Von der Lüge im Politischen Teil 2
Ein Gastbeitrag von Susannah Winter
Bevor ich, wie bereits im ersten Teil angekündigt, auf die Frage nach der Lüge in Presse und Journalismus eingehe, möchte ich noch einmal kurz die Definition von „Lüge“ erläutern, die auch dem letzten Text als Einleitung dienen sollte: Das Wesen der Lüge ist vornehmlich die Intention, der Vorsatz. Sei es, um sich besser darzustellen, sei es für andere Formen der eigenen Vorteilsnahme.
In diesem Kontext gilt es nun auch, einen Mode gewordenen Schlachtruf dieser Tage zu betrachten:
„Lügenpresse“ – spätestens seit Aufmarsch der ersten Pegida-Veranstaltungen, der „Friedenswinter“-Bewegung, die mit Frieden herzlich wenig am Hut hatte, seit Populisten aller politischen Lager wachsenden Zulauf verzeichneten, geisterte dieser Vorwurf durch die Gesellschaft. Vor allem das rechte Lager skandierte diesen Begriff genüsslich und häufig in einem unerschütterlichen Glauben an eine „links-grün-versiffte“ (sic) Presse, die in ihren Augen den „Willen des Volkes“ verlog.
Nun ist der Begriff an sich nicht sonderlich originell, dafür aber umso geschichtsträchtiger.
„Im Kontext des Ersten Weltkrieges fand „Lügenpresse“ sehr viel häufiger Verwendung; hier bezeichnete es aus Sicht Deutschlands und Österreich-Ungarns die Presse der Feindstaaten. Sowohl vor als auch im Nationalsozialismus nutzten NS-Agitatoren das Schlagwort im Rahmen ihrer antisemitischen Verschwörungstheorie zur Herabsetzung von Gegnern als Kommunisten und Juden sowie der Behauptung einer Steuerung der Presse durch ein „Weltjudentum“. Nach der Machtergreifung und der Gleichschaltung der Inlandspresse wurden die Medien der späteren Kriegsgegner mit „Lügenpresse“ geschmäht.“ (Quelle)
Wer hier ab der einzig als ehrlich identifizierten Berichterstattung schreibt, der ist „Mainstream“ und damit wenigstens „Agitator“. Vor allem aber eines: Teil einer großen Verschwörung der Presse in ihrer, doch bunten, Gesamtheit gegen vornehmlich rechte Ideen, die nicht viel mehr im Sinn haben, als die Gesellschaft nach „Volkes Willen“ zu formen.
Neben den, durch Trumps Sprecher zu großer Bekanntheit gelangten, „Alternative Facts“ gibt es für die Verfechter des Begriffes „Lügenpresse“ gefeierte „Alternative Medien“. Großer Beliebtheit in Sachen vorgeblicher Wahrheitssuche und -Findung erfreuen sich hier z.b. RT-Deutsch, PI-News, Netzfrauen, Deutsche-Wirtschafts-Nachrichten, Ken-FM, Junge Freiheit, der Kopp-Verlag, mit all seinen bunten Eso-Schwurbeleien und antisemitischen Schriften. Keine dieser Seiten glänzt durch Aufklärung oder sachliche Berichterstattung. Viel ist sogar nachweislich falsch. Nicht zu vernachlässigen ist auch noch immer die „BILD“, längst angekommen in bürgerlichen Stuben, weitestgehend akzeptiert, trotz nachweislicher Falschmeldungen, presserechtlich bedenklicher Nutzung privater Fotos und diverser Nachweise über unwahre Berichterstattung. Von angst- und panikschürender Aufmachung ganz abgesehen. Eine kleine, aber hilfreiche Übersicht findet sich hier.
Auch YouTube erfreut sich größter Beliebtheit. Videos ohne Time-Stamp oder Quellenhinweis, dafür aber mit gewünschtem Inhalt und Fazit werden fleißig geteilt. Bekannt wurde dabei das, sehr offensichtlich, retuschierte Bild einer jungen Frau, die ein Schild in die Höhe hält. Das Original las sich: „Will trade Racists for Refugees.“ Daraus machten ein paar Rechte mit billigstem Copy+Paste sowie laienhaften Photoshop-Fähigkeiten „Will trade Racist for Rapist“. Die Anhänger jedoch nahmen die Retusche für bare Münze und teilten, was das Zeug hielt. Niemand fragte die junge Frau, niemand hinterfragte die Motivation der Postenden, niemand sah genau genug hin, um die offensichtliche Fälschung zu durchschauen.
