Geld schafft Probleme und löst Probleme
Ein Gastbeitrag von Heiko Schröder, PhD
Wir alle leiden unter wachsender Ungleichheit, es behindert den Kampf gegen die Armut, es schädigt die Umwelt, es schädigt die Wirtschaft, es destabilisiert die Gesellschaft und es untergräbt die Demokratie. Joseph Stiglitz schreibt in seinem Buch Der Preis der Ungleichheit: „Die Ungleichheit … ist nicht vom Himmel gefallen. Sie wurde gemacht.“ Anthony B. Atkinson hat das Buch Ungleichheit – Was wir dagegen tun können geschrieben. Für beide Autoren ist Ungleichheit ein großes Problem, sie wollen sie auf ein Maß verringern, das wir als gerecht empfinden.
Wir Menschen werden immer viele Probleme haben. Oft brauchen wir Geld, um sie zu lösen. „Geld wird nur sinnvoll durch die Lösungen dieser Probleme, die es kaufen kann. Was die Gesellschaft braucht, sind diese Lösungen. Reichtum bedeutet Lösungen zu haben.“ (Eric Beinhocker, frei übersetzt vom Autor).
Wenn aber der weltbekannte Wirtschaftswissenschaftler Eric Beinhocker recht hat, wird Geld in unseren Gesellschaften an Bedeutung verlieren. Es geht um Lösungen für unsere Probleme – Reichtum bedeutet Lösungen zu haben – Probleme gibt es viele, und Geld ist nur ein Mittel um diese Probleme zu lösen. Unsere größten Probleme sind jetzt Klima, Ressourcenverbrauch, Artensterben, Umweltverschmutzung, ökologischer Fußabdruck. Dieser Problembereich muss in wenigen Jahren gelöst werden, damit wir uns nicht selbst zerstören. Ich will mich aber dem Thema wachsende Ungleichheit zuwenden, was vielleicht die größte Ursache für Unzufriedenheit in unserer Welt ist. Die Ungleichheit wird durch die Wirtschaftsformen geschaffen oder wenigstens ermöglicht.
Der Kapitalismus
Kapitalismus ist eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Angebot und Nachfrage bestimmen Markt und Produktion. Das Kapital sind Maschinen, Anlagen, Fabrikhallen, Geld, Fahrzeuge und so weiter. Dabei ist auch die menschliche Arbeitskraft eine Ware. Im Kapitalismus befindet sich das Kapital im Besitz von Unternehmern. Der Staat greift wenig oder gar nicht in das Wirtschaftsgeschehen ein. Die Unternehmer können weitgehend frei arbeiten und arbeiten lassen. Der Staat schützt das Privateigentum und die Unternehmer. So erklärt es die Bundeszentrale für politische Bildung.
Es gibt viele Namen und Formen des Kapitalismus, z.B. Freie Marktwirtschaft, Neoliberalismus, Turbokapitalismus, Killerkapitalismus, der von Helmut Schmidt gebrauchte Ausdruck Raubtierkapitalismus, der von Franz Müntefering benutze Ausdruck Heuschreckenkapitalismus. Aus der Sicht der freien Marktwirtschaft ist Ungleichheit kein Problem. Die freie Marktwirtschaft hat nicht das Wohl aller im Auge, sondern vor allem Wirtschaftswachstum.
Die Steuerpolitik von Ronald Reagan, Margaret Thatcher and Donald Trump basier(t)en auf der Trickle down Theorie, dass Wirtschaftswachstum und allgemeiner Wohlstand der Reichen nach und nach durch deren Konsum und Investitionen in die unteren Schichten der Gesellschaft durchsickern würden (Trickle-down-Effekt). Inzwischen haben aber führende Wirtschaftswissenschaftler wie Paul Krugman und Joseph Stiglitz erklärt, dass dies nicht funktioniert.
Der Kapitalismus läuft aus dem Ruder
Am Beispiel der USA sieht man in den letzten 70 Jahren einen stätigen kräftigen Anstieg der Produktivität in den USA. Ganz ähnlich waren die Entwicklungen auch in Europa. Aber beginnend Ende der 1970er Jahre hatte sich die wirtschaftliche Situation der Vereinigten Staaten zunehmend verschlechtert. Bis dahin waren die Löhne und Gehälter noch proportional mit dem Umsatz gestiegen. Dann führte die expansive Geldpolitik der Federal Reserve zu einer Inflation von 10–15 %. Gleichzeitig stagnierte das wirtschaftliche Wachstum bei steigenden Arbeitslosenzahlen. Dann wurde Ronald Reagan Präsident der USA und während die Produktivität weiter rasant stieg (bis heute), wuchs der Stundenlohn der werktätigen fast gar nicht mehr (siehe Abbildung1).
