Phönix aus der Asche

Ein Gastbeitrag von Susannah Winter

Nochmal wie Phönix aus der Asche zu steigen, runderneuert und strahlend – darauf hoffen derzeit die Spitzenpolitiker der SPD wie auch ihre verbliebenen Mitglieder.
Die geschichtsträchtige Partei, wesentlicher Teil der frühen Arbeiterbewegung, deren Mitglieder immer wieder Verfolgung erlebten, die in ihrer Blütezeit Vorreiter sozialer Ideen war, fest in Gewerkschaften verankert und über den Kurs von Jahrzehnten nicht wegzudenken als Vertreter des „Proletariats“, des viel zitierten „kleinen Mannes“, sie schickt sich an, nicht mehr Geschichte zu schreiben, sondern Geschichte zu werden.

Infratest Dimap sieht die SPD in Umfragen derzeit bei 19 Prozent.

Ein Debakel für eine Partei, die sich noch immer als „Volkspartei“ versteht und die seit 1945 noch nie derart wenig Zuspruch erlebt hat.
Ein Debakel für eine Partei, deren Stimmenanteil zwischen 1949 bis 2002 konstant um die 30 Prozent lag.
Ein Debakel für eine Partei, die in ihrer Blütezeit zwischen 1961 und 1980 unter Brandt und Schmidt über 40 Prozent der Wähler hinter sich wusste.

Ein Debakel für eine Partei, die zudem repräsentieren sollte, was selten so nötig war, wie heute: Sozialdemokratie.

Denn die Abkehr der Wähler von der SPD ist alles, nur keine Abkehr von der Sozialdemokratie.

Sie ist lediglich Rückzug von einer Partei, die sich die Geschichte einer Arbeiterpartei in roten Farben ans Revers heftet, ohne deren Inhalte und Ideen hochzuhalten. Eine Lossagung von denen, deren Leidenschaft für die Interessenvertretung der kleinen Arbeiter und des Prekariats nur noch vor Wahlen aufkeimt und nach Wahlen eingemottet wird. Eine Entzweiung von denen, die sich in alten Schlachtrufen und hohlen Phrasen von „sozialer Gerechtigkeit“ ergehen, während sie gleichzeitig die alten Bündnisse mit Füßen treten und  Gesetze gegen Gewerkschaften verabschieden, anstatt „Seit‘ an Seit‘“ mit ihnen zu kämpfen. Sie ist der stumme Widerspruch gegen das Aushöhlen der Arbeitnehmerrechte. Ein Verzicht darauf, einer Partei allein auf Basis ihrer großen Vergangenheit die Treue zu halten, deren Interesse am Widerstand gegen herrschende Ungleichheit sich in den letzten Jahren auf rhetorisches Blendwerk reduziert hat, während sie in Regierungsverantwortung wachsende Kinderarmut, Prekarisierung von Arbeitsplätzen, Einschränkung von Gewerkschaften, Unterwanderung des Streikrechts, Altersarmut, Energiearmut, wachsende Chancenungleichheit in Bildungsfragen nicht nur mitgetragen sondern in Eigeninitiative vorangetrieben hat.

So streiten sich auch über zehn Jahre nach Gerhard Schröder Experten darüber, ob dessen Politik tatsächlich für den Zustimmungsschwund verantwortlich sei. Doch die Zahlen sprechen für sich. Die 19 Prozent sind keine „kleine Delle“ in den Umfragewerten. Sie sind das Produkt eines kontinuierlichen Niedergangs der SPD seit Schröder, der Agenda 2010 und der endgültigen Übernahme der „alten Tante SPD“ durch den Seeheimer Kreis, dem konservativen/rechten Flügel der SPD, der maßgeblich Schröders neoliberale Agenda stützte und soziale Einschnitte vorantrieb die alles in den Schatten stellten, was die neoliberale FDP auch nur angedacht hätte.