Die großen Kritiker der Presse, Vertreter der Wahrheitsfindung, offenbaren hier ihre Doppelmoral und den Kern ihrer eigentlichen Haltung:
„Wahr ist, was meine Meinung repräsentiert, Lüge ist, was mir widerspricht.“
Zudem eröffnet sich in der Auswahl der genutzten Zeitungen und Blogs eine große Ahnungslosigkeit darüber, was Journalismus können muss und was nicht. Was die Arbeit eines Journalisten eigentlich ausmacht. Und was die Pflicht des Lesenden ist.
In meiner Zeit des Bloggens ist es mir mehr als einmal passiert, dass ein Kommentator meinte: „Das bisschen Schreiben ist doch in zehn Minuten getan.“ Nun mag dies für Kommentare auf Facebook gelten, die zudem oft getätigt werden, ohne dass je mehr als die Überschrift gelesen wurde. Tatsächlich steckt aber, vom journalistischen Beitrag bis hin zu halbwegs zusammenhängend geschriebenen Blogbeiträgen, in den Texten mehr als „nur das bisschen Schreiben“. Ein Journalist leistet Vorarbeit. Recherchieren, Lesen, Vergleichen, Schreiben, Redigieren. Quellen prüfen, Text überarbeiten und strukturieren. Kurz: Er erarbeitet den Beitrag, den es dann zu diskutieren gilt, der im besten Falle informiert, interessiert, Kontroversen auslöst und im besten Fall hin und wieder zum Denken anregt.
Ein Leser, der sich den Bruchteil der Mühe geben möchte, bemüht sich bei Kritik um ebensolche Sachlichkeit und bedient sich ähnlich mühsam angelesener Argumente und Fakten – sollte man meinen. Wären da nicht Vorurteile, Meinungen und Bauchgefühle, mit denen sich nur schwer diskutieren lässt. Ebenso wenig wie mit den heutigen, ganz offen herausgebrüllten, Bekundungen von Hass ohne Sinn und Verstand.
„Wer, Wie, Was, Wieso, Weshalb, Warum – Wer nicht fragt bleibt dumm“ – mit diesen Zeilen sind viele von uns aufgewachsen. Als „W-Fragen“ sind sie uns im Deutschunterricht wiederbegegnet, als man uns vermitteln wollte, dass sich durch sie ein Text und seine Bedeutung auf grundsätzlichen Ebenen aufschlüsseln lässt. Dennoch ist in der Verrohung des öffentlichen Diskurses die Abkehr von inhaltlicher Debatte und diesem Stückchen Basisbildung augenscheinlich.
Wer es sich leicht machen will, schreit jetzt „Lügenpresse“ und bezeugt damit keine Wahrheiten, sondern seinen Mangel an argumentativen und intellektuellen Fähigkeiten. Mit dem Intellekt ließe sich erschließen, dass ein Rundumschlag, ein Kollektivismus, der alle Journalisten einschließt, ein dumpfes Pauschalurteil, nie komplexen Sachverhalten gerecht werden kann. Hat man dies erstmal verstanden, wäre argumentativ viel gewonnen, wenn konkrete Beispiele für mangelhafte Berichterstattung genannt und diese inhaltlich korrigiert würden.
Denn tatsächlich gäbe es genug zu kritisieren. Klug und journalistisch hochwertig betreibt die Kritik an Teilen der Presse seit Jahren Stefan Niggemeier mit seinen Blogs. Derzeit „Uebermedien“. Ebenso verlässlich die Betreiber des „BILD-Blog“, die für orientierungslose Bild-Leser und alle anderen Interessierten ein Medium der Aufklärung bieten. Aber auch andere Journalisten, Teil des angeblichen Spektrums „Lügenpresse“ kritisieren, komplett unbehelligt und ohne ihre Arbeit zu verlieren oder Repressionen fürchten zu müssen, immer mal wieder Aspekte des journalistischen Betriebes.