Abbildung 1: Die Schere: Die Produktivität und der Stundenlohn in den USA
Noch deutlicher zeigt Abbildung 2 den Einfluss der Wirtschaftspolitik von Ronald Reagan. Hier werden vor allem die Einkommensunterschiede zwischen den am meisten verdienenden 1% und der unteren 90% der Bevölkerung gezeigt. Seit Ronald Reagan (Präsident der USA von 1981 bis 1989) wurde die Freiheit der Unternehmer deutlich erhöht, durch drastische Steuersenkungen für die wohlhabenden und durch ebenso drastische Streichungen der Sozialleistungen.
Abbildung 2: Die Schere: Anteile der obersten 1% und der unteren 90% am Reichtum der USA von 1962 bis 2014.
Zu Beginn seiner Präsidentschaft hatten die unteren 90% zusammen noch einen Anteil von etwa 25% am Reichtum der USA und das obere 1% hatten etwas über 30%. Das heißt das zwischen dem Durchschnittsbesitz dieser beiden Gruppen zwischen 1975 und 1985 ein Faktor von etwas über 100 lag – was wohl fast allen Menschen schon als sehr ungerecht erscheint. Inzwischen ist der Anteil der unteren 90% auf etwa 5% abgesunken, während das obere 1% auf etwa 65% gestiegen ist. Damit ist obiger Faktor inzwischen auf über 1000 angestiegen.
Die Abbildungen 1 und 2 zeigen deutlich dass die „Trickle-down-Theorie“, nicht funktioniert; denn der der größte Teil der Bevölkerung hat kaum eine Einkommenssteigerung erlebt obwohl sich die Wirtschaftskraft mehr als verdoppelt hat. Paul Krugman zeigte, dass nicht nur die meisten Bürger von Reagans Wirtschaftspolitik nicht profitiert haben, sondern dass auch die Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft unter Reagans Politik erheblich gelitten hat. Ähnlich wie in den USA entwickelten sich die europäischen Länder, in Großbritannien wurde dies durch Margaret Thatcher (von 1979 bis 1990 Premierministerin des Vereinigten Königreichs) forciert.
Die soziale Marktwirtschaft ist kein Raubtierkapitalismus
Schon bald nach dem zweiten Weltkrieg hat Ludwig Erhard in Deutschland die soziale Marktwirtschaft eingeführt. Sie wurde auch Bestandteil der EU. Sie etabliert soziale Sicherungssysteme. Dazu zählen unter anderem die Vollbeschäftigung, Sozialhilfeleistungen, Umverteilungen, Zuschüsse und insbesondere eine soziale Absicherung für Alte, Kranke und Arbeitslose.
Die soziale Marktwirtschaft unterscheidet sich daher deutlich vom Raubtierkapitalismus, ist aber auch weit entfernt von dem moralischen Kapitalismus und der Gemeinwohl-Ökonomie. Diese gehen weiter und stellen Gerechtigkeit und das Wohl des Bürgers in den Mittelpunkt.
Unser Grundgesetz besagt, dass die Wirtschaftsordnung verändert werden kann: „Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche, keineswegs aber die allein mögliche. Sie beruht auf einer vom Willen des Gesetzgebers getragenen wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidung, die durch eine andere Entscheidung ersetzt oder durchbrochen werden kann.“
Die Regierung kann und sollte sich also zum Ziel setzen, eine Wirtschaftsordnung zu gestalten, die zu mehr Gerechtigkeit führt. Wir Wähler sollten sie mehrheitlich dazu drängen.
Mehr Lösungen statt mehr Umsatz
Kessler in Die Kunst, den Kapitalismus zu verändern kann sich gut vorstellen, wie sich das Raubtier Kapitalismus zu einem humanen/moralischen Kapitalismus umwandeln lässt. Er schreibt: „Der Staat muss die Grundversorgung dem kapitalistischen Renditedenken entziehen. Länder wie Deutschland oder Österreich sind so stark, sie müssten bei diesem Übergang in eine soziale und ökologische Wirtschaft vorangehen.“ Christian Felber kommentiert Kesslers Buch „…das nur eine Schlussfolgerung zulässt: Alles ist tatsächlich zum Besseren veränderbar“.
