dann ist da noch die Gruppe an Menschen, die auch den Kern der AfD ausmacht. Wirtschaftsliberale Geister, die eine Entpflichtung der Besserverdiener anstreben. Abkehr vom Solidaritätsprinzip zulasten der Wählerschaft, die man mit markigen Parolen um Patriotismus und „Wir-das Volk“- Parolen geködert hat. Abschaffung der Erbschaftssteuer, Einschränkungen im Sozialwesen – Die AfD kann in ihrem Positionspapier all dies fordern, solange sie es nicht kommuniziert. Sie fasst an radikalen Ideen zusammen, was SPD, CDU, Grüne, FDP in den letzten Jahren begonnen haben: die Abkehr vom Sozialstaatsprinzip. Ihre Wähler nicken zustimmend, solange sie dafür einen Sündenbock geliefert bekommen, Schuldige am Verlust dessen, was „verdient“ schien, Schuldige für die veränderte Gesellschaftslage, für den Verlust von Sicherheiten.  Inklusive der Erlaubnis, Dinge von sich geben zu können,  die man „wohl noch sagen dürfen muss“. Schießbefehle, Schuldzuweisungen, Menschenverachtung werden postuliert und unter dem Deckmäntelchen der „Meinungsfreiheit“ versteckt.

Nun könnten die „etablierten“ Parteien zurückrudern, könnten bemerken, dass Rechtsruck und Ängste, Abkehr von Demokratie und Volksparteien auch hausgemacht sind. Könnten sich auf einen sozialeren Kurs rückbesinnen, auf die Frage nach gerechteren Löhnen und Sicherheiten für Angstbürger, auf Hilfeinfrastrukturen und einen unaufgeregteren Diskurs in Flüchtlingsfragen. Sie könnten, um die Wogen zu glätten, auf rechtsstaatliche Prinzipien vertrauen, wo Integration auch mal misslingt. Nichts davon scheint dem Gros unserer Volksvertreter dieser Tage in den Sinn zu kommen. Was jedoch wahrgenommen wird, ist der drohende Verlust von Zustimmung und Macht. Da folgt eine Umfrage der nächsten, eine Statistik der anderen und die Panik unter den Polit-Karrieristen greift um sich.

Was tun? Was sagen?

Und wieder folgt einem komplexen, multikausalen Problem das Bedürfnis nach einfachen Antworten. Denn hier sind Politiker nicht anders gestrickt als ein Großteil der Bürger.

So überschlugen sich, auch angesichts der Ergebnisse der letzten Landtagswahlen und der bevorstehenden Bundestagswahlen 2017, die Stimmen von Rot über Grün, von Schwarz über Dunkelrot, man möge doch bitte die AfD nicht „dämonisieren“, stattdessen lieber das inhaltliche Gespräch mit ihr suchen. Man hoffte wohl, die abtrünnige Wählerschaft in dieser Form gnädig stimmen zu können. Nun mag es vor lauter Trubel nicht jedem Abgeordneten aufgegangen sein, aber egal wie diskursfreundlich unsere Gesellschaft sein mag, es gibt Dinge, die nicht zur Debatte stehen. Grundrechte gehören dazu, ebenso Menschenrechte.

Wie sähe so ein „inhaltliches Gespräch“ also wohl aus?

Von Storch/Petry: „Wir müssen im Notfall auch schießen können“ – Grüne/CDU/SPD/Linke: „Könnten Sie uns kurz differenziert darlegen, wie Sie dies umsetzen wollen, damit wir eine Konsenslösung zustande bringen können?“

Wahlweise: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland, Muezzinrufe verboten, Frauen sollten drei Kinder bekommen“ – „Klingt spannend. Verfassungsrechtlich zugesicherte Religionsfreiheit wird sowieso überbewertet und freie Entscheidung über den eigenen Lebensentwurf ist nun wirklich irrelevant. Lassen Sie uns reden“.

Oder vielleicht: „Lassen Sie uns das Grundgesetz verändern: Das individuelle Grundrecht auf Asyl soll in eine institutionelle Garantie des Asylrechts umgewandelt werden.“ – „Oh sicher. Vergessen wir einfach bindende Vorgaben des Völkerrechts. Tolle Idee.“

Schön wäre auch dies: „Inklusion ist ideologisch motiviert und zeigt keine generelle positive Wirkung“ –  „Wie schön, dass Sie uns darauf aufmerksam machen. Wir werden physisch und psychisch Behinderte sofort in die ihnen zustehenden Grenzen weisen“.