Der qualitative Unterschied: Konkrete Kritik an Teilen der Berichterstattung, einzelnen Journalisten, nicht die Verurteilung des gesamten Mediums Presse. Von der „Welt“ über die „FAZ“ ist nicht selten die Qualität wie auch die inhaltliche Richtung abhängig von den Fähigkeiten und Weltanschauungen des jeweiligen Journalisten. Denn ja, es gibt sie, die konstanten Schönungen, die Fehlentwicklungen und Einseitigkeiten. Wo Menschen arbeiten entsteht Menschliches – mit all seinen Mängeln.
Als unendliche Geschichte darf hier wohl z.b. die Tagesschau mit ihren, wenigstens wöchentlich präsentierten, Statistiken zur Arbeitslosigkeit genannt werden. Ausgerechnet das alte Flaggschiff der Nachrichtenwelt wird nicht müde, hier in schöner Regelmäßigkeit unhinterfragt die ganz offen geschönten Statistiken der Bundesagentur für Arbeit weiterzureichen.
Der Hinweis auf der ARD-Seite selber besagt zwar, dass die Schönung der Zahlen überall üblich sei, man sich dessen bewusst sei und die Berechnung dieser Zahlen und vor allem die Art der Berechnung eben der Regierung unterliege, fügt aber hinzu, dass damit die aktuellen Zahlen nicht mit denen des Vorjahres zu vergleichen seien. Und tut eben dies dennoch in fast jeder Sendung. Ein wenig journalistische Sorgfaltspflicht hätte schon ausgereicht, um realistischere Zahlen zu ermitteln. „Die Linke“ stellt regelmäßig realistische Zahlen ins Netz, und auch „Welt“ und „Spiegel“ haben, wie so viele andere, bereits berichtet. Leider aber nicht mit der gleichen Breitenwirksamkeit, wie dies der Tagesschau möglich ist. Und auch die ständige Wiederholung spielt eine Rolle bei der Frage, was in den Köpfen der Leser und Zuschauer hängenbleibt.
Ob hier das Schönen von Statistiken zu Stimmungszwecken, ganz im Sinne der „Deutschland geht es so gut wie nie“-Rhetorik, „Lüge“ zu nennen wäre? Vielleicht. Angesichts des Zeitrahmens und des kenntlich gemachten Bewusstseins um das Entstehen der Zahlen könnte man durchaus Vorsatz und Intention unterstellen.
Kritik zu üben wäre zudem dringend notwendig, wenn es um Terrorberichterstattung geht und verweise an dieser Stelle gerne auf einen alten Beitrag. Auch der Polit-Talk-Rummel des öffentlich-rechtlichen macht vor RTL-ähnlichen Aufmachern kein Halten mehr. Und erzeugt Stimmungen und schürt Ressentiments. Polemik und Populismus sind eben nicht nur ganz rechts und ganz links zuhause.
Auch ist es sinnvoll, sich für ein besseres Verständnis unterschiedlicher Sichtweisen und einer möglichen Entfremdung zwischen weiten Teilen der Journalisten und bestimmter Leser- und Zielgruppen mit der Sozialisation von Journalisten und der Tatsache zu befassen, dass jeder von uns eine Sicht auf die Welt pflegt, die von seinen Erfahrungen und seinem sozialen Umfeld geprägt ist. Ein Großteil der Journalisten in Deutschland entstammt dem Mittelstand. Nur 9 % von ihnen kommen aus Arbeiterverhältnissen. Aufschluss darüber gibt eine Studie von Professor Dr. Hans Mathias Kepplinger, die als PDF-File online kostenlos zu haben ist und die Lektüre lohnt. „Milieus und Medien – Bundeszentrale für politische Bildung“.
Auch auf den Zusammenhang von Herkunft der meisten Journalisten und z.b. mangelhafter Berichterstattung zum Thema „Armut“ habe ich bereits in der Vergangenheit ausführlich hingewiesen.
Und zu guter Letzt muss ich an dieser Stelle an Teil eins dieses Beitrages anknüpfen: Eine Presse und damit Journalisten, die zulassen, dass Inhalte und Fakten, Gleichmaß und ein breites Spektrum an Repräsentation der Gesellschaft, gerade in breitenwirksameren Sendungen und Blättern inhaltsleerer Rhetorik, Werbung und Schlagworten weichen, legt auch einen der vielen Grundsteine, die Populisten und „Lügenpresse“-Rufern in die Hände spielen. (Man google nur mal die Schönung der Arbeitslosenzahlen und hat sie wieder – „Pravda.TV“ und alle anderen Verschwörungsblätter.) Geschaffen wird so ein Klima aus Hass und Angst. Die vielen Journalisten, die sich dieser Entwicklung selber hilflos gegenübersehen haben jedoch das Recht, hier nicht mit in Sippenhaftung genommen zu werden. Und wirklich niemand in dieser Gesellschaft muss sich für Ausübung seines Berufes beschimpfen und beleidigen lassen.