Eric Beinhocker sagt: „Wohlstand in einer Gesellschaft bedeutet, Lösungen für menschliche Probleme anzuhäufen“ und Richard Straub und Julia Kirby schreiben dazu „Indem sie Lösungen als Motor des Wachstums bezeichneten, wollten Beinhocker und Hanauer den Kapitalismus als Kraft für Wohlstand ausrufen – als das System, das den beständigsten Strom überlegener Ideen hervorbringt.“
Wachstum muss damit nicht mehr heißen: Mehr Verbrauch und mehr Umsatz, mehr Einkommen. Stattdessen werden mehr Lösungen für unsere Probleme benötigt, wobei zu den wichtigen Problemen zählt, die Umwelt zu schützen und für uns alle eine nachhaltige Lebensweise zu ermöglichen. Ein anderes Problem ist eben auch die wachsende Ungleichheit. Unsere Verfassung verlangt die Lösung solcher Probleme und auch die EU hat als Ziel „soziale Marktwirtschaft, sozialen Fortschritt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität“. Das ist nicht weit entfernt von der Gemeinwohlökonomie, die das Wohl von Mensch und Umwelt zum obersten Ziel des Wirtschaftens erhebt.
Unsere Regierung hat die Macht
Die Verfassung gibt der Regierung den Auftrag, „einen Ordnungsrahmen für einen privilegienlosen Leistungswettbewerb zu setzen, der private und staatliche Macht begrenzt, eine effiziente Güterversorgung gewährleistet und als umfassende Lebensordnung auch einen Rahmen für die geistig-seelische Existenz der Menschen bietet. Er sollte für Bedürftige sorgen, ohne die Wettbewerbswirtschaft zu beeinträchtigen und die Eigenverantwortung der Bürger zu lähmen.“
Das Grundgesetz gibt der Regierung auch die Macht solches durchzusetzen, z.B.: Artikel 15 des Grundgesetzes bestimmt unter dem Stickwort Sozialisierung: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“. Damit ermöglicht das Grundgesetz ausdrücklich Wohnungsenteignung, Privatisierung von Banken oder ganzer Industrien, wie zum Beispiel der Bereiche Ressourcenabbau und Energieversorgung ein Bereich, wo mehr staatliche Eingriffe wohl notwendig sind, damit die Klimakrise schnell und mit möglichst wenig Schaden bewältigt werden kann.
Die Regierung hat in Deutschland sogar mehr Macht, als sie nach dem Prinzip der Gewaltenteilung haben sollte. „Der Justizbereich ist einem Regierungsmitglied (Minister) hierarchisch unterstellt. Die Gerichte werden von dem übergeordneten Ministerium als „nachgeordnete Behörden“ bezeichnet und behandelt. Der Justizminister ist weisungsbefugter Vorgesetzter der Staatsanwälte. Er ist als Mitglied des Kabinetts den Kabinettzwängen und der Kabinettdisziplin unterworfen. Der Minister ist Politiker und dient seiner Partei.“ Die Regierung hat dadurch noch mehr Macht, unser Wirtschaftssystem zu ändern, wenn sie oder ihre Wähler das wollen, indem sie (genauer der Bundestag) die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen selbst schafft.
Die soziale Marktwirtschaft hat ihren Auftrag bisher nicht erfüllt
Die bereits entstandene Ungleichheit im Vermögen sollte reduziert werden, um wirksam die gewaltige Chancenungleichheit zu verringern, die zum Teil dadurch gegeben ist, dass wenige Kinder den Reichtum der Eltern erben, während die Mehrheit sich den Wohlstand erst erarbeiten muss. Dies kann durch Erbschaftssteuer und Vermögenssteuer geschehen. Die Erbschaftssteuer beträgt zurzeit in Deutschland maximal 50% mit Freibeträgen von 400.000 Euro für Kinder. Diese Sätze könnten erheblich verändert werden.
Die Vermögenssteuer wurde in Deutschland 1996 aus Verfassungsrechtlichen Gründen abgeschafft, weil sie als Ländergesetz nicht dem Gleichheitsgrundsatz entsprach. Sie könnte auf Bundesebene jederzeit wieder eingeführt werden und auch dazu beitragen, die Schere wieder weitgehend zu schließen.
