Vom 29. bis 30. November fand in Brüssel die erste Veranstaltung zu mehr Beteiligung mit Hilfe von Prinzipien der LiquidDemocracy statt. Im MundoB in Brüssel trafen sich ca. 60 Menschen aus einem Dutzend Ländern und vier Kontinenten auf Einladung der Europaparlamentarierin Julia Reda.
Ein Bericht von Martin Delius
„Als einziges Mitglied einer europaweiten Bewegung im Europäischen Parlament frage ich mich wie ich die Menschen an meiner Arbeit beteiligen kann.“, begrüßt die einzige Europaabgeordnete der Piratenpartei Julia Reda die Teilnehmenden des ersten Europäischen LquidDemocracy MeetUps in Brüssel. Eingeladen hatte sie zu einem Netzwerktermin zum Thema LiquidDemocracy mit dem Ziel Methoden zu finden, mit denen sie Menschen an ihrer täglichen Arbeit beteiligen kann.
Während die Idee von online Portalen, die es Nutzerinnen und Nutzern ermöglichen direkt oder durch Delegation der eigenen Stimme an politischen Entscheidungen teilzunehmen, mit dem Niedergang der Piratenpartei in Deutschland schon wieder an Popularität verloren hat, steckt die Bewegung auf Europäischer Ebene noch in den Kinderschuhen. Schon am ersten Tag wird klar: Die Dynamik in der Community ist groß. Entsprechend eng ist der Terminplan. Zwischen zwei und fünf Uhr nachmittags stellen sich am ersten Veranstaltungstag insgesamt 12 konkrete Projekte vor.
Die Projekte sind vielfältig und können hier nur angerissen werden. Einige konzentrieren sich auf valide Entscheidungen wie LiquidFeedback oder dessen Substitute. Für andere Projekte liegt der Schwerpunkt auf strukturierten Diskussionen wie der Entwicklung des Tempelhofer Feldes in Berlin (Adhocracy) oder Diskussionen zur OpenData-Agenda in Mexiko (Democracy.OS.). Wie lebhaft die internationale Community ist, zeigt spätestens der Vorschlag eine Art LiquidDemocracy-SuperPAC – eine legale Möglichkeit für große Kampagnenspenden in den USA – zu gründen, um US-Amerikanische Demokratiedefizite aus Sicht der flüssigen Demokratie auszugleichen.
Dabei sind sich nicht alle Projekte über die Grundlegenden Fragen im Zusammenhang mit LiquidDemocracy und online Demokratieplattformen einig. Eine der wichtigsten ist wie offen, wie nachvollziehbar oder wie anonym eine Abstimmung im Internet sein kann und muss. Eine auch in Deutschland und zum Beispiel der Deutschen Piratenpartei ungelöste Frage ist dabei das Verhältnis von Macht und Verantwortung in so einem offenen System der Partizipation an politischen Entscheidungen. Inwieweit sind Menschen in einem verbindlichen Entscheidungsprozess zur Transparenz und Rechtfertigung verpflichtet? Welche Ansprüche dürfen LiquidDemocracy-Systeme an ihre Teilnehmenden stellen? Die erfahrenen Nutzenden und Entwickelnden aus Europa und Amerika konnten sich im Rahmen des Wochenendes nicht schlussendlich einigen. Es darf aber angenommen werden, dass die Vernetzung der verschiedenen Akteure auch an dieser Stelle zu mehr interessanten Lösungen führen wird.
Praktischere Ansätze und Diskussionen waren der zweite Aspekt der Veranstaltung. Im Zentrum steht die Frage wie die Beteiligung von Europäerinnen und Europäern an der Arbeit von Mitgliedern des Europäischen Parlaments revolutioniert werden kann. Anfragen stellen, Gesetzesänderungen einbringen oder sogar die knappe Redezeit nutzen, um die Diskussionen und Vorschläge aus einer LD-Plattform in das Europäische Parlament zu tragen, sind die Vorschläge der gastgebenden Europaabgeordneten. In der Folge ging es sofort um die Umsetzung, denn viele entscheidende Fragen sind noch ungeklärt. Welche Art der Akkreditierung ist nötig um die Entscheidungen und Einflüsse zu legitimieren und verlässlich zu machen? Welche Software ist die Richtige für bestimmte Aufgaben der Abgeordneten? Soll es eine Möglichkeit geben das Abstimmungsverhalten der unabhängigen Abgeordneten zu beeinflussen oder sogar Vorabstimmungen zu Entscheidungen des Parlaments in einem Europaweiten LD-System abgehalten werden? Gibt es eine Möglichkeit mit einer entsprechenden Plattform Menschen in Europa an der Verwendung Europäischer Haushaltsmittel zu beteiligen?
Die Teilnehmenden vereinte dabei das Gefühl mit diesen Fragen echtes Neuland zu betreten. Der Enthusiasmus der Aktivistinnen und Aktivisten über die Möglichkeit mit einer Europaabgeordneten eine unmittelbare Stimme im Parlament zu bekommen, war spürbar. Auch wenn Julia Reda alle Mühe hatte die Erwartungen zu Dämpfen und den Teilnehmenden eine realistische Einschätzung über ihre eigenen Möglichkeiten im Europäischen Politikbetrieb zu vermitteln, war das Ziel für viele der Anwesenden klar: Wir können und wollen ein neues Beteiligungskonzept für die Arbeit im Europäischen Parlament entwickeln.
Und das ist dann auch die beste Nachricht des Wochenendes. Das erste online Partizipationssystem auf Basis flüssiger Demokratie auf Europäischer Ebene wird kommen. Die Tatsache, dass es aus dem Parlament unterstützt wird, kann als gutes Zeichen für die Souveränität der Parlamentarierinnen und Parlamentarier gegenüber der mächtigen Kommission gewertet werden. MEPs wie Julia Reda warten nicht auf die großen neuen Konzepte für die Europäische Integration. Sie rücken das Parlament näher an die Menschen und machen die Integration der Menschen in Europa zu Schwerpunkten ihrer parlamentarischen Arbeit. Sollten solche Projekte Schule machen und auch die Fraktionen im Parlament, wie die Greens/EFA in diesem Fall, echtes Engagement beweisen, brauchen wir uns um die Zukunft einer demokratischen und von Nationalstaaten emanzipierten Europäischen Union weit weniger Gedanken machen als die Wahlergebnisse von Europagegnerinnen und Europagegnern bei den letzten Wahlen vermuten lassen.