Spin Doctors, Eigeninteressen, Marketing, Auflage, Einschaltquoten sind eine Seite der Medaille. Das Gegengewicht bilden Neugierde, Interesse, Idealismus, harte Arbeit, Wille zur Aufklärung und Weit- und Umsicht.Beide Seiten sind in unserer Presselandschaft zu finden, wenn man sich die Mühe macht, etwas genauer hinzusehen und zu differenzieren. Nicht jeder Journalist der etablierten Blätter und Magazine ist ein „Lügner“. So wie nicht jeder Kritiker der Presse ein „Verschwörungstheoretiker“ ist. Die legitime und notwendige Kritik an Teilen der Presse droht jedoch bedauerlicherweise unterzugehen im lauten Krakeelen derer, die sich im vermeintlichen Besitz der einen und einzigen Wahrheit glauben.
Der Artikel bringt es auf den Punkt: Egal ob etabliertes „klassisches Informationsmedium“ wie z.B. Tagesschau aber auch viele andere, oder gerade neu entstandener „alternativer“ Blog. Man muss darauf schauen, wie Informationen dargeboten werden: Gibt es Quellenangaben? Wenn ja, wie glaubwürdig sind diese? (wenn es z.B. eine Studie ist: Wer hat sie in Auftrag gegeben, wer bezahlt?). Wenn es sich um Erfahrungen von Personen oder Gruppen handelt: Welche Interessen haben diese Personen oder Gruppen? Kann man ihre Erfahrungen verallgemeinern? Falls ja, kann man sie global verallgemeinern oder nur regional? Wird die Berichterstattung von einer Darstellung der Meinung des Autors getrennt? Und… Und… Und…
Von daher: Ja, mit 10 Minuten Schreibarbeit um irgend etwas in irgendeinen Blog zu ko…. ist es ganz sicher(!) nicht getan. Von kaum verdeckter Agenda – Propaganda in manchen Internetmedien ganz zu schweigen. Beispiele finden sich im Artikel.
Leider „bekleckern“ sich auch die „etablierten Informationsmedien“ diesbezüglich nicht mit Ruhm. Die Tagesschau wurde in Bezug auf die Arbeitslosenzahlen angesprochen. Leider nicht das einzige Thema, das zu nennen wäre. Aber auch ehemals wirklich gute Printmedien haben bisweilen erhebliche „Schlagseite“, gerade wenn es um bestimmte Themen geht.
Man kann hier, ebenso wie es im Artikel bezüglich der Arbeitslosenzahlen bei der Tagesschau getan wird, m.E. durchaus Absicht unterstellen die – so meine persönliche Meinung – von einer zu großen Nähe zu bestimmten politischen Akteuren herrührt.
Was das Internet betrifft gibt es neben den negativen Beispielen aber auch eine ganze Reihe von positiven Akteuren. Selbst wenn es manchmal nur kleine Blogs sind, die zum Teil auch kostenpflichtig sind um sich überhaupt über Wasser halten zu können, so haben gerade diese oftmals eine (journalistische) Qualität, die sehr positiv überrascht und bringen Informationen in einer Ausgewogenheit, die ich ansonsten schmerzlich vermisse. Vor allem wird dabei strikt(!) zwischen Berichterstattung und eigener Meinung getrennt. Ich will mich informieren und brauche keine „Meinungspädagogen“, wie sie leider immer öfter in einschlägigen Blogs einerseits aber leider auch in etablierten Medien andererseits vorkommen. Der Begriff „Lügenpresse“ ist dabei falsch und führt in die Irre. Es ist oft subtiler: „Lückenpresse“ ist, zwar nicht immer aber leider oft genug, eher angebracht. Dabei bezieht sich die „Lücke“ manchmal auf das Unterlassen relevanter Informationen, das übermäßige Hervorheben von bestimmten Sachverhalten und das nur „nebenbei Erwähnen“ von anderen und/oder das Fehlen von Quellenangaben.