Chemnitz
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Ein Gastbeitrag von Susannah Winter

Der Mob in Chemnitz, er kam mit Ansage.

Kaum war von Medien wie BILD aber auch in sozialen Netzwerken verbreitet worden, ein Mann sei bei dem Versuch, ein Mädchen vor Belästigung zu bewahren, von Ausländern (Herkunft war bis dahin noch nicht bekannt, ebenso wenig die Herkunft des Getöteten) erstochen worden, brachte die rechte Szene ihre übliche Maschinerie ins Laufen. Erst war der Getötete in den Netzwerken ein Deutscher, dann ein Russland-Deutscher. „Einer von uns“ sollte dieses Spiel mit der Herkunft suggerieren. „Einer von uns“ ist von „denen“ getötet worden.

„Denen“, das waren mal wieder alle, die in den Augen der Rechten Nicht-Deutsche waren. Flüchtlinge, Menschen mit Migrationshintergrund. Die Aufrufe zur Versammlung in Chemnitz zogen. Dieser Tage hat jeder Vorfall dieser Art bei Rechten vor allem und vorrangig diesen hübschen Event-Charakter, ist Werbefeldzug in eigener Sache und Chance, den eigenen Hass auf die Straße zu bringen, sich als vermeintliche „Alternative“ ins Spiel zu bringen. Die verhassten „Etablierten“ als unfähig und natürlich als Feind des eigentlichen Volkes zu verkaufen. Und dass es um Hass und nicht um Gerechtigkeit für den Getöteten ging, wurde schnell klar. So wurden Polizisten, die trotz der vorherigen öffentlichen Ankündigung der Veranstaltung in viel zu geringer Zahl vor Ort waren, weil rechte Gewalt noch immer unterschätzt und verharmlost wird, angegriffen und bepöbelt. Auch konnten diese nicht verhindern, das aus der Veranstaltung heraus immer wieder Personen ausbrachen, um unschuldige Menschen anzugreifen, nur weil diese aussahen, als hätten sie einen Migrationshintergrund.

Sippenhaftung durch einen Lynchmob, der „unsere Werte“ verteidigen will, indem er sie aushebelt. Das Recht auf einen fairen Prozess, das Recht auf eine Anhörung. Das Recht des unschuldigen Individuums, nicht in Sippenhaftung genommen zu werden. Zumal man zu diesem Zeitpunkt noch immer keine offiziellen, klaren Informationen über Täter und Tathergang hatte. Aber darum ging es den eifrigen „guten Deutschen“ Mitläufern und Organisatoren nicht.

Es ging um Werbung, um Selbstvermarktung.

Werbung in eigener Sache, um Demonstration der eigenen Stärke, des eigenen Hasses Es ging um eine vermeintliche eigene Überlegenheit, um den Zorn, der auf alles und jeden zelebriert wird, der nicht in ihrem Sinne denkt und spricht. Und vor allem Zorn auf alles, was vermeintlich nicht „deutsch“ ist. Und wer und was deutsch sein kann, will man in diesen Kreisen selbstverständlich auch selber definieren.

Da sieht schnell alt aus, wer nicht in dritter Generation das Land bewohnt und es nur verlässt, wenn er sich auf Mallorca einmal jährlich gönnt, Bier zu kippen zu Musik von Helene Fischer.

Bei dieser Veranstaltung ging es nicht um den Verstorbenen, der, wie nun bekannt wurde, ein antifaschistischer Deutsch-Kubaner war, selber farbig. Hier ging es um Hass auf den Staat, Hass auf den Rechtsstaat, Hass auf alles, was dem rechten Mob (noch) die Stirn bieten mag.

Die Zustimmung im Netz zum braunen Aufmarsch ist groß. Vergessen sind die Werte, die dieses Land tatsächlich erst zu einer lebenswerten Demokratie machen. Vergessen, dass ein Mensch unschuldig ist, bis seine Schuld durch ein ordentliches, unabhängiges Gericht bewiesen wurde. Vergessen, dass auch diejenigen, die am Rande der Veranstaltung angegriffen wurden, weil sie zu farbig waren, Rechte haben und unschuldig sind. Vergessen, dass ein Aushebeln dieser Rechte auch die eigene Rechtslage bedroht. Dass nie eine rechte Regierung etwas auf den Schutz ihrer Bürger gegeben hätte, auf soziale Sicherheiten, auf Solidarität mit Schwachen. (Und noch der aufrechteste, stolzeste Deutsche dürfte irgendwann in ein Alter kommen, in dem Hilfe notwendig wird).

Die Renten steigen nicht, wenn die Ausländer außer Landes gebracht werden. Die Löhne ebenso wenig. Deutschland hat dieses Jahr trotz der Migration einen Rekordüberschuss erwirtschaftet. Kein Ausländer ist schuld daran, dass dieses Geld nicht in höhere Löhne und Renten investiert wird. Kein Migrant ist schuld an der Arbeitslosigkeit, an Hartz IV.

Die Rechten in Chemnitz und im restlichen Land verfolgen nicht das hehre Ziel eines besseren, gerechteren Deutschland mit höheren Renten und Löhnen für alle. Sie verfolgten auf dieser Demo auch nicht das Ziel, dem Getöteten zu gedenken.

Die Rechten verfolgen ihre eigene Agenda.

Die der Eigenwerbung in Sachen Menschenfeindlichkeit. Der erst alles Fremde zum Opfer fällt, dann alles Schwache. Die keinen pluralistischen Diskurs kennt. Eine Agenda, bei der alles als „anti-deutsch“ gebrandmarkt wird, was nicht einheitlich denkt und handelt. Sei es nun die Presse oder das Individuum mit einer anderen Meinung. Unterm Strich verfolgt diese Bewegung den Aufbau eines Regimes, das auf Angst basiert. In dem auch und vor allem Unschuldige immer und ständig Angst haben müssen. Angst, nicht die richtige Kleidung zu tragen, nicht die richtige Hautfarbe zu haben, nicht dir richtige Meinung zu vertreten. Es findet sich hier jene Haltung, die zu Recht am radikalen Islam wie an jeder radikalen Idee geäußert wird. Und sie wird von denen am lautesten vertreten, die vorgeben, als einzige im „Namen des Volkes“ zu schreien, zu hassen.

Wer deutsche Werte vertreten will, der lässt die Justiz ihre Arbeit machen, der attackiert keine Unschuldigen, der wartet Fakten und Tatsachen ab, der hält die Rechtsstaatlichkeit in Ehren, den Minderheitenschutz, den Pluralismus und damit alles, was Demokratie ausmacht. Diese Form des Verfassungspatriotismus‘ wäre eine würdige Vertretung deutscher Werte und Errungenschaften.

Abspann. Dieser Beitrag wurde erstveröffentlicht auf dem Blog von Susannah Winter

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