Progressive Steuer oder Reichensteuer sind notwendig solange Einkommensunterschiede groß sind. Zurzeit ist der Spitzensteuersatz in Deutschland 47% in Skandinavien bis zu 56%. Wenn zum Beispiel das Ziel verfolgt werden soll, dass niemand ein mehr als 100-faches Einkommen des Durchschnittseinkommens hat (siehe Abbildung 2), weil die große Mehrheit der Bevölkerung ein höheres Einkommen als außerordentlich ungerecht empfindet, muss es möglich sein, hohe Einkommen auch hoch zu besteuern, oder in anderer Weise Einkommen zu begrenzen.
Die Süddeutsche Zeitung schreibt am 1. Mai 2019 „Mit Steuern und Abgaben lässt sich Wandel vorantreiben“ und „Deutschland muss sein verkrustetes Steuersystem aufbrechen“. Gerade das wird sie aber in dieser Legislaturperiode nicht tun, denn „Die aktuelle Regierung hat sich zum Beispiel in Zeile 419 des Koalitionsvertrages die Hände gebunden. „Keine Erhöhung der Steuerbelastung der Bürgerinnen und Bürger““.
Wohlstand für alle
Wohlstand für alle hatte schon Ludwig Erhard gefordert und seine Reformen waren zum großen Teil für das deutsche Wirtschaftswunder verantwortlich. Er erschuf die soziale Marktwirtschaft. Die Ziele der sozialen Marktwirtschaft wurden nie vollständig umgesetzt und könnten heute als Forderungen des linken Flügels propagiert werden. Es wäre ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung.
Die Ziele der sozialen Marktwirtschaft sind Vollbeschäftigung, Preisstabilität, Wirtschaftswachstum, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, also zum Beispiel Vermeidung von Auslandsverschuldung, gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung, Erhalt der natürlichen Umwelt. Deutschland hat die Ziele Preisstabilität und außenwirtschaftliches Gleichgewicht, gut erreicht. Der Begriff Wirtschaftswachstum sollte im Sinne von Beinhocker zu einem Wachstum in der Zahl der Lösungen für unsere Probleme umgedeutet werden. Vom Erreichen der Ziele Vollbeschäftigung, gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung und Erhalt der natürlichen Umwelt sind wir weit entfernt.
Die Regierung kann beschließen, dass Arbeitnehmer eines jeden Betriebes, oder auch nur für Betriebe ab einer gegebenen Größe die Arbeitnehmer am Gewinn beteiligen muss. Zusätzlich könnten langjährige Mitarbeiter das Recht erhalten, Miteigentümern zu werden. Mit solchen Maßnahmen kann erreicht werden, dass die Schere, nachdem sie sich wieder geschlossen hat, sich nicht wieder öffnet. Es würde zusätzlich dazu führen, dass Mitarbeiter ihre Arbeit als befriedigend empfinden und sich mehr für ihre Firma engagieren, weil es nicht nur ihre finanzielle Situation wesentlich verbessert, sondern ihnen auch mehr Verantwortung zugesteht.
Es ist nötig, dass die öffentlichen Verkehrsmittel so ausgebaut werden, dass unsere Autos weitgehend überflüssig werden. Fast alle Wege könnten zu Fuß oder mit dem Fahrrad in Kombination mit öffentlichen Verkehrsmitteln schnell zurückgelegt werden. Das könnte durch Anreize für die Wirtschaft, durch Zuschüsse an die Nutzer, durch staatliche Kontrolle oder sogar Verstaatlichung von Verkehrsbetrieben geschehen, so wie wir es bei Schulen und Teilen des Gesundheitswesens kennen. Alternativ könnten staatliche Firmen gegründet werden, die mit der Privatwirtschaft in Konkurrenz stehen, um Auswüchse in der Privatwirtschaft zu begrenzen.
Um Dinge für alle Bürger erschwinglich zu halten, könnte man Preisbindungen einführen. Preisbindungen stehen allerdings im Widerspruch zur freien Marktwirtschaft und können zu unerwünschten Nebeneffekten führen. Es gibt ja schon Preisbindung zum Beispiel für Druckerzeugnisse. Der Internethandel macht Buchläden und Verlagen aber heute das Leben schwer. Man kann übers Internet Bücher nicht nur billiger erwerben, man kann heute auch E-Books und Zeitungen und Zeitschriften runterladen. Der jetzt einfache Zugriff auf den internationalen Markt macht es schwer, lokale Industrien am Leben zu halten, wenn sie nicht international konkurrieren können.