Keine Frage: Der Diskurs gehört zu einer Demokratie. Ebenso gehört zur Demokratie aber auch ein Mindestmaß an Rechtsverständnis, Respekt vor individuellen Freiheitsrechten, Respekt vor verfassungsrechtlichen Aspekten, Verständnis für die Unantastbarkeit der Würde des Menschen und seiner Grundrechte. Doch davon lässt sich die AfD nicht leiten. Und es bleibt zu befürchten, dass auch die Populisten (denn Populismus ist mitnichten der AfD vorbehalten) unter den ambitionierten Mitgliedern der etablierten Parteien, die gerade ihre Felle davonschwimmen sehen, diese Grundwerte aufzugeben bereit sind, wenn der Druck der Umfragewerte, die Angst vor Macht- und Einflussverlust groß genug wird.

Die Aufgabe dieser Grundwerte jedoch, auch wenn sie bisher nur rhetorischer Natur ist, ist der Sieg der AfD, lange vor ihrem Einzug in den Bundestag.

 

 

 

 

2 Kommentare

  1. spiderbit

    Schöner Artikel auf den Punkt gebracht, die Frage ist nur wie kann man das lösen.

    Erinnert mich ein wenig an die amerikanische Diskussion, da sind die Reps wahrscheinlich noch rechts von der AfD, sie wollen eine Mauer bauen etc. Schiessbefehl oder wie das heißt wird gar nicht drüber geredet das wird wortlos gemacht auch unter den Demokraten btw.

    Nun aber zur aktuellen Wahl, da steht ja auch ein Trump der zumindest kein katholischer Taliban ist, so gesehen vielleicht aus republikanischer nicht der schlimmste vorstellbare Kandidat, aber close.
    Auf der anderen Seite haben wie Sanders, der vielleicht auf SPD Niveau Politik machen will, bin mir nicht sicher über welche SPD Politik von welchem Jahr und glaub gegen TTIP ist er auch, das wäre dann ja schon darüber hinaus gehend.

    Aber ja auch unser jetziges schlechtes System oder zumindest einige Elemente aus unserem System z.B. eine staatliche Krankenkasse und keine Studiengebühren wäre schon ein riesen Fortschritt für USA.

    Aber dazu wird es nicht kommen, warum weil die gekaufte Politik das Establishment in Washington sich auf Hilary geeinigt hat.

    Nun gibt es ausgerechnet Sanders Wähler, die nicht nur in Swing States nicht für Hilary wählen und stattdessen gar nicht wählen oder für die Grün Kandidatin, nein es drohen sogar nennenswerte Anteile dieser Leute dann Trump zu wählen um Clinton zu verhindern.

    Kurzfristig mag das innenpolitisch wirklich dämlich zu sein, denn unter Trump werden wohl Sozialleistungen eher zurück gefahren und Steuern runter, was der Mehrheit schaden wird.

    Auf der anderen Seite, ist Hilary (zumindest genauso wie Trump) ein pathologischer Lügner und Switcher und sie hat immerhin schon bewiesen dass sie ein Falke ist, sprich Kriegslisten wie noch was.

    Bei Trump ist man zumindest bei letzterem noch nicht sicher. Aber langfristig könnte es natürlich der demokratischen Partei nützen, wenn sie lernen dass sie keinen unbeliebten Kandidaten mehr nach dem Motto Pest oder Cholera bei der Wahl aufstellen können, und der minimal weniger schlimme dann trotz Ablehnung gewählt wird.

    Nun ist die Lage hier anders, man kann auch neben den 2 großen Parteien andere wählen, aber wir haben zum Teil die 5% Hürde, sondern auch andere Probleme.

    Nun bin ich mir sicher dass nicht alle oder die meisten AfD Wähler diese Partei wählen und in Wirklichkeit Progressive oder Linke/liberale sind, aber vielleicht muss es wirklich erst schlimmer werden damit die Leute lernen und beginnen um zu denken.

    Wo ich mit den AfD Leuten zumindest übereinstimme, das keine der aktuellen Parteien die über 5% haben noch zu irgendwas taugen oder irgendwie noch reformierbar sind. Da ist Hopfen und Malz verloren.

