Vom Nixon-Schock zur Globalisierung
Vom Nixon-Schock zur Globalisierung

Vom Nixon-Schock zur Globalisierung

Ein Gastbeitrag von Matthias Garscha

Die unbeabsichtigten Folgen von Nixons Entscheidung in Camp David ebnen den Weg in eine neue Ära der Globalisierung (Fortsetzung des Beitrags Der Nixon-Schock vom 22. Dezember 2021).

Vorbemerkung

Structural power is “the power to shape and determine the structures of the global political economy … the power to decide how things will be done, the power to shape frameworks within which [actors] relate to each other”. In other words: “Structural power was the power to set the agenda that defined the choice set available to others.” (Susan Strange)

A system governed by unwritten law is not “ungovernance” or a “yawning hole of non-authority.” It is simply a different way to govern. An evolutionary process, relying on the development of informal norms rather than formal rules, is the hallmark of English common law. Increasingly, it is becoming central to international monetary governance as well. (Benjamin J. Cohen)

Im ersten Teil haben wir die Entwicklungen in der internationalen Währungsordnung aus einer US-amerikanischer Perspektive bis zum TV-Auftritt von Präsident Richard Nixon am 15.08.1971 dargestellt. Dafür wurden englischsprachige Originalquellen herangezogen, um einer deutschsprachigen Leserschaft einen Zugang zur angloamerikanischen Forschung zu ermöglichen. Im nun folgenden zweiten Teil werden die in Deutschland ebenso wenig behandelten Verhandlungen zwischen Europa (EWG), Japan und den USA nach dem „Nixon-Schock“ analysiert. Dabei verfolge ich einen Ansatz, der wie in der Internationalen Politischen Ökonomie (IPE), das Ziel verfolgt Politische Wissenschaft, Ökonomie und (Währungs-)Geschichte zu verbinden. Bisher dominierte aus deutscher Perspektive, eine ökonomische Analyse, die Interpretation der damaligen Ereignisse. 

Im Zentrum des zweiten Teils stehen dabei:

  1. die unterschiedlichen Positionen Europas, Japans und der USA bei der Behandlung des Kapitalverkehrs (Kontrollen oder Liberalisierung),
  2. die Nutzung von „Struktureller Macht“ (Dollar als Reservewährung) durch die Vereinigten Staaten um ihre politische Autonomie zu wahren und
  3. der neoliberale Wandel innerhalb der USA (neue Koalition von führenden neoliberalen Entscheidungsträgern, multinationalen Unternehmen und Banken).

Das Scheitern der Initiativen von Europäern und Japanern für eine restriktivere Ordnung in den Verhandlungen bedeutet einen wichtigen Wendepunkt in der Globalisierung der Finanzmärkte. Die Ablehnung von  Kapitalverkehrskontrollen an beiden Enden und der Regulierung des Eurodollarmarkt durch die USA signalisierten das Ende der Währungsordnung von Bretton Woods. 

In der Forschung (International Political Economy) sind die Verhandlungen nicht nur ausgiebig untersucht worden. Sie können sogar als ein Gründungsmoment der neuen wissenschaftlichen Disziplin betrachtet werden. Es ist ein idealtypischer Fall, wo in den Verhandlungen (Formierung einer neuen Währungsordnung) die strukturellen Machtfaktoren für Wissenschaftler besonders deutlich sichtbar werden. Die neuere Forschung der IPE hat zudem wichtige Ergebnisse für die Analyse unserer gegenwärtigen Problemstellungen erbracht. Sie könnten ein wichtiger Ratgeber bei einer zukünftigen Transformation der Währungsordnung sein.

Kommen wir nun zurück zu den historischen Ereignissen, die sich ab Montag, dem 16.08.1971 – also unmittelbar nach Nixons Bekanntmachung im US-amerikanischen  Fernsehen – in den Vereinigten Staaten und in der Welt entwickelten. Unsere heutige Ordnung kann nur verstanden werden, wenn wir die Prozesse, die bei einer strukturellen Machtausübung eine Rolle spielen (Transformation der hegemonialen Währungsordnung), nachvollziehen können.

Reaktionen auf Nixons Ansprache und erste Gespräche mit den Verbündeten 

Noch in der Nacht zum Montag war Paul Volcker nach London geflogen und traf sich mit den Alliierten. Volcker sah in seiner Mission den Anfang eines Prozesses, mit dem Ziel, wieder feste Wechselkurse auszuhandeln. Wenn auch mit neuen Bewertungen und mit etwas mehr Flexibilität in der Fluktuationsbreite der Kurse. Er erklärte ihnen, er sei nicht hier um zu verhandeln, sondern vielmehr um die zentralen Elemente von Nixons Aussagen in der vorigen Nacht zu erklären. Es müsse natürlich Verhandlungen geben und er sei interessiert an den Einschätzungen der Partner. Sein explizites Interesse am Zuhören, statt Vorträge zu halten, stand in starkem Kontrast zur aggressiven unilateralen Handlung, welche die USA gerade angekündigt hatten. Volcker betonte, dass Nixon hier nicht einen Schnellschuss abgefeuert, sondern ein sorgfältig vorbereitetes und integriertes Programm gestartet habe. Volcker erklärte das Ziel, nach dem die USA strebten: Die USA wollten, dass ihre wichtigsten Handelspartner eine Politik verfolgten, die dazu führen würde, dass es zu einem positiven Wandel in der US-Handelsbilanz komme.

Volcker wollte sich nicht in eine Diskussion darüber hineinziehen lassen, wessen Wechselkurs sich wie ändern solle, um einen derartigen Wandel bei den Defiziten der USA hervorzurufen.  Er deutete jedoch an, dass Washington keine Absicht habe, gegenüber Gold abzuwerten, um die erforderlichen Veränderungen zu forcieren. Der Dollar würde weiterhin bei 35$ pro Unze Gold bleiben. Das wiederum bedeutete, dass andere Länder – vor allem  Westdeutschland und Japan – ihre Währungen gegen den Dollar neu bewerten müssten.

Dann wurde er mit den vier großen Bedenken der Verbündeten konfrontiert:

  1. Wann würde die „vorübergehende“ Importsteuer enden?
  2. Wann würden die USA wieder Dollar in Gold auszahlen?
  3. Würden die USA den Dollar bei den jetzigen Werten halten, indem sie sicherstellten, dass Zinsen für Dollar-Halter attraktiv seien?
  4. Die USA verließen sich zu einseitig darauf, dass die Anpassungslasten auf andere Länder fielen. Wenn es um den Dollar und seine Wettbewerbsfähigkeit gehe, würde Washington selbst keine Zugeständnisse machen.

Ebenfalls am  Montag, dem 16. August hielt Nixon ein Treffen ab, um allen Kabinettsmitgliedern, die nicht in Camp David dabei waren (z.B. Außenminister Rogers), mitzuteilen, was beschlossen worden war. Der Präsident betonte, dass die neue Wirtschaftspolitik schon lange ausgearbeitet worden sei und er schon seit Jahren der Meinung gewesen sei, dass Bretton Woods eine neue Grundlage benötige. Die Vereinigten Staaten mussten nun die Führung in den Verhandlung um neue Regeln und Verpflichtungen übernehmen. Nixon, verfolgte aufmerksam die Reaktionen in den USA und im Ausland. Der Präsident verglich die New Economic Policy mit der Öffnung Chinas und begehrte seine Anerkennung als herausragender Führer. Die Reaktionen im Inland waren überwältigend und durchweg positiv. Selbst seine Kritiker von der New York Times und Washington Post zollten ihm ihre Anerkennung für sein tatkräftiges Handeln. 

Spät am Abend des 16. August war Henry Kissinger zurück aus Paris und sprach mit dem Präsidenten am Telefon für etwa fünfzehn Minuten. Er fand Nixon in ausgelassener Stimmung. Kissinger lobte den Präsidenten:

Das Besonders an Ihnen ist, dass Sie nie nur kleine Schlagzeilen machen, Mr. President. Ohne Sie wäre Amerika am Ende.

Kissinger wurde in seinen Memoiren später deutlicher:

Die direkte Bedeutung des neuen Programms war der Effekt im Ausland. Von vielen wurde es als ökonomische Kriegserklärung an die übrigen industrialisierten Demokratien wahrgenommen und als ein Rückzug der Vereinigten Staaten von ihrer vorigen Unterstützung eines offenen internationalen Systems. Es war klar, dass wir auf eine Zeit intensiver Verhandlungen, Konflikt und Konfrontationen zusteuerten.

Kissinger spürte, dass er in dem, was auf die Camp-David-Entscheidungen folgen sollte, involviert sein müsse.

Sein Stab war in höchster Bereitschaft. Der Stabschef des NSC (National Security Council) Robert Hormats verfolgte die Entwicklungen aufmerksam und wurde sowohl von den Kollegen beim State Department als auch von den Vertretern ausländischer Regierungen belagert. Er versuchte, Ihnen zu erklären, was im Weißen Haus und dem Schatzamt vorgeht. Kissinger erkannte die weitreichende Bedeutung der Entscheidung für das Ausland und organisierte eine Telefonkonferenz mit zwei erfahrenen und vertrauenswürdigen Beratern außerhalb der Regierung. Sie sollten herausfinden, was Kissinger zu Nixon, Connally und Burns sagen sollte. Das Gespräch dauerte sieben volle Stunden. Sie diskutierten jeden Aspekt der Entscheidung vom 15. August und die Implikationen für die Internationale Ökonomie und die Außenpolitik. Unter den Top-Ergebnissen war die Notwendigkeit für konstruktive multilaterale Verhandlungen anstelle einer jeweils bilateralen Nötigung jedes betroffenen Landes durch die USA. Weit oben auf der Liste stand die Gefahr, die von der zusätzlichen Importsteuer ausging, sowie die Gefahr für das Handelssystems als Ganzes, wenn diese zu lange erhoben würde. Kissinger wurde von seinen Beratern aufgefordert ein zentraler Player in den anstehenden monetären Verhandlungen zu werden.

Aktivitäten im Kongress

Ab Donnerstag, dem 19. August, und bis weit in den Herbst hinein fanden eine ganze Reihe Sitzungen verschiedener Kongressausschüsse zur neuen Wirtschaftspolitik Nixons statt. Das Joint Economic Committee, das sowohl Senatoren als auch Mitglieder des Repräsentantenhauses umfasst, war derjenige Ausschuss, der sich besonders mit der Situation des internationalen Währungssystems und der Leistungsbilanzen auseinandergesetzt hatte. Es war der erste Ausschuss, der nur vier Tage nach Nixons Ankündigungen die erste Anhörung abhielt und in dreizehn weiteren Sitzungen bis Donnerstag, dem 23. September am Thema dran blieb. Dieses Komitee hatte weitreichende Zuständigkeiten, die nicht nur die internationale Wirtschaftspolitik der USA betrafen, sondern auch Fragen der Lohn- und Preiskontrolle umfassten, und es musste sich nun mit einer ganzen Reihe an Fragen beschäftigen, die die neue Wirtschaftspolitik hervorrief.

Das Subcommittee on International Trade des Senats, ein Unterkomitee des Senate Committee on Finance, hielt am 13., 14. und 21. September Anhörungen ab, die sich mit der Wettbewerbsposition der USA in der Welt beschäftigten. Das House Subcommittee on Foreign Economic Policy, ein Unterkomitee des Foreign Affairs Committee des Repräsentantenhauses, hielt am 16. und 21. September Anhörungen ab, die sich mit außenpolitischen Fragestellungen der neuen Wirtschaftspolitik beschäftigten.

Obwohl beide Kongresshäuser durch die Demokraten geführt waren, gab es  große Unterstützung für das Gesamtpaket, das Nixon am 15. August angekündigt hatte. Es herrschte die Meinung vor, dass der Präsident außergewöhnlich mutige und notwendige Schritte gesetzt und ein umfassendes Paket angekündigt hatte, das nationale und internationale Wirtschaftspolitik integrierte.

Während der ersten Sitzung des Joint Economic Committee am Donnerstag, dem 19. August, schlug Senator William Proxmire (Demokrat aus Wisconsin), der selbst nicht als Fan der Nixon-Regierung betrachtet werden kann, den Ton für die kommende Anhörung an:

Heute beginnt das Komitee eine der wichtigsten Anhörungsreihen seiner Geschichte. Der Präsident hat jüngst eine dramatische Änderung in der Wirtschaftspolitik dieses Landes angekündigt, eine Änderung die aus der passiven Wirtschaftspolitik dieser Nation eine aktivistische macht. Der Präsident hat etwas angekündigt, das ich einen ökonomischen Paukenschlag nennen möchte.

Proxmire fuhr mit einem leidenschaftlichen Monolog darüber fort, wie wichtig es nun sei, der Öffentlichkeit verständlich zu machen, was auf dem Spiel stand.

Der Dollar ist unsere Währung, aber er ist euer Problem

In der Woche nach Camp David hielten John Connally und Paul Volcker ein Treffen im kleinen Kreis mit externen Experten ab, die schon in der Regierung gearbeitet und viel Erfahrung in internationalen Wirtschaftsfragen hatten. Connally begann das Treffen mit einer prägnanten Frage:

Okay. Ihr wisst was wir getan haben. Was machen wir jetzt?

Mit welchem Ziel sollte man sich mit den empörten und geschockten Verbündeten wieder zusammen an einen Tisch setzen? Conally plädierte für eine harte Verhandlungsstrategie. Den Partnern sollten wenn möglich bilateral Zugeständnisse abgerungen werden. Der Finanzminister betonte:

Die anderen versuchen uns reinzulegen, also müssen wir Sie zuerst aufs Kreuz legen.

Am Donnerstag, dem 9. September, erschien Präsident Nixon vor beiden Häusern des Kongresses um seine neue Wirtschaftspolitik vorzustellen. Die Abgeordneten nahmen seine Rede sehr wohlwollend auf und stimmten der Politik des Präsidenten applaudierend zu.

Mitte September traf sich Connally in London mit anderen Finanzministern und Zentralbank-Chefs aus Westeuropa und Japan. Obwohl Volcker sich mit seinen Amtskollegen schon im August und nochmal im frühen September getroffen hatte, war diese Zusammenkunft das erste Treffen der Verbündeten mit Connally seit dem Camp-David-Wochenende. Die Versammelten wurden die Zehnergruppe (G10 / Group of Ten) genannt, eine Versammlung der größten und mächtigsten Länder in Westeuropa plus die Vereinigten Staaten, Kanada und Japan. Die Medien bewerteten das Treffen als einen Fehlschlag. Es wurde berichtet, das Connally den Vertretern der Verbündeten gesagt hatte, dass er keine Absicht habe, seine Position auch nur „um ein Jota“ zu ändern, bis die amerikanischen Forderungen erfüllt seien. Berühmt wurde sein Ausspruch: 

Der Dollar ist unsere Währung, aber er ist euer Problem.

Nixon unterstützte Connally und meinte, dass der Finanzminister sich nicht um die Kritik aus bestimmten Kreisen kümmern solle. Der Präsident erinnerte alle daran, dass die Welt der Währungen von einer Krise zur nächsten schlittere und dass auch wenn die Zentralbanker zum Status Quo zurückkehren wollten, dies nicht möglich sei.

Sowohl Nixon als auch Connally schienen überzeugt, dass die USA in einer starken Verhandlungsposition waren, aus der sie die Konditionen diktieren  könnten. Connally meinte, dass keine großen Zugeständnisse erforderlich seien:

Wir müssen uns vor Augen halten, dass jeder Zugang zum US-Markt möchte. 

Und weiter: 

Wir müssen keinen Handelskrieg befürchten, weil sie ihn sich nicht leisten können.

Doch die Strategie, bilateral mit den Staaten einzeln zu verhandeln, ohne eigene Zugeständnisse in Erwägung zu ziehen, sollte sich als schwerwiegende Fehlkalkulation der beiden erweisen. 

Konflikte in der Regierung und die IWF-Jahrestagung

Innerhalb der Regierung begann nun ein Kampf zwischen denjenigen, die nach einer bedeutenden Neujustierung eine Rückkehr zu festen Wechselkursen bevorzugten, und denjenigen, die zu freien Wechselkursen übergehen wollten. Eine weitere Auseinandersetzung gab es zwischen Außenpolitikern und dem Finanzministerium. Erstere fürchteten um die Stabilität der politischen und militärischen Allianzen, wenn die USA international wirtschaftlich rücksichtslose Machtpolitik betreiben würden, wie das Schreckgespenst fortdauernder Einfuhrzölle bei gleichzeitiger Weigerung einer formalen Abwertung des Dollars. Finanzminister Connally andererseits hielt konfrontatives Vorgehen für unausweichlich, um die amerikanischen Ziele zu erreichen. Diese internen Kämpfe begannen unmittelbar nach dem 15. August und nahmen während des Septembers an Intensität zu.

Ein Beispiel für den Zwist innerhalb der Regierung gab es Ende September, am Abend des jährlichen IWF-Treffens, einer Versammlung weltweiter Top-Banker und Spitzen-Bediensteter von Finanzbehörden. Kurz bevor die IWF-Tagung in Washington begann, hatte Shultz Connally in sein Haus eingeladen. Auf Shultz‘ Wunsch war auch Milton Friedman anwesend, der führende Verfechter flexibler Wechselkurse in den Vereinigten Staaten. Der Direktor des Office of Management and Budget  nahm sich fest vor, Finanzminister Connally zu überzeugen, seinen Kurs zu ändern. Aus Shultz’ Sicht gab es nun eine einzigartige Gelegenheit, das neue Regime freier Wechselkurse zu etablieren. In der entspannten und vertraulichen Umgebung seines Hauses versuchten Friedman und er, Connally von der Idee freier Wechselkurse zu überzeugen. Connally wollte sich jedoch nicht festlegen und legte Shultz nahe, mit Volcker zu sprechen.

Shultz wusste, dass sowohl Volcker als auch Burns eine Rückkehr zu festen Wechselkursen anstrebten, wenngleich nach einer Neujustierung der Währungsrelationen, insbesondere mit einer Neubewertung der Westdeutschen Mark und des japanischen Yen. Für Shultz war dies jedoch nur ein schlechte Kopie der Vereinbarung von Bretton Woods. Er hoffte vielmehr auf eine klare Abkehr von festen Wechselkursen und bevorzugte es, alle Wechselkurse dauerhaft frei floaten zu lassen. Shultz war überzeugt, dass auch Nixon eindeutig in diese Richtung wollte oder es zumindest unterstützen würde.

Shultz kontaktierte Volcker und präsentierte einen neuen Entwurf für eine Rede, die er für Connally geschrieben hatte. Darin wurde für freie Wechselkurse argumentiert, und diese wurden als ein Ziel für die USA dargestellt. Am Vorabend der Rede saßen Volcker und Shultz in einer Suite im Sheraton Park Hotel, in dem die IWF-Tagung stattfand, und diskutierten bis spät in die frühen Morgenstunden über ihre jeweiligen Rede-Entwürfe und die ihnen zugrundeliegenden Konzepte. Keiner konnte den anderen überzeugen. Die beiden Männer entschieden sich, ihre jeweiligen Positionen Connally zu präsentieren. Der Finanzminister entschied sich für Volckers Empfehlung. Es ist sehr fraglich, ob Connally sachlich überzeugt war, doch er verließ sich auf Volckers Expertise und dessen Beziehungen rund um die Welt. Er vertraute ihm in diesen Fragen mehr als irgendjemand anderem in der Regierung.

Die jährliche IWF-Tagung Ende September war Connallys nächste Gelegenheit nach dem zutiefst kontroversen Treffen der Gruppe der 10 in London (Mitte September), die Forderungen der USA darzulegen. In seiner Rede an die IWF-Delegierten machte Connally ein kleines Zugeständnis. Erstmalig skizzierte er die Bedingungen, unter denen die USA bereit seien, die Importzölle fallen zu lassen.

Doch das war nicht genug, seine Rede stieß auf taube Ohren bei Finanzministern und Zentralbankern. Sie wollten den Status Quo ihrer Währungen nicht aufgeben, und sie wollten nicht unter solchem Druck über Handelsvereinbarungen sprechen. Sie verlangten stattdessen eine Aufhebung der Importzölle ohne weitere Bedingungen, da sie die von den USA angestrebte Wende hinsichtlich ihrer Handelsbilanz als höchst ambitioniert bewerteten. Sie waren außerdem überzeugt, dass ein Teil der Abmachung eine Dollarabwertung gegenüber Gold enthalten müsse.

Auf der IWF-Tagung herrschte Einigkeit nur darüber, dass umfassende Reformen in Handelsfragen und ein Lastenausgleich bei den Verteidigungsausgaben getrennt von unmittelbar notwendigen Wechselkursanpassungen behandelt werden mussten. Alle tiefer- und weitergehenden Angelegenheiten wurden aufs Abstellgleis verfrachtet, während die G10-Minister und Zentralbanker die Dollar-Frage zu klären versuchten. In genau dieser Frage jedoch befanden sich die USA und die Alliierten in einer Sackgasse.

Führer der freien Welt

Die wichtigste Frage der amerikanischen Politik lautete nun: Unter welchen Bedingungen könnte Washington ein erneuertes festes Wechselkursregime akzeptieren? Die Antwort darüber würde vom Ausgang einer Auseinandersetzung zwischen Connally und Kissinger abhängen. Die Zukunft von Bretton Woods hing davon ab, wessen Strategie Nixons Unterstützung finden würde. Kissinger aktivierte bei seinen Bemühungen sogar John McCloy (einen der Architekten der Nachkriegsordnung) und wies darauf hin:

Wir steuern auf eine Katastrophe in Europa zu … Wir können nicht 25 Jahre außenpolitischer Aufbauarbeit nur für das Finanzministerium wegwerfen.

Der Sicherheitsberater schilderte Nixon in dramatischen Worten seine Befürchtungen über die Gefahren für das amerikanische Bündnissystem, wenn man weiterhin so unnachgiebig auf die eigenen Forderungen bestehen würde. Das machte Eindruck bei Nixon. In seinem Tagebuch notierte sein Stabschef  Haldeman: Nixon war zunehmend besorgt und betonte:

Es ist essentiell, nicht zu erlauben, dass die Allianz der freien Welt wegen ökonomischer Differenzen und Schwierigkeiten zerstört wird.

Ende Oktober änderte sich langsam die Haltung des Präsidenten. Hatte er bisher Connally gegen alle Kritik verteidigt, war er nun – durch Kissinger beeinflusst – zunehmend über die außenpolitischen Folgen der unnachgiebigen Strategie Connallys besorgt. Kurz vor seinen historischen Reisen nach Peking und Moskau könne er nicht den Zusammenhalt des Westens ruinieren, wollte er als Führer der freien Welt auftreten. Es musste eine Verständigung mit den Alliierten erreicht werden.

Europäer und Japaner hatten den Schock vom August noch nicht verwunden und waren nicht bereit, die amerikanischen Forderungen einfach zu erfüllen. Die Verhandlungen würden schwierig werden, besonders mit den Franzosen. Die Amerikaner wussten, eine Einigung ist nur möglich, wenn sie einen Kompromiss mit Frankreich erreichen würden. Am 23. November bekam John Connally von Nixon den Auftrag, sich mit seinem französischen Kollegen Valéry Giscard d’Estaing bis kurz vor eine Einigung zu verständigen. Die förmliche Einigung würde ihm und Präsident Pompidou vorbehalten bleiben. 

Beim nächste Treffen der G10 in Rom wollten Connally und Volcker sich gegenseitig die Bälle zuspielen, um einen Deal vorzubereiten. Dabei kam es zu einer historischen Szene während der Sitzung. Volcker brachte erstmals den Vorschlag einer Dollar-Abwertung gegenüber Gold vor; sofort unterbrach ihn Connally:

Nun da diese Frage jetzt aufgeworfen wäre: Welches Angebot könnten die USA erwarten, wenn man gegenüber Gold abwerten würde?

Alle in der Runde waren vollkommen überrascht, keiner hatte damit gerechnet. Niemand hatte Instruktionen, wie man darauf reagieren sollte. Eine Stunde lang ergriff niemand das Wort. Die Stille wurde mit jeder Minute unerträglicher, bis der deutsche Finanzminister Karl Schiller anfing zu sprechen.

Ich könnte mir aufgrund des neuen amerikanischen Vorschlags vorstellen die DM um 12%  gegenüber dem Dollar aufzuwerten.

Die anderen Minister folgten darauf mit eigenen Vorschlägen. Der Stillstand schien endlich überwunden. 

Die Mitglieder der EWG trafen sich einige Tage später und bestimmten den französischen Präsidenten Pompidou als ihren Beauftragten, um mit den Amerikanern zu verhandeln. Bei dem Anfang Dezember stattfindenden Treffen auf den Azoren zwischen Präsident Nixon und dem französischen Präsidenten Pompidou wurde nochmal hart verhandelt. Nach zwei Tagen wurde die Öffentlichkeit über die Einigung der beiden Staatschefs informiert. Beim nächsten G10-Treffen der Finanzminister Mitte Dezember in Washington würde man sich zusammensetzen und ein neues Abkommen schließen. 

Smithsonian-Abkommen 

Die wichtigsten Ergebnisse des Abkommen, das im Smithsonian Museum in Washington unterzeichnet wurde, waren die folgenden Punkten:

Der japanische Yen wurde um 16,9% und die DM um 13,9%  gegenüber dem Dollar aufgewertet. Die Dollar-Parität zum Gold wurde von 35 auf 38 Dollar für eine Unze Gold verändert (Dollarabwertung). Die Franc/Pfund-Parität blieb unverändert. Beide Währungen werteten gemeinsam  8,5% gegenüber dem Dollar auf. Für die kleineren Staaten wurden ebenfalls neue Paritäten vereinbart. Die Bandbreiten wurden gegenüber Bretton Woods von 1% auf 2,25% ausgeweitet. Wichtig war, dass die Europäer den USA gemeinsame Interventionen bei der Verteidigung der neuen festen Wechselkurse und die Aufrechterhaltung der Kapitalverkehrskontrollen abgerungen hatten. Eine Gold-Einlöseverpflichtung gab es hingegen nicht mehr. Der einseitig verhängte Importzoll der USA wurde aufgehoben. Das Interregnum im Währungssystem, das seit dem 15.08.71 bestanden hatte, war zu Ende.

Nixon war zufrieden: Stolz verkündete er gegenüber der Presse:

Das bedeutendste Währungsabkommen seit dem Krieg ist erreicht worden. 

Auch die Außen- und Sicherheitspolitiker waren erleichtert. Sie begrüßten die Einigung, die den Zusammenhalt des Westens vorerst wiederhergestellt hatte. Der Kongress ratifizierte das Abkommen am 24.04.72. Es trat am 9.5.72 in Kraft. Für George Shultz jedoch war das Abkommen ein unbefriedigender Abklatsch von Bretton Woods. Und auch Paul Volckers Kommentar war prophetisch: Gegenüber einem Vertrauten bemerkte er:

Das hält keine 3 Monate.

Entscheidende Wende (Die Stunde der Ökonomen)

Die gefundenen Lösungen erwiesen sich schnell als unzureichend. Die Abwertung des Dollars war zu gering, um die amerikanischen Probleme in der Leistungsbilanz zu beheben. Und die Spekulanten würden alsbald die neuen Paritäten testen. In der US-Administration begannen im Januar erneut die Spannungen zwischen den Befürwortern der Durchsetzung nationaler Vorteile und den Unterstützern einer weitgehenden Liberalisierung. Nixon und Kissinger waren mit ihren historischen Reisen nach Peking und Moskau beschäftigt und überließen die weitere Entwicklung John Connally und George Shultz. Die Angelegenheit blieb einige Monate in der Schwebe. Connally, ein Demokrat, war schon immer ein Fremdkörper in der Administration gewesen. Er verdankte seine bisherige Position im Kabinett der guten Beziehung zum Präsidenten. Nun verlor er zunehmend an Rückhalt bei Nixon. Am 9. Mai 1972 gab der zunehmend isolierte Connally auf und trat als Finanzminister zurück.

Die Europäer hatten kurz zuvor im April 1972 ihren ersten Wechselkursverbund, die sogenannte „Währungsschlange im Tunnel“ gegründet. Darin wurden geringere Bandbreiten der Währungen in der Gemeinschaft definiert als im Smithsonian-Abkommen. Ziel war der Schutz des Gemeinsamen Marktes und ein koordiniertes Vorgehen der Mitglieder der EWG gegenüber den Vereinigten Staaten. Doch die Einigkeit der Europäer würde bald auf eine harte Probe gestellt werden. 

Im Juni 1972 übernahm George Shultz, ein Anhänger von Milton Friedman, das Finanzministerium. Er war der erste Ökonom auf dieser Position. In den letzten Monaten hatte er mit seinen Vorschlägen den größten Einfluss auf den Präsidenten gehabt. Von allen Entscheidungsträgern hatte er als einziger einen kohärenten Plan. George Shultz erklärte hinsichtlich zukünftiger Währungskrisen gegenüber dem Präsidenten:

Wir tun gar nichts! Nun ist es an der Zeit, die Festsetzung der Wechselkurse den Märkten zu überlassen. 

und weiter:

Ich denke, niemand sollte sich dazu aufschwingen, die Wirtschaft lenken zu wollen. Ich denke, wir sollten grundsätzlich davon ausgehen, dass unsere Wirtschaft sich selber lenkt!

Kurz nach seiner Vereidigung beauftragte er Paul Volcker, einen neuen Plan auszuarbeiten (Plan X). Dieser sollte mehr Flexibilität ermöglichen, um auf Krisen zu reagieren. Der Plan war ein Zwischenschritt auf dem Weg zu seinem Ziel flexibler Wechselkurse, der eine Mischung von festen Wechselkursen mit regelmässigen Anpassungen vorsah. Es handelte sich um einen Vorschlag, den Europäer und Japaner umgehend ablehnten. Shultz war zwar im Umgang mit den Verbündeten deutlich diplomatischer als sein Vorgänger. Doch er verlor dabei niemals seine Ziele aus den Augen  

Die entscheidende Wende hin zu flexiblen Währungskursen begann im Sommer 1972, als die Finanzmärkte anfingen, die Paritäten zu testen. Die Briten kamen als eine der schwächsten Währungen im System sofort unter Druck. Die britische Regierung wollte den Fehler von 1967 nicht wiederholen, und gab aus innenpolitischen Gründen die Verteidigung des Wechselkurses des Pfundes überraschend schnell am 23.06.1972 auf. Die Briten schieden damit zugleich aus dem Europäischen Wechselkursverbund aus. Den Preis des Pfundes bestimmten von nun an die Finanzmärkte. Aufgrund der Tonbandaufzeichnungen des Watergate-Skandals haben wir hier einen Einblick in die Gedankenwelt des Präsidenten von unschätzbarem Wert. Als Halderman den Präsidenten darüber informiert, dass Großbritannien das Pfund abgewertet habe, meint Nixon:

Das ist mir egal. 

Doch Haldeman blieb hartnäckig und zitierte Arthur Burns mit der Prognose, Italien könne der nächste sein. Darauf antwortete Nixon mit der Bemerkung:

Die Lira ist mir scheißegal.

In der anschließenden Währungskrise gelang es Arthur Burns und Henry Kissinger ein letztes Mal, Finanzminister Shultz zu gemeinsamen Interventionen zu bewegen. Die seit Camp David eingestellten SWAP-Linien zwischen den Zentralbanken (Währungstauschgeschäfte) wurden wieder aktiviert. Daraufhin gelang es den Verantwortlichen, den Devisenmarkt wieder zu stabilisieren. Doch schon im Juli erhielt die New Yorker FED eine direkte Anweisung aus dem Finanzministerium, in der ihr mitgeteilt wurde, alle Marktinterventionen sofort einzustellen.

Nach dieser erneuten Krise erkannten Kissinger und Nixon, das weitere Reformen notwendig waren.

We can’t afford a blow up in the monetary area. Without reform there will be a bow up. (Kissinger)

Trotz des Übergangs von Connally zu Shultz blieb Nixons Priorität die Wiederherstellung der amerikanischer Weltmachtstellung, Doch der neue Finanzminister erkannte auch, dass Nixon endlich Ruhe an der Währungsfront haben wollte. 

Doch zunächst verschob sich die Anpassungslast auf die anderen Mitglieder des Smithsonian-Abkommens. Der deutsche Finanzminister Karl Schiller musste am 2.7.72 zurücktreten, weil er nicht mehr die Unterstützung von Bundeskanzler Brandt für ein weiteres Floating der DM erhielt. Brandt und der neue Finanzminister Helmut Schmidt erkannten, dass man Rücksicht auf Frankreich nehmen musste, wenn man die Europäische Gemeinschaft erhalten wollte. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Finanzministern Schmidt und Giscard ermöglichte es, dass in dieser schwierigen Phase die erzielten deutsch-französischen Kompromisse die Europäische Gemeinschaft vom Scheitern bewahrten.

Europäer und Japaner forcierten jetzt in der G 10 und beim IWF den Vorschlag, gemeinsame Kapitalkontrollen durchzuführen, und forderten zusätzlich zum ersten mal die USA auf, koordiniert den Eurodollarmarkt zu regulieren. Die Vereinigten Staaten verweigerten, obwohl total isoliert, die Zustimmung für beide Forderungen. Sie erkannten, dass Sie über die strukturelle Macht verfügten, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Finanzminister Shultz wartete geduldig darauf, daß die Saat seiner Strategie aufging und das Abkommen vom Dezember hinfällig wurde. George Shultz würde später bemerken:

Die U.S.-Offiziellen hatten eine Allianz mit den Märkten geformt, um das Verhalten der ausländischen Entscheider zu ändern.

Bei der IWF-Tagung im September 1972 hatte Shultz erstmalig von einem neuen Regime flexibler Wechselkurse als Basis eines zukünftigen Währungssystem gesprochen (die Rede soll angeblich von Milton Friedman geschrieben worden sein). Im Februar 1973 erhöhte er den Druck. Mit der Ankündigung, die Kapitalverkehrskontrollen zum 1.12.74  in den USA zu beenden, gelang es dem Finanzminister erneut, geschickt die Erwartungen an den Devisenmärkten zu beeinflussen und die Spannungen zu erhöhen. Die Anrufe seines deutschen Amtskollegen ließ er unbeantwortet. Verzweifelt beschwerte sich Helmut Schmidt bei Henry Kissinger über das Verhalten der Amerikaner.

In seiner Rede an die Nation im Februar 1973 vor dem Kongress, erwähnte Nixon zum ersten mal öffentlich seine Unterstützung für eine liberalisierte Währungsordnung. Zwar gab es noch immer unterschiedliche Ansichten in der US-Administration über die weitere Vorgehensweise. Doch nun dominierte das Finanzministerium unter Shultz (mit der Rückendeckung durch den Präsidenten)  die Politik gegenüber der FED (Arthur Burns) und dem NSC (Henry Kissinger) und bestimmte weitgehend die Agenda. Um die Außenpolitiker zu beschwichtigen, schickte man Paul Volcker im Februar 1973 noch einmal in Verhandlungen mit Europäern und Japanern. Dieser bekannte später:

Niemand, und ganz gewiss kein Grüppchen Unterstaatssekretäre, würde ein neues Währungssystem auf die Beine stellen.

Das Ende von Bretton Woods

Der Präsident hatte die Nase voll davon, über Wechselkurse nachzudenken.

An einem reformierten Währungssystem interessierte ihn einzig und allein, dass er einfach keine Krisen mehr wollte. Das sagte er mehr als einmal in meinem Beisein. (Volcker in seinen Memoiren)

Im Februar 1973 ließ Shultz seinen Unterstaatssekretär vier Tage lang auf die Japaner und Europäer einreden, um eine weitere Abwertung des Dollar hinzunehmen. Die Vereinbarung hatte einen Monat Bestand.

Schon im Januar geriet die Schweiz durch die Wechselkursfreigabe der Italiener unter Druck und ließ – wie schon zuvor die Briten – ihre Währung frei floaten. Im Februar wurde ein Rekord-Handelsdefizit der USA in 1972 veröffentlicht und die Inflation erreichte neue Höchststände. Der Eurodollar-Markt war im letzten Jahr um 37% gewachsen und umfasste nun 98 Mrd. Dollar (7 1/2 mal soviel wie die US-Währungsreserven). Erneut kam es zu einer regelrechten Flucht aus dem Dollar. Viele Staaten erkannten nun, dass die Vereinigten Staaten kein Interesse mehr an der Aufrechterhaltung des Smithsonian-Abkommen hatten.

Anfang März 1973 wurden die Devisenmärkte geschlossen. Jetzt kam es wieder zu einem historischen Moment, wo vieles hätte anders verlaufen können! Der deutsche Bundeskanzler Brandt erkannte in der Krise eine Chance für eine weitgehende europäischen Integration und präsentierte Präsident Nixon einen Vorschlag: Entweder er akzeptiere das Streben der Europäischen Gemeinschaft nach einer stabilen regionalen Währungsordnung oder er führe wieder gemeinsame Interventionen ein, die zuvor von den Amerikanern eingestellt worden waren. Das war für einen deutschen Kanzler ein starker Zug und ist in Deutschland wenig bekannt. Durch die nun geschlossen auftretenden Europäer (Großbritannien, Dänemark und Irland waren gerade in die EG aufgenommen worden) war die transatlantische Allianz in Gefahr. Die US-Regierung bangte um ihren Einfluss in Westeuropa, denn die britische Regierung unter ihrem pro-europäischen Premier Edward Heath gab der EG den Vorzug gegenüber sentimentaler Special-Relationship-Nostalgie. Selbstbewusst auftretende Europäer waren sicherlich nicht das, was Nixon beabsichtigt hatte, als er das Goldfenster in Camp David geschlossen hatte.

Im Unterschied zu Camp David bestimmten im März 1973 diplomatische Überlegungen das Handeln des Präsidenten und seines Sicherheitsberaters. Beide wollten den außenpolitischen Schaden so klein halten wie nur irgend möglich. Finanzminister Shultz nutzte die Gelegenheit und schlug als Lösung die sofortige Einführung flexibler Wechselkurse vor. Dann behauptete er gegenüber Kissinger:

The problem was straightforward. With the Deutschmark the destination of choice for speculators fleeing the dollar, successful dollar defense would require the Bundesbank’s full co-operation … But with Bonn having demonstrated a lack of conviction on the subject. 

Das würden die Spekulanten gnadenlos ausnutzen!

Das war schon kühn, die Verantwortung für das Scheitern einer Verteidigung der Dollar-DM Parität, Bonn zuzuweisen. Dabei hatte doch gerade Shultz dafür gesorgt, dass die Interventionen eingestellt wurden. Doch in diesem Zusammenhang wird ein wichtiger Sachverhalt deutlich: Die schwächere Währung, aus der Kapital flieht, hat eine Devisenbeschränkung und kann nur zusammen mit der gewollten Geldschöpfung der Zentralbank (hier der Bundesbank) des Landes, in dessen Währung das Geld hineinfließt, verteidigt werden. Wenn beide Seiten in diesem Sinne kooperieren, und sich vertrauen, haben die Spekulanten keine Chance. Doch in der BR Deutschland waren monetaristische und neoliberale Kräfte mindestens ebenso an einer flexiblen Währungsordnung interessiert wie ihre amerikanischen Kollegen. Gerade in Deutschland wurde der Währungswettbewerb so etwas wie ein Fetisch unter den Ökonomen. Psychologisch wohl dadurch zu erklären, dass alle anderen nationalen Symbole in Verruf geraten waren.

Obwohl Kissinger in der Krise voll engagiert war, verfolgten er und Shultz unterschiedliche Ziele. Wo der Finanzminister versuchte, das Währungs- und Finanzsystem zu transformieren, versuchten Kissinger und Nixon die politische Stabilität zu bewahren und die Konsolidierung eines europäischen ökonomischen Block zu verhindern.

My basic view: we should not bring about any further European Integration. My reason is entirely political. (Kissinger)

Für Kissinger war ein unabhängiges Floaten der einzelnen europäischen Staaten das Ziel und nicht ein gemeinsames Floaten der ganzen Gemeinschaft. Er bekam fast, aber nicht ganz das, was er wollte.

Das Drama spielte sich jetzt auf der anderen Seite des Atlantiks in der Europäischen Gemeinschaft ab. In den wohl schicksalhaften Verhandlungen zwischen Großbritannien und der BR Deutschland verlangten die Briten genau die unbegrenzte Unterstützung durch die Deutschen, die für eine gemeinsame Verteidigung der Parität notwendig war. Bundeskanzler Brandt wagte es nicht, gegen den Rat des Finanzministeriums und der Bundesbank die verlangten Garantien zu geben. Damit wird deutlich, dass auch die Bundesbank und Finanzminister Helmut Schmidt im März 1973 nicht bereit waren zu einem Integrationsschritt in eine symmetrische (gleichberechtigte) Währungsordnung in Europa. Brandt beklagte später in seinen Memoiren, dass es der größter Fehler in seiner Amtszeit gewesen sei, auf die Expertise dieser beiden Institutionen gehört zu haben.

Den Mitgliedsstaaten der EG gelang es somit nicht, alle ihre Mitglieder bei einer Konferenz des Ministerrats am 11. und 12.03.73 zu einem gemeinsamen Handeln zu bewegen. Die großen Differenzen in der Währungspolitik bedrohten die Zukunft der EG. Der Zusammenbruch der festen Wechselkurs-Paritäten, bedeutete einen schweren Rückschlag für die geplante Europäische Währungsunion (Werner-Plan). Um die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft zu sichern, konnte man sich nur mühsam auf das Notwendigste verständigen. Großbritannien und Italien entschieden sich, gegenüber dem Dollar alleine zu floaten. Der Rest der EG hat gemeinsam im Europäischen Wechselkursverbund (der sogenannten „Währungsschlange“) als Block gegenüber dem Dollar agiert. Die Franzosen waren mit dieser Lösung, die sich fortan in Richtung Ankerwährung Deutsche Mark entwickelte (die Bindung an den Dollar wurde aufgegeben), nicht besonders glücklich und verließen dann auch zweimal (1974 und 1976) den Wechselkursverbund.  In der BR Deutschland erhielt die Bundesbank – nach langem Drängen – von der Bundesregierung die Erlaubnis, den Wechselkurs DM zum Dollar freizugeben. Dies führte zu einer Machtverschiebung innerhalb der Bundesrepublik von der Regierung zur Bundesbank mit weitreichenden Folgen für die deutsche Geldpolitik. Doch auch Politiker wie Schiller und Schmidt folgten damals in gewisser Weise einem DM-Nationalismus, der einer europäischen Einigung im Wege stand.

Das Treffen der G 10 am 15/16.03.73 in Paris besiegelte dann de facto das Ende von Bretton Woods. US-Finanzminister Shultz überließ es den Europäern, frei schwankende Wechselkurse zur Sprache zu bringen, und erklärte sich dann damit einverstanden. Die Strategie von George Shultz hatte sich durchgesetzt. Aufgrund der Tatsache, dass keine internationale Verständigung mehr gelang, entstand ein „unkoordiniertes System“ frei floatender Währungen. Die Offshore-Eurodollar-Märkte wurden von George Shultz geschickt genutzt. Sie erlaubten es ihm, ständig Druck auf Europäer und Japaner aufrecht zu erhalten, bis diese schließlich aufgaben. Einseitige Kapitalkontrollen der europäischen Staaten und Japans erwiesen sich als unzureichendes Instrument. Nur mit Kontrollen an beiden Enden des Kapitalverkehrs hätte man die Paritäten verteidigen können. Ohne die Mitarbeit des mächtigsten Staates (USA) war die Verteidigung der festen Wechselkurse zum Scheitern verurteilt.

Ölkrise und IWF-Jamaica-Abkommen

Die Ölkrise ab Oktober 1973 ließ keine gemeinsame Politik der Europäer in der Währungsfrage mehr zu, auch weil die Länder unterschiedlich von dem Ölboykott durch die OPEC betroffen waren. In einer im Nachhinein wohl wegweisenden britischen Unterhauswahl verlor der proeuropäische englische Premierminister Edward Heath hauchdünn seine Mehrheit und wurde durch den europakritischen Harold Wilson ersetzt. Dieser glaubte an die Special Relationship zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten und war nicht bereit die britische Souveränität auf dem Altar einer europäischen Integration zu opfern.

Im April 1974 verstarb der französische Präsident Pompidou an Krebs, aus der notwendig gewordenen Neuwahl ging Valéry Giscard d’Estaing als Sieger hervor und wurde neuer französischer Staatspräsident. Und im Mai trat Bundeskanzler Brandt wegen eines Spionageskandal zurück. Seine Nachfolge trat Helmut Schmidt an. Im Juni wurde der Sieg der Vereinigten Staaten (obwohl total isoliert in der Frage der Kapitalkontrollen) zum ersten Mal im Report des einflussreichen Committee of Deputies deutlich. Dieses Komitee hatte von Nov 1972 bis Juni 1974 über Reformvorschläge wie verpflichtende Kapitalverkehrskontrollen und restriktive Regulierung der Eurodollarmärkte verhandelt. Denis Healey (britischer Schatzkanzler) schrieb später:

No change could be made in structure of world finance without the consent of the United States.

Die Verhandlungen wurden danach für fast ein ganzes Jahr unterbrochen. Die USA hatten keinerlei Interesse mehr, mit der EG und Japan eine neue Vereinbarung auf Basis fixer Wechselkurse einzugehen. Ohnmächtig hatten beide sogar zusehen müssen, wie George Shultz im Januar 1974 einseitig alle Kapitalverkehrs-Kontrollen in den USA vorzeitig abschaffte und den Druck über die Eurodollar-Märkte sogar noch erhöhte. Die Amerikaner traten nun als Einheit auf. Regierung, Kongress und FED befürworteten nun alle ein Währungssystem mit flexiblen Wechselkursen. Im April 1974 wurde William Simon Nachfolger von George Shultz als US Finanzminister. Dennis Healey, der damalige Labour-Finanzminister Großbritanniens hatte eine besondere Meinung über den neuen amerikanischen Verhandlungsführer:

Ein Politiker, der weit rechts von Dschinghis Khan steht und der der Idee der Freiheit der Finanzmärkte total ergeben ist.

In den später wiederaufgenommenen Verhandlungen blockierte der neue amerikanische Finanzminister William Simon jeglichen Versuch, dass verpflichtenden Interventionen der Zentralbanken vereinbart wurden. Die US-Administration hatte zudem verstanden, dass flexible Wechselkurse dem Hegemon mit seiner Weltleitwährung Dollar zum Vorteil gereichten. Bei dem nach der Ölkrise entstehenden Kreislauf des Recyclings der Petro-Dollars sperrten sich die USA gegen die Vorschläge Europas und Japans, das Recycling über den IWF abzuwickeln (Witteveen Vorschlag). Stattdessen sollte auf amerikanischen Wunsch, die Abwicklung über die Eurodollar-Märkte durchgeführt werden.

Die Stellung des Dollars als sichere Reserve- und Anlagewährung wurde trotz der hohen Inflation und der Politik eines weichen Dollars in den USA in den Jahren bis 1978 nicht grundsätzlich erschüttert. Dann kam es vor und während der 2. Ölkrise erneut zu einer Dollar-Vertrauenskrise, die den neuen FED-Chef Paul Volcker zu einem radikalen Wechsel in der amerikanischen Geldpolitik zwang. Die FED und die amerikanische Regierung unterstützten danach eine Politik der Geldmengensteuerung (Monetarismus), um die hohe Inflation zu bekämpfen. Die Folge war eine starke Rezession und ein starker Anstieg des Dollars (Volcker-Schock vom 6.10.1979 – eine eigene Geschichte, die zu erzählen wert wäre). Viele Beobachter haben damals nach dem Ende von Bretton Woods eine Schwächung der Stellung des Dollars im Weltfinanzsystem vorausgesehen. Ein wesentlicher Grund dafür, dass diese nicht eintrat, war die Tatsache, dass kein anderes Land in der Lage oder Willens war, die notwendigen Funktionen einer Weltreservewährung mit sicheren Anlagen bereitzustellen (US-Staatsanleihen). Diese wurden jedoch in einer sich zunehmend globalisierenden Weltwirtschaft immer dringender benötigt. 

Ein letzter Punkt war noch zu erledigen. Die Statuten des Internationalen Währungsfonds mussten angepasst werden. Auf der ersten Weltwirtschaftskonferenz im November 1975 wurde beschlossen, dass nur mit einer 85%-Mehrheit im IWF eine Rückkehr zu festen Wechselkursen beschlossen werden konnte. Die Amerikaner hatte dadurch eine Vetoposition erlangt, 17,9% der Stimmrechte lagen bei ihnen. Die Verrechtlichung des Status Quo (unkoordiniertes flexibles Wechselkursregime) durch Aufnahme in den IWF-Vertrag im Januar 1976 (Jamaica-Abkommen) unter Führung von US-Finanzminister William Simon bildete den Schlussstrich unter ein Kapitel mangelnder internationaler Zusammenarbeit. Der Unilateralismus der USA und ihre nationalen Interessen hatten sich durchgesetzt. Die Folgen würden schnell sichtbar werden. Im Herbst 1976 wurde die britische Labour-Regierung in der sogenannten „IWF Kreditkrise“  durch die USA, die BR Deutschland und andere Geberländer  des Internationalen Währungsfonds zu Haushaltskürzungen und einem Politikwechsel gezwungen. Viele Staaten würden von nun an ähnliche Erfahrungen machen. Es waren einmal mehr die Franzosen, die sich unter der Regierung Mitterrands am längsten gegen die neuen Rahmenbedingungen stellten. Doch auch Mitterrand war im März 1983 als letzter gezwungen, seine keynesianisch geprägte nationale Wirtschaftspolitik aufzugeben. Die Machtverhältnisse zwischen Nationalstaaten und Finanzmärkten hatten sich zu Gunsten letzterer verschoben. 

Wäre der Kollaps von Bretton Woods zu verhindern gewesen?

Nach all dem ist es schwierig zu sehen, wie der Kollaps des Bretton Woods Systems hätte verhindert werden können. Es ist jedoch auch deutlich geworden, wie schwierig es ist eine neue Ordnung aufzubauen, wenn es an dem Willen und Vertrauen fehlt um eine kooperative und für alle akzeptable Lösung zu finden. Weiter konnten wir sehen, dass nur eine multiperspektivische Betrachtung den komplexen Ereignissen gerecht werden kann. Deshalb sollen die wichtigsten Punkte zum Schluss nochmal herausgehoben werden:

  1. Die Aufhebung der Goldbindung war sicherlich unvermeidlich. Darüber besteht in der Forschung Einigkeit.
  2. Die eigennützige Vorteilsnahme der Vereinigten Staaten durch ihre Stellung im System entsprach sicherlich auch einer fehlgeleiteten Politik (Vietnamkrieg). Es handelt sich dabei um eine Form der Ausübung von struktureller Macht. Damals wurde dafür der harmlos erscheinende Begriff der „wohlwollenden Vernachlässigung“ (benign neglect) verwendet. Die Möglichkeit der USA, die Anpassungslasten allen anderen Ländern aufzubürden, stellt systemische Fragen in einer Währungsordnung, die eigentlich nur schwierig gelöst werden können. Dazu gibt es drei grundsätzliche Möglichkeiten für die Nationalstaaten: a) einseitiges Ausscheiden, b) der Versuch, der eigenen Stimme Gehör zu verschaffen oder c) die Anpassung. Es handelt sich um ein Kontinuum von Möglichkeiten zwischen Kooperation und Konfrontation, das uns bis heute begleitet. 
  3. Es wäre aber sicherlich damals möglich gewesen, bei einem multilateralen koordinierten Vorgehen der Staaten die Spannungen durch die Spekulationen zu kontrollieren. Die Politik war den Märkten nicht hilflos ausgeliefert. Als Beispiel sei hier nur der Sommer 1972 genannt, wo die Festkurse des Smithsonian-Abkommens letztmalig gemeinsam verteidigt wurden. Auch hätte eine Regulierung der Eurodollar-Märkte sowie die Anwendung gemeinsamer Kapitalkontrollen die Devisenmärkte einhegen können. All dies war im Bereich des Möglichen, das zeigen vertrauliche Papiere der FED aus dem Sommer 1972. Doch die Hegemonialmacht USA erkannte die großen Vorteile für ihre wirtschaftspolitische Autonomie, die eine Liberalisierung der Finanzmärkte bringen würde. Genau deshalb hat Finanzminister George Shultz ab Juni 1972 die strukturelle Macht der Vereinigten Staaten eingesetzt, um seine Ziele durchzusetzen. Die Rolle eines Hegemons und seine Interessen sind ein systemisches Problem, und keine ernstzunehmende Analyse kann sich das Ignorieren dieses Aspekts leisten.
  4. Der Lösungsvorschlag von Milton Friedman (flexible Wechselkurse) gewann im Laufe der 1960er Jahre immer mehr Anhänger. Man geht davon aus, das Ende 1969 mehr als 80% der Ökonomen in den USA flexible Kurse unterstützten. Mehrere seiner Mitstreiter besetzten später entscheidende Positionen in den Administrationen von Nixon und Ford. Aufgrund des Mangels an überzeugenden Alternativen und der Attraktivität für die USA gelang es im späteren Verlauf der Ereignissen den (Neo-)Liberalen in der Regierung, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Dabei spielte die breite Unterstützung flexibler Kurse durch die Ökonomen eine wichtige Rolle. In der Wissenschaft war es zu einem paradigmatischen Wechsel in der Währungsfrage gekommen. Thomas S. Kuhn folgend, kann von einem Generationswechsel gesprochen werden, der das neue Paradigma beförderte. 
  5. Ebenfalls von Bedeutung war der Tatbestand, dass man die Entstehung des Eurodollar-Marktes aus amerikanischer Sicht zugelassen hatte. Der renommierte Historiker Kindleberger vertrat seit 1965 eine interessante alternative Position zur Reform des Währungsordnung: Er machte den Vorschlag, an Stelle der sich entwickelnden Offshore-Märkte (London), die gleichen Dienstleistungen von New York aus unter US-Jurisdiktion zu organisieren (die FED als Bank für die Welt). Er kritisierte in seinen Arbeiten die Regierungen Kennedys und Johnsons für ihre restriktive Währungspolitik. Der amerikanische Wirtschaftshistoriker Perry Mehrling wird diese Position (damals eine Minderheitenmeinung) in seinem nächsten Buch analysieren. Man darf gespannt sein. Doch damals vertrat die Mehrheit der Wissenschaftler die Position des Währungsexperten Triffin (Triffin-Dilemma), der glaubte, dass das unvermeidliche Ende von Bretton Woods eine deflationäre Depression auslösen würde. Er wollte das alte System durch die Einführung von Sonderziehungsrechten (SZR) reformieren. Doch die Zeit nach 1973 entwickelte sich vollkommen konträr zu seiner Annahme. Statt einer Deflation kam es zu Inflation und Stagnation (Stagflation). 
  6. In der Forschung hat sich der Konsens herausgebildet, dass man sicher nicht von der Umsetzung eines Plans sprechen kann. Die Nixon-Regierung hatte keinen kohärenten Plan. Die Beteiligten entwickelten völlig unterschiedliche, sich widersprechende politische Agenden. Kein einzelnes analytisches Framework, weder ökonomischer Nationalismus noch ein ideologischer Neoliberalismus oder außenpolitische Überlegungen können die komplexen Entwicklungen in den USA von damals alleine erklären. Es entsteht eher der Eindruck, dass die Administration unter dem Druck der Ereignisse, nur noch nach einem innenpolitischen Ausweg („Exit Door“) suchte. Ohne eine konkrete Vorstellung davon zu haben, was sich hinter dieser Tür befinden würde. 
  7. Besondere Beachtung verdient auch die Tatsache, dass die Vereinigten Staaten sich damals in einer (neo)isolationistischen Phase befanden. Eine „America First“-Haltung, vergleichbar mit der heutigen Situation. Ein gefühlter relativer Machtverlust, verunsicherte die amerikanischen Eliten. Die Demokraten unterstützten Nixon nur aufgrund seiner protektionistischen Maßnahmen wie dem Importzoll und der Preis- und Lohnkontrollen. Aufgrund dieser nationalen Maßnahmen gelang es dem Präsidenten den politischen Gegner zu entwaffnen. Im späteren Verlauf  sind  Sie der Politik der Regierung bei der Einführung flexibler Wechselkurse weitgehend gefolgt und haben keine Alternativen vertreten. Auch dass sie dabei halfen, die Kapitalverkehrskontrollen abzuschaffen, ist bemerkenswert. 
  8. Parallel zu all dem machte die alte Koalition des New Deals (Politik und Realwirtschaft) spätestens seit 1968 einer neuen Koalition von multinationalen Konzerne und Banken Platz. Ihre gemeinsamen Interessen bestimmten zunehmend die amerikanische Politik. Die multinationalen Unternehmen spielten von diesem Zeitpunkt an eine entscheidende Rolle bei der Globalisierung. Dieser transformative Übergang wird besonders deutlich in der widersprüchlichen Person von Richard Nixon. Er verkörpert geradezu den Wandel, vom eingebetteten Kapitalismus zum Neoliberalismus. Seine Positionen reichen von seinem Ausspruch: „Jetzt sind wir alle Keynesianer“ bis zu seinem Plädoyer für freie Kapitalmärkte. Eigentlich ein Internationalist, verfolgte e, sich gegenseitig ausschließende Überzeugungen (Wirtschaftsnationalismus versus neoliberalen Internationalismus). Arthur Burns beschreibt diesen Konflikt bei Nixon überzeugend in seinen Memoiren. 
  9. Die Konsequenzen der Desintegration der internationalen Währungsordnung waren den Beteiligten nicht sofort ersichtlich. Viele Beobachter in Europa und Japan (die eigentlichen Erfinder des Begriffs: Nixon-Schock) interpretierten den Zusammenbruch als temporäres Ereignis und waren sich sicher, dass stabile Strukturen wieder hergestellt würden. Die Folgen der zunehmende Independenzen in der Weltwirtschaft wurden von den Zeitgenossen, bis auf wenige Ausnahmen (z.B den Gründern der International Political Economics (IPE) noch nicht richtig erfasst. Hier sei nur die Bedeutung von technologische Innovationen erwähnt (z. B. löste das SWIFT-Verfahren 1973 das alte Telex-System ab). Die Kapitalmärkte drängten in Richtung Globalisierung, und wie Shultz es vorhergesehen hatte, in Richtung finanzieller Öffnung und flexibler Wechselkurse. Leistungsfähigere Computer und Kommunikationsnetzwerke  begünstigten ein schnelles Anwachsen der Spekulation an den Devisenmärkten. Die Hilflosigkeit der deutsche Regierung in der Krise vom Mai 1971 kam darin zum Ausdruck, dass man nur noch durch ein Abschalten der internationalen Telefonverbindungen, die Devisenspekulation stoppen konnte. Die Entwicklung des privat organisierten Eurodollars zu einer Art Weltgeld haben die wenigsten Zeitgenossen vorausgesehen. Aus der Sicht (neo-)liberaler Reformer war dann auch die Abschaffung der Kapitalverkehrskontrollen im Januar 1974 in den USA die für sie „wichtigste Leistung“ der Administration Nixons. Das veränderte die Machtverhältnisse zwischen Nationalstaaten und Kapitalmärkten entscheidend.
  10. Auch die Außen- und Sicherheitspolitiker waren nach 1973 zunehmend davon überzeugt, dass die Entwicklung amerikanischen Interessen nützen würde. Ihr wichtigster Vertreter Henry Kissinger hatte wenig Sachverstand in Währungsfragen und war dadurch wohl in diesem Feld viel weniger effizient als in anderen Bereichen. Ein Zitat aus Kissingers Memoiren ist deshalb besonders aufschlussreich: „Wenn ich einen Amerikaner nennen sollte, dem ich das Schicksal einer Nation in einer Krise anvertrauen würde, dann wäre es George Shultz.“ Deutlich unvorteilhafter drückte sich hingegen Richard Nixon 1970 gegenüber Peter Peterson über seinen nationalen Sicherheitsberater aus: „Henry doesn‘t know a damn thing about economics. What’s worse, he doesn’t know what he doesn’t know.“

Als die Globalisierung weiter ging, wurde es Konsens in Washington, dass eine Einmischung durch die Regierung in die Finanzmärkte kontraproduktiv sei. All dies wurde in der Regierungserklärung von Präsident Nixon im April 1974 offizielle Politik:

The US policy was to minimize governmental interference in the money markets and place maximum reliance on market forces to direct world trade and investment.

Ausblick

Das Ende von Bretton Woods hat nicht zu der Vorhersage einer „internationalen geldpolitischen Stabilität“ geführt, wie von den (Neo-)Liberalen vorhergesagt. Das Gegenteil war der Fall, die Kursschwankungen waren um ein Vielfaches höher als im Bretton Woods System. Dem Hegemon USA hat das neue Regime sicherlich in die Hände gespielt, aber auch einen Preis abverlangt. Nach dem Volcker-Schock (1979) wurde dies immer deutlicher. Es gibt so etwas wie eine „Dutch Disease“ auch für das Land, das die Reservewährung (hier den Dollar) besitzt. Auf der einen Seite können Haushaltsdefizite mühelos finanziert werden und die Vermögenspreise erreichen immer neue Höchststände, doch gleichzeitig bezahlt man mit De-Industrialisierung und der Schwächung des eigenen Produktionsstandortes. Die Weltleitwährung zu stellen, ist also ein „exorbitantes Privileg“ und eine „Bürde“ zugleich.

Die Europäer wurden vom Ende der alten Währungsordnung just in dem Moment getroffen, wo sie ihren ersten Anlauf zu einer Währungsunion (Werner-Plan) wagten. Die französische und deutsche Perspektive im schwierigen Prozess der Reform der Weltwährungsordnung und in der Frage der Währungsintegration in der EG hat Werner Polster in seiner Dissertation überzeugend dargestellt*.

Langfristig erzwangen die neuen flexiblen Wechselkurse und der freie Kapitalverkehr geradezu eine gemeinsame Währung. Doch die nahe Zukunft würde für die Europäer erst einmal noch viel turbulenter sein als die kürzliche Vergangenheit. 

Das während des Aufbruchs zu einem neuen Währungs- und Finanzsystem im Jahr 1972 auch der Bericht Grenzen des Wachstums (Club of Rome) erscheint, ist bemerkenswert und doch wohl kein Zufall. Durch die Apollo-Mondflüge hat die Menschheit zum ersten Mal ihren Heimatplaneten in all seiner Schönheit und seiner Verletzlichkeit bewusst wahrgenommen (Global Earth). Ein Beispiel dafür wie Bilder das globale Bewusstsein verändern. Die Welt war in eine neue Phase ihrer Entwicklung eingetreten, gleichzeitig und in zweierlei Hinsicht. 

Epilog

Geschichte wiederholte sich nicht, sie reimt sich!

Heute erleben wir durch den Aufstieg Chinas erneut zunehmende Spannungen in der Weltwährungsordnung. Auf der einen Seite kollidieren das Sicherheitsbedürfnisse der Weltmacht USA mit den Interessen des globalen Finanzkapitals (Stichwort: Decoupling). Auf der anderen Seite fordern Rivalen wie Russland und China denn Hegemon heraus, und wollen das Währungssystem neu ordnen. China strebt bis zum Jahr 2030 an, für 50% der Weltproduktion verantwortlich zu sein. In der Vergangenheit ist die Weltleitwährung immer dem Land zugefallen, das die Handelsströme und die Produktionen kontrollieren konnte. Wird es diesmal wieder so sein, oder werden andere Faktoren entscheidend sein? Welche Formen werden dominieren? Bleibt unser derzeitiger Zentralbank-Kapitalismus mit Fiatgeld und Repo-Markt (Rückkaufvereinbarungen) stabil? Setzen sich Stable Coins wie Libra von Big Tech Unternehmen wie Facebook/Meta durch? Oder werden von Zentralbanken entwickelte Digital Currencies die Zukunft bestimmen? Libertäre wiederum setzen ihre Hoffnungen auf dezentral organisierte Krypto-Währungen (Blockchain). Westliche Werte, die die Rechte des Individuums in den Vordergrund stellen, konkurrieren mit Gesellschaftsmodellen, die Stabilität und Sicherheit der Gesellschaft bevorzugen. Bleibt anonymes individuelles Verhalten weiter möglich oder wird Surveillance (Überwachung) unsere Zukunft dominieren?

Ian Bremer, der CEO von Eurasia Group, hat die Herausforderung der bisherigen Weltordnung durch Big Tech in dem Begriff „Technopolar Moment“ neu definiert.

Viele sehen in den USA einen Zusammenhang, zwischen der Geburtsstunde freier Kapitalmärkte und der technologischen Führungsrolle der Vereinigten Staaten im Digitalen Bereich. Die Erfolge der USA, nicht nur im Silicon Valley sind demnach die direkte Folge der damaligen Weichenstellungen. Man muss diese Meinung nicht teilen, doch die Finanzierung von Start Ups über den amerikanischen Kapitalmarkt seit den 70ern scheint in dieser Hinsicht effizienter gewesen zu sein als die Entwicklung in Europa.

Technologische Innovationen, geoökonomische Verschiebungen und Rivalität der Großmächte bleiben weiter die wichtigsten Antriebskräfte für Veränderungen in unserer heutigen Welt. Mit der Klimakrise und den Folgen der vor fünfzig Jahren erstmals prognostizierten Grenzen des Wachstum, geht es heute jedoch um viel mehr. Eine Reform unseres derzeitigen Systems ist dringend notwendig. Noch nie stand so viel auf dem Spiel wie heute. Wir haben die Wahl zwischen Kooperation oder doch wieder Konfrontation. Und selbst wenn es uns gelingt zu kooperieren, bleibt der Kapitalismus ein totales System. Ulrike Herrmann beklagt deshalb zu Recht, dass bisher niemand sagen kann, wie wir von dem derzeitigen System zu einer Kreislaufwirtschaft gelangen können, ohne eine Katastrophe auszulösen. Und wie kann die Transformation gelingen, damit ein neue Währungsordnung und ein neues Wirtschaftssystem ein dauerhaftes Überleben der Menschheit auf unserem Planeten sicherstellt? Wird die gerade heraufziehende Epoche der Künstlichen Intelligenz uns dabei helfen können, oder tritt sie in der Evolution an die Stelle des Homo Sapiens – eine Anregung zum Nachdenken!

Quellenverzeichnis

Three Days at Camp David (Jeffrey E.Garden, 2021)

A Superpower Transformed (Daniel J. Sargent, 2015)

Volcker, The Triumph of Persistence (William L.Silber, 2013)

The Economist`s Hour (Binyamin Appelbaum, 2019)

States and the Reemergence of Global Finance (Eric Helleiner, 1994)

Changing Fortunes (Paul Volcker, Toyoo Gyohten, 1992)

Zentralbank Kapitalismus (Jochen Wullweber, 2021, Suhrkamp) 

Federal Reserve Policy and Bretton Woods (Michael D. Bordo and Owen F. Humpage, 2014)

Money, Power and Authority (Benjamin J. Cohen, 2008)

 

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