Da man Wohnungen nicht importieren kann, könnten Preisbindungen für Mieten eingeführt werden, ohne, dass dies durch internationale Konkurrenz gefährdet werden kann. Jetzt hat der Berliner Senat einen Mietdeckel beschlossen, der Mieten erheblich reduzieren wird. Dagegen wird es noch einige Proteste geben, wenn der Mietdeckel aber tatsächlich durchgesetzt werden kann, ist zu erwarten, dass er sich deutschlandweit durchsetzt und einen erheblichen Beitrag zur Besserstellung der Geringverdiener leistet. Es müssen allerdings zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden, die dazu führen, dass genug Wohnraum zur Verfügung steht.
Wie weit wollen wir gehen?
Antony B. Atkinson schlägt vor das mit Erreichen der Volljährigkeit jeder ein erhebliches Mindesterbe erhält und für alle Kinder ein beträchtliches Kindergeld gezahlt wird. Dies würde auch eine andere Ungerechtigkeit adressieren, die nämlich zwischen den Generationen besteht, dass gerade die jungen Familien in unserer jetzigen Gesellschaft weniger Geld haben als ältere Menschen, deren Kinder schon erwachsen sind. Jetzt können sich junge Familien oft keine Wohnung angemessener Größe in guter Lage leisten, während ältere oft unnötig große Wohnungen blockieren. Dieses Mindesterbe könnte aus der Erbschaftsteuer und der Vermögenssteuer finanziert werden.
Ein noch größerer Schritt auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit, wäre es, Einkommen und Vermögen anzugleichen. Damit die Mehrheit unser System als gerecht empfinden, sollte der Faktor zwischen Höchst- und Niedrigeinkommen nicht größer als 10 sein. Christian Felber behauptet, dass weltweit der Faktor 10 gewinnt, wenn über die Eingrenzung der Ungleichheit abgestimmt wird. Dieses Ziel muss aus unserer jetzigen Situation heraus als utopisch bezeichnet werden – zurzeit gibt es kein Land, dass dem nahekommt. Wir werden uns diesem Ziel nur langsam und schrittweise annähern können, denn politische Systeme sind schwerfällig. Aber der Staat hat die Macht, dies durchzusetzen.
Beinhocker nennt unser Wirtschaftssystem ein komplexes adaptives System. Es ist ein System in dem ständig neues ausprobiert wird und vieles nicht klappt, in dem aber letztlich doch die Spreu von dem Weizen getrennt wird durch Politiker, Expertengruppen und vor allem durch uns, den Wählern und Kunden. Die Schere kann und wird (Meinung des Autors) wesentlich weiter geschlossen werden und wir Wähler können entscheiden, wie weit wir sie schließen wollen. Wenn wir den Faktor 10 tatsächlich in weiter Zukunft erreicht haben, wollen wir ihn vielleicht sogar noch etwas weiter reduzieren – wir können es.
Das sollte in einem Artikel über Kapitalismus aber nicht passieren. 🙂 Der Mann heißt Ludwig Erhard.
Aber nicht die Soziale Marktwirtschaft, die sich Ludwig Erhard vorstellte. Er benannte die Soziale Marktwirtschaft so, weil für ihn Marktwirtschaft an sich sozial war. Erhard würde heute überall als Marktradikaler durchgehen. Wenn die Deutschen heute von der guten alten Zeit in den 50er Jahren schwärmen, in der noch alles gut und fair war, schwärmen sie in Wirklichkeit von der neoliberalsten Epoche, die es in der Bundesrepublik je gegeben hat.
Wer heute eine Lösung für aktuelle Probleme sucht, sollte einmal Ludwig Erhards Programmschrift lesen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wohlstand_f%C3%BCr_Alle_(Buch)
Es lohnt sich.
„wir Wähler können entscheiden“
Das sehe ich nicht so. Die „Volksvertreter“ in den Parlamenten fühlen sich doch schon lange nicht mehr an die Bedürfnisse und Vorstellungen der Bevölkerung gebunden. Gerade wenn es um das Auseinanderklaffen der Einkommens- und Vermögensverhältnisse geht, wird doch ausschließlich den Wünschen des reicheren Teils der Bevölkerung nachgekommen. Die Interessen der „ärmeren“ zwei Drittel werden maximal wahr genommen, wenn Wahlen anstehen. Dazu gibt es auch sehr erhellende Studien (leider finde ich die Links dazu nicht) für Deutschland und die USA.