    Sicher man kann bei der Linkspartei noch eine Fragezeichen machen, aber sie sieht sich ja auch in der Tradition einer älteren SPD in gewisser Weise, dies ist auch nicht zukunftweisend, ich will niemand der künstlich Arbeit erschafft, die Leute haben nicht das Problem keine Arbeit zu haben, sondern das damit auch das Einkommen weg fällt.

    Arbeit hat jeder, wenn er auf steht macht er erstmal das Frühstück und schon ist er mitten am Arbeiten. Wenn wir Arbeit wollen können wir die Waschmaschinen abschaffen, dann haben wir wieder genügend Arbeit für alle, das ist doch absurd.

    Sicher man kann über fairere Aufteilung von Erwerbsarbeit reden, aber das ist wenn überhaupt nur die zweitrangige Frage nach der faireren und würdigeren Aufteilung zumindest der Einkommen wenn nicht gar der Vermögen (Erbschaftssteuer z.B.).

    Die Piraten war eine Change für eine progressive Alternative für Deutschland das haben zum Teil die Medien zum Teil die Partei selbst verbaut, der Wunsch nach Veränderung und einer Alternative ist berechtigt groß.

    Das es nun sich aber auf eine braune Alternative herausläuft ist schade, aber nochmal vielleicht muss es schlimmer werden bevor es besser wird, was nicht heißt das ich glaube/hoffe das die AfD alleinige Mehrheit bekommt oder bekommen soll.

    In Hamburg oder wo war auch mal ne weile die Schillpartei mit an der Macht, was hat die Partei heute, sofern es sie noch gibt? 1%?

    Was mich dagegen grundsätzlich positiv stimmt, ist das die SPD langsam unter 20% läuft, das ist doch ein positives Zeichen.

  2. Lieber Spiderbit, vielen Dank für Ihren Kommentar.

    „Nun bin ich mir sicher das nicht alle oder die meisten AfD Wähler diese Partei wählen und in Wirklichkeit Progressive oder Linke/Liberale sind, aber vielleicht muss es wirklich erst schlimmer werden damit die Leute lernen und beginnen um zu denken.

    Wo ich mit den AfD Leuten zumindest übereinstimme, das keine der aktuellen Parteien die über 5% haben noch zu irgendwas taugen oder irgendwie noch reformierbar sind. Da ist Hopfen und Malz verloren.“

    Zum ersten Teil: Ja, vielleicht ist das heutige Resultat aus vergangenen Entscheidungen ein notwendiger Lernprozess. Würde nichts passieren, der Kurs hieße ausschließlich „Weiter so“- Warum der Protest von rechts und nicht von links kommt? Weil er erstens die simplere Variante darstellt und zweiten hierarchisch organisiert funktioniert. Zumindest temporär. Die linke Bewegung ist in sich selbst gespalten. Das ist grundsätzlich weit weniger schlimm als es klingt, denn es zeigt ja, dass dort nicht ein paar platte und hohle Phrasen zum Hinterherlaufen reichen, sondern das Programm stimmen muss. Da teilt man sich dann auf und sucht sich seine eigene politische Heimat. Die Rechten hingegen organisieren sich hierarchisch, klar geordnet und strukturiert. Nicht nur repräsentiert das gut ihr „oben – unten“ – Denken, es funktioniert zumindest insofern, als dass man „Protest“ besser organisiert und sich breite, unterschiedlich denkende ( und gelegentlich gar nicht denkende) Massen hinter sich scharen kann. Dass derart hierarchisch organisierte Strukturen nie von Bestand sind, erst in den eigenen Reihen konkurriert wird und schließlich irgendwann auch immer der Aufstand von unten / außen folgt kann uns im Moment jedoch kaum trösten. Zu lernen jedenfalls wäre nicht nur für die Bürger wünschenswert. Die Predigt von „Alternativlosigkeit“ hat die „Alternative für Deutschland“ erst möglich gemacht.

    Im Gegensatz zu Ihnen glaube ich aber daran, dass die großen Parteien reformierbar sind. Tatsächlich bräuchten wir ganz dringend, gerade innerhalb der CDU, den Aufstand der gemäßigt Konservativen, die sich den Populisten der CSU ebenso entgegenstellen wie dem Kurs der Kanzlerin, die klare Ideen mitbringen und den Fraktionszwang wieder eindämmen. Der Selbsterneuerungsprozess innerhalb der Altparteien ist ins Stocken geraten. Karrieristen und Lobbyisten reichen sich die Hände. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, denn Stabilität ist schon wünschenswert.
    Mit freundlichen Grüßen

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