Seit Schröder haben die Seeheimer die Partei fest im Griff. Alle folgenden Kanzlerkandidaten, egal wie geschönt deren Wahlkampfgetöse auch angelegt war, waren Vertreter des Seeheimer Kreises. Steinbrück, Steinmeier, auch Schulz. Klingbeil, der SPD-Generalsekretär, Oppermann – um nur einige zu nennen.

Die Seeheimer bezeichnen sich selber vor allem als „Realisten“ und „Pragmatiker“ – „Realos“ also. Eine weitere Realität neben kapitalistischer, wirtschaftlicher und sonstiger Notwendigkeiten, das darf die SPD gerade feststellen, ist aber auch, dass jemand, der neoliberale und konservative Politik wünscht, dann doch lieber das Original in Form von FDP oder CDU wählt. (Die Erfahrung hat schon die CSU mit AfD-Rhetorik gemacht). Dass eine mögliche Aussichtslosigkeit, tatsächlich sozialdemokratische Politik gegen aktuelle Entwicklungen durchzusetzen eben keine Entschuldigung dafür ist, es nicht wenigstens zu versuchen.

So war dann in den letzten Wochen das Auftreten von Kevin Kühnert, dem Bundesvorsitzenden der Jusos, der laut und hörbar gegen eine erneute Große Koalition trommelte, erfrischend anders. Lebendig. Eine Erinnerung an alten, sozialdemokratischen Kampfgeist.

Darf man auf dieser Basis schon von Erneuerung träumen?

Die Wähler, die der SPD geblieben sind, sind vorrangig die, die eben schon immer SPD gewählt haben. Aus Tradition. Da ist er wieder, der Geschichtsbonus. Der Mythos „Arbeiterpartei“. Getragen von den Leuten, die ihre Begeisterung für Brandt und Schmidt ins Alter gerettet haben und die Entwicklung der SPD der letzten Jahrzehnte geflissentlich ignorieren.

Und junge Leute wie Kühnert, die  offenen Idealismus vor sich her tragen. Vielleicht verfing das Märchen der „Arbeiterpartei“, die Folklore, vielleicht glaubten sie der leeren Rhetorik.

Es bleibt die Frage, ob den SPDlern an der Basis wie auch den Jusos einfach nur nicht klar ist, dass die Zeiten tatsächlich sozialdemokratischer Ideen in der SPD vorbei sind.

So äußerte sich Kühnert unter anderem zur Zwei-Klassen-Medizin dahingehend, dass er sie durch eine Bürgerversicherung abgelöst sehen wolle, dass die Lücke zwischen Arm und Reich zu schließen sei. Er forderte Vermögensbesteuerung, einen höheren Mindestlohn, Bekämpfung der Leiharbeit.

Nun war es die SPD, die den Niedriglohnsektor und die Leiharbeit ausgebaut hat. Die auch in der Regierung keine Vorstöße gewagt hat, eine Bürgerversicherung auch nur anzudenken. In Sachen Einkommens- und Vermögenssteuer sieht in Retrospektive selbst Helmut Kohl neben Gerhard Schröder und die heutige SPD aus, wie ein großer Sozialist. Für den geringen Mindestlohn lobte sich die SPD selber über den grünen Klee – und sorgte gleichzeitig für derart viele Schlupflöcher (Sub-Unternehmen, 1-Euro-Jobs, Verpflichtung zur Arbeit bei Androhung von Sanktionen, mangelnde Kontrollen hinsichtlich unbezahlter Überstunden, unbezahlte Praktika), dass kein größerer Arbeitgeber befürchten musste, tatsächlich angemessene Löhne zahlen zu müssen. (Neben der Tatsache, dass ein einheitlicher Mindestlohn absolut keine Gerechtigkeit bedeutet. Wie ist es einem Kleinst-Friseursalon zuzumuten, denselben Lohn zu zahlen, wie einem Großkