Ein Gastbeitrag von Hiroaki Kuromiya
Der derzeitige Krieg im Donbass ist auf den ersten Blick schwer zu verstehen. Fast alle westlichen Berichte beschreiben ihn als Kampf zwischen ukrainischem Militär (und Freiwilligen, die Anhänger der ukrainischen Unabhängigkeit sind) und prorussischen Separatisten (die direkt, wenn auch heimlich, durch die russische Regierung unterstützt werden). An dieser Darstellung ist einiges wahr. Moskaus Leugnen zum Trotz ist dies auch Russlands Krieg gegen die Ukraine: Das russische Militär interveniert zugunsten der Separatisten direkt in den Konflikt. Völlig unklar ist jedoch, ob der prorussische Kampfgeist im Donbass so stark verwurzelt ist, wie berichtet wird. Ohne Russlands direkte Unterstützung würden die Separatisten im Donbass wahrscheinlich schnell eine Niederlage gegen die ukrainischen Streitkräfte erleiden. Sicher ist, dass sich der Donbass als Region gegenüber keiner Regierung oder Ideologie jemals wirklich loyal verhalten hat. Das wird sich für Kiew wie auch für Moskau als echtes Problem erweisen, egal wie der Konflikt endet.
Der Donbass, ein durch und durch ukrainischer Landstrich
Den politischen Kampfgeist dieses ukrainisch-russischen Grenzlands haben viele Politiker über lange Zeit gefürchtet. Die rußgeschwärzten Gesichter der Donbass-Arbeiter symbolisierten lange die Widerspenstigkeit der Politik in dieser Region. Zwischen 1917 und 1921, in den Jahren des revolutionären Aufstands und des darauffolgenden Bürgerkriegs, ging der Donbass durch viele Hände. Keine der involvierten Parteien und Regierungen (Kommunisten, antikommunistische Weiße, verschiedene ukrainische Nationalisten) fasste jedoch jemals dort Fuß. Als die Kommunisten in der Ostukraine ihr Land und die umliegenden Industrieregionen 1918 von der Ukraine abspalteten und zur Sowjetrepublik Donezk-Kriwoi Roh erklärten, weil sie die neue unabhängige ukrainische Regierung ablehnten, war der kommunistische Führer Wladimir Lenin dagegen. Er sah die Republik als Schwächung der Ukraine an, indem sie diese ihrer „proletarischen Basis“ beraubte. Damit erkannte Lenin den Donbass als Teil der Ukraine an. Lenins Urteil ist nachvollziehbar: Wie russifiziert der Donbass kulturell und sprachlich auch sein mag, die ethnischen Russen waren hier weder vorher noch nachher jemals in der Mehrheit. Der Donbass war und ist überwiegend ukrainisch.
Während der gesamten Ära des Kommunismus blieb der Donbass, ein riesiges industrielles Zentrum von Bergbau und Metallurgie, Moskaus Problemkind. Weil hier ständig Arbeitskräfte gebraucht wurden, die bereit waren, harte und gefährliche Tätigkeiten zu übernehmen, blieb er der Magnet für Flüchtende und Geflüchtete, der er schon vor der Revolution gewesen war. Wer Grund hatte zu fliehen (zum Beispiel vor politischer Verfolgung oder wirtschaftlichen Härten), floh hierhin und fand Zuflucht im Untergrund, wörtlich wie im übertragenen Sinn. Der Donbass war ein Land der Zuflucht und der Freiheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ukrainischen Partisanen, die es nicht schafften, in den Westen zu entkommen, geraten, in den Donbass zu gehen und sich dort zu verstecken. Zur Zeit der antikosmopolitischen Kampagnen in Stalins letzten Jahren zog der Donbass Juden an, die erkannten, dass die Verhältnisse hier freiheitlicher als anderswo waren. Einer von ihnen war der Vater der israelischen Politikers Natan Scharanski: Als er wegen des Antisemitismus in Odessa dort nicht mehr arbeiten konnte, wurde ihm gesagt, er solle „in Stalino [dem heutigen Donezk] sein Glück versuchen“. Wie Sibirien war der Donbass aber auch eine Strafkolonie. Die extrem harten und zermürbenden Arbeitsbedingungen in Industrieregionen machten diese zu praktischen Abladeplätzen für politisch unerwünschte Personen und Gruppen. So wurde der Donbass, wie die Gulags, zu einem Ort, an dem sich verbotene politische Ideen weit verbreiteten.
Der Donbass war auch ein Ort der Demokratisierung. Während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg zogen ukrainische Nationalisten, die mit den faschistischen Ideen Benito Mussolinis und Francisco Francos sympathisierten, von den westlichen Regionen in den Osten, den Donbass, um Köpfe und Herzen seiner Bevölkerung zu gewinnen. Die lokale Bevölkerung wies sie jedoch ab, einige der faschistischen Nationalisten unterstützten am Ende sogar eine demokratische Ukraine. Später, in der Breschnew-Ära und noch vor der Solidarnosc-Bewegung in Polen, wurde der Donbass zu einem bedeutenden Zentrum der unabhängigen (nichtsowjetischen) Gewerkschaftsbewegung. Auch einige wichtige sowjetische Freiheitskämpfer stammen aus dem Donbass. Einer von ihnen ist der ukrainische Dichter Wassyl Stus. Er starb 1985 in einem russischen Arbeitslager. (Die 2001 für ihn an der Nationalen Universität Donezk angebrachte Gedenktafel wurde kürzlich von antiukrainischen Kräften entfernt.) In dem Glauben, dass sie ohne Moskau besser dran wäre, unterstützte eine überwältigende Mehrheit der Donbass-Bevölkerung (über 83 Prozent) 1991 die Unabhängigkeit der Ukraine. Diese unabhängige Ukraine war eher enttäuschend als zufriedenstellend. Daher die weitverbreitete Wut im Donbass.
Das heißt nicht unbedingt, dass die Donbass-Bevölkerung prorussisch ist. Viele halten zwar heute Russland für vielversprechender als die Ukraine, morgen denken sie aber womöglich schon anders. Trotz gegenteiliger schriller politischer Rhetorik haben ethnische und sprachpolitische russisch-ukrainische Themen in der Donbass-Politik jedoch weder früher noch heute eine größere Rolle gespielt. In vielerlei Hinsicht verhält sich die Bevölkerung im Donbass wie die alten ukrainischen Kosaken, die im Grenzgebiet von Moskau, Polen und dem Osmanischen Reich im 15. und 16. Jahrhundert das „Wilde Feld“, begründeten, auf dem sie Freiheit und Glück finden wollten. Je nach wechselnder politischer Situation taten sie sich zur Sicherung ihrer Existenz und ihres Wohlergehens mit jeder dieser Mächte zusammen. So endete ihre zeitweise pragmatische Allianz mit dem Moskauer Zar gegen Polen in der Mitte des 17. Jahrhunderts damit, dass der Donbass und die ihn umgebenden Regionen an Moskau fielen. In der rauen Welt der Kosaken waren demokratische und egalitäre Prinzipien durchaus nicht unbekannt, vielmehr waren sie die Gründungsideale des modernen, unabhängigen ukrainischen Staats, über die dieser sich vom „autokratischen Russland“ und vom „aristokratischen Polen“ abgrenzte. In diesem Sinne scheint der Donbass trotz seiner vermeintlich „prorussischen“ Orientierung zutiefst ukrainisch zu sein.
Das Janukowitsch-Phänomen
Als die unabhängige Ukraine frei oder zumindest freier als in der Sowjetperiode wurde, musste der Donbass nicht länger der Ort der Freiheit sein und war nun nur noch eine, wenn auch widerspenstige Region eines neuen Lands. Anders als die westlichen und zentralen Regionen der Ukraine ist der Donbass allerdings ein hochentwickeltes industrielles Zentrum, das erheblichen nationalen Reichtum generiert. Nicht zufällig kommen viele der reichen ukrainischen Männer (unter ihnen der reichste Mann der Ukraine, Rinat Achmetow) aus dem Donbass.
Der Donbass, die Bürger genauso wie die Oligarchen, stellte sich auf die neue politische Realität der postsowjetischen Ära ein. Trotz gelegentlicher separatistischer Forderungen sah der Donbass seine Zukunft insgesamt innerhalb einer unabhängigen Ukraine, wobei er Verbindungen zu Russland aus guten Gründen nicht zurückwies (jeder möchte gute nachbarschaftliche Beziehungen haben!). Dann änderte der Donbass als Ganzes jedoch seine politische Strategie. Nach der ukrainischen Unabhängigkeit begann er, sich ganz untypisch zu verhalten: Er versuchte, die Kiewer Zentralmacht zu übernehmen. Das kann als Janukowitsch-Phänomen bezeichnet werden.
Fast schaffte es Wiktor Janukowitsch 2004, die Macht zu stehlen. 2010 gelang ihm dann durch Wahlen die Eroberung des Präsidentenamts, die die Orange Revolution 2004/05 verhindert hatte. Solange die Donbass-Bevölkerung glaubte, dass sich ihre Interessen und Stimmen in der nationalen Politik niederschlugen, schien sie mit dem Janukowitsch-Phänomen zufrieden und zeigte wenig Interesse an Separatismus. Selbst als Janukowitsch im Februar 2014 von der Euromaidan-Bewegung vertrieben wurde, zog die Donbass-Bevölkerung Separatismus nicht ernsthaft in Betracht. Er war nicht mehr als eine unrealistische Möglichkeit. In merkwürdiger Art und Weise bezeichnete das Janukowitsch-Phänomen sogar die beginnende, wenn auch massiv durch Russland beeinflusste Integration des Donbass in den ukrainischen Politikkörper. Russlands Militärintervention war es dann, die die politische Szenerie komplett veränderte.
Die russische Kriegsverantwortung
Es wäre offenkundig falsch zu behaupten, im Donbass gäbe es keine prorussischen oder antiukrainischen Gefühle. Die gibt es, genauso wie es starke proukrainische oder antirussische Gefühle gibt. Welche Gefühle dominieren im Donbass heute? Oder morgen? Niemand kann das mit Sicherheit sagen. Die momentane Situation geht auf Moskaus Militärintervention zurück. Es gibt keinen Grund, warum der Donbass seine Wut und Frustration nicht im Rahmen einer unabhängigen Ukraine in den Griff hätte bekommen können. Unruhen und harte Zusammenstöße hätte es sicher gegeben, die Bevölkerung hätte jedoch eher einen Kompromiss angestrebt als Krieg. Russlands Militärintervention schuf eine politische Option, die es bis dahin realistischer Weise nicht einmal in dieser Grenzregion der Ukraine gegeben hatte.
Unter der falschen Anschuldigung, ethnische Russen und die russischsprachige Bevölkerung würden verfolgt, zwang Moskau dem Donbass im März/April 2014 Militärgewalt auf, um ihn zu kontrollieren, auch wenn Moskau die Präsenz militärischer Kräfte der Russischen Föderation bis heute leugnet. Einen Monat zuvor hatte Moskau schon mit Militärgewalt und unter dem Deckmantel lokaler freiwilliger Kräfte die Krim eingenommen.
Präsident Wladimir Putins Interventionen mögen nach spontanen Entscheidungen aussehen. Im Lichte russischer und vergangener sowjetischer Militärinterventionen waren diese jüngsten Fälle aber mit Sicherheit geplant, zumindest als mögliches Szenario zur Schaffung einer größeren russischen Einflusssphäre oder zur Expansion der imperialen Reichweite Russlands. Putins Einsatz des alten historischen Konzepts von „Neurussland“ zur Rechtfertigung seiner Militärintervention ist kein Zufall. Es gibt Grund für die Vermutung, dass zumindest zwei Formen innerer Subversion schon einige Zeit im Einsatz gewesen sind. Eine davon ist die Praxis, Bewohnern von Grenzregionen, einschließlich des Donbass, russische Pässe anzubieten. Diese Form der Subversion wurde lange von russischen und sowjetischen Regierungen zur verdeckten territorialen Expansion eingesetzt. Falls notwendig, macht Russland nach wie vor den Schutz seiner Bürger zur Rechtfertigung von Militärinterventionen geltend. Die zweite Form verdeckter Subversion ist der Einsatz verdeckter „beeinflussender Agenten“ im Ausland, die man als politische „Schläferzellen“ bezeichnen kann. Russland und die Sowjetunion sind auf diesem Gebiet traditionell ausgesprochen versiert. Die Ukraine ist ein junges und noch instabiles Land mit einer schwer vorhersehbaren Zukunft. Bei praktisch offenen ukrainischen Grenzen wäre es relativ einfach für Russland, Personen zu rekrutieren, die für die Interessen Moskaus, der ehemaligen Hauptstadt der Sowjetunion, arbeiten. Nostalgie und der Wunsch nach Stabilität sind ein weiterer wichtiger Faktor, schließlich ist die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung unter sowjetischer Herrschaft geboren. Wichtig sind auch Drohungen, Erpressungen und andere unaussprechliche Methoden, die dieses Geschäft weltweit auf Lager hat.
Präsident Putin rechtfertigt seinen getarnten und verschleierten Krieg mit Russlands nationalen Sicherheitsbelangen. Aber genauso wie Russland hat auch die Ukraine ein Recht auf nationale Sicherheit. Russland hat das Recht der Ukraine verletzt, indem es sein eigenes einseitig geltend machte. Auch das ist nicht neu. Noch immer wirft Russland Polen vor, den Zweiten Weltkrieg verursacht zu haben, indem es den Moskauer Forderungen nicht nachgegeben hat. Dabei vergisst Moskau geflissentlich, dass es Moskau und Berlin waren, die durch ihre Verschwörung zur Zerstörung Polens den Zweiten Weltkrieg angefangen haben. Russland steht mit Sicherheit hinter dem derzeitigen Krieg im Donbass.
Die Krim, der Donbass und „das russische Problem“
Moskaus Berufung auf Sicherheitsbelange ist eher rhetorischer Art als substantiell von Bedeutung. Natürlich ist die nationale Sicherheit eine ernsthafte Angelegenheit. Auch Russlands Sorge über die Expansion der westlichen Welt bis an seine Grenzen ist verständlich. Für das Misstrauen zwischen dem Westen und Russland sind beide Seiten verantwortlich. Das selbstbezogene Verhalten des Westens auf internationalem Parkett hat zwar zur Entfremdung Russlands vom Westen beigetragen, das selbstbezogene Verhalten Russlands aber hat eine mindestens genauso starke Entfremdung nicht nur des Westens, sondern auch der ehemals von Moskau kontrollierten Satellitenstaaten von Russland hervorgerufen.
Moskau hat in jeder Hinsicht eigene Probleme, die der Westen seinerseits im Großen und Ganzen gelöst hat. So denkt Präsident Putin zum Beispiel noch immer, Moskau habe das Recht zu intervenieren, um die russischsprachige Bevölkerung auf dem eurasischen Kontinent zu „beschützen“, mit anderen Worten Land wie die Krim und den Donbass zu okkupieren und zu annektieren. Dieser imperialistische Anspruch ist hochgradig anachronistisch. Hat England das Recht, in New England und den USA zu intervenieren? Hat Mexiko das Recht, in den Bundesstaaten New Mexico, Texas, Arizona oder Kalifornien in den Vereinigten Staaten zu intervenieren? Der britische Wissenschaftler Timothy Garton Ash berichtet, dass er 1994 bei der Teilnahme an einem Runden Tisch in St. Petersburg, Russland, eingenickt war, als ein „kleiner untersetzter Mann mit einem rattenhaften Gesicht“ ihn plötzlich weckte. „Russland“, sagte er, „hat freiwillig ‚riesige Territorien‘ an ehemalige Sowjetrepubliken abgetreten, darunter Gebiete, ‚die historisch schon immer zu Russland gehört haben‘“, vermutlich die Krim, die Ostukraine, Nordkasachstan und dergleichen Gegenden mehr. Laut diesem Mann „könnte Russland ‚25 Millionen Russen‘, die jetzt im Ausland leben, nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Die Welt müsse die Interessen des russischen Staats‚ und des russischen Volks als einer großen Nation‘ respektieren.“ Der Name dieses Manns war Wladimir Putin.
Denkt das russische Volk genauso? Glaubt man den Umfragen (was man angesichts der staatlichen Kontrolle über die Massenmedien nicht unbedingt kann), tut die Mehrheit das. Auch das scheint anachronistisch. Wäre das deutsche Volk erfreut, wenn Deutschland das Sudetenland oder Kaliningrad (früher Königsberg) zurückgewinnen würde? Mit ziemlicher Sicherheit wäre die deutsche Bevölkerung in ihrer Gesamtheit nicht erfreut. Wäre das polnische Volk erfreut, wenn Warschau Ostgalizien mithilfe verdeckter Militäraktionen erobern würde? Höchstwahrscheinlich nicht. Im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts mit seinen zwei Weltkriegen sind die westlichen Länder aus ihren imperialen Dummheiten herausgewachsen. Russland ist das offensichtlich nicht. Über dieses Problem muss die russische Regierung wie auch das russische Volk ernsthaft nachdenken.
Abschließende Bemerkungen
Niemand weiß, in welche Richtung sich der Donbass entwickeln wird. Wie viele ähnliche geopolitische Fragen wird womöglich auch die Donbass-Frage über die Politik der Großmächte und ohne viel Ansehen der Ukraine oder des Donbass „gelöst“. Auf jeden Fall war es Moskaus Militärintervention, die den Donbass-Albtraum geschaffen hat. Viele Menschen im Donbass sagen, dass der ganze militärische Konflikt nicht nachvollziehbar und geradezu absurd ist. Dafür gibt es einen Grund: Er wurde heimlich entworfen und von Außenstehenden geschickt getarnt.
Es stimmt, dass der Donbass lange Zeit ein Ort des Widerstands gegen großstädtische Machtzentren gewesen ist, der sich immer gegen Autoritäten von außen gewehrt hat. Das Motto des Donbass (aus einem Gedicht des dort lebenden Bergmanns Pawel Besposhchadnyi aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs) lautet: „Niemand hat den Donbass in die Knie gezwungen! Niemand wird das schaffen!“ [Donbass nikto ne stawil na koleni / I nikomu postawit ne dano!] Im Jahr 1991 und danach begann der Donbass dennoch, seine Zukunft in einer unabhängigen und freien Ukraine zu verorten, weil er keine Alternative dazu sah. Moskau drehte diese turbulente Entwicklung gewaltsam um. Durch die Abschaffung der ukrainisch-russischen Grenze in der Donbass-Region erweckte Moskau letzten Endes das legendäre widerspenstige „Wilde Feld“ zu neuem Leben. Kleine Teile der Donbass-Bevölkerung begannen, gegen Kiew zu den Waffen zu greifen, unterstützt von getarnten russischen Soldaten und Geheimagenten.
Der russische Dichter Nikolai Domowitow, der in den 1950er und 1960er Jahren im Donbass lebte, schrieb über den Donbass:
Weder Ukraine noch Rus, [Ne Ukraina i ne Rus]
Ich fürchte Dich, Donbass, ich fürchte Dich. [bojus, Donbass, tebja bojus.]
Domowitows Furcht hat sich als voraussehend erwiesen.
Wollte Moskau diese gefürchtete Region wirklich besetzen, als es in die Ostukraine einfiel? Will es das noch immer? Moskau hat den furchterregenden Geist des Donbass entfesselt und bereut das womöglich, denn die Donbass-Separatisten werden Moskaus autokratische Herrschaft morgen nicht mehr akzeptieren, wie auch immer ihre heutige Rhetorik lautet. Selbst Achmetow scheint sich abzusichern, indem er öffentlich weder Kiew noch die Separatisten unterstützt. Die Donbass-Bevölkerung als Ganzes wird Moskaus Herrschaft nicht akzeptieren. Das wird Kiew zugute kommen. Kann Kiew aber Köpfe und Herzen der Donbass-Bevölkerung gewinnen? Moskau kann sich zurückziehen und den Krieg beenden, wenn es das will. Der große Rest lastet dann auf Kiews Schultern. Dieser Beitrag wurde erstmals in den „Ukraine-Analysen 152″ veröffentlicht. Wir danken Hiroaki Kuromiya und der Redaktion der Ukraine-Analysen für die Zustimmung zur Veröffentlichung.
Übersetzung aus dem Englischen: Sophie Hellgardt
Lesetipps:
– Hiroaki Kuromiya, Freedom and Terror in the Donbas: A Ukrainian-Russian Borderland, 1870s–1990s. New York, Cambridge: Cambridge University Press, 1998.
– Marta Studenna-Skrukwa, Ukraiński Donbas. Oblicza tożsamości regionalnej, Wydawnictwo Nauka i Innowacje, Poznań, 2014.
– Zimmer, Kerstin: „Die Stimme des Donbass“, in Ukraine-Analysen Nr. 133 (27.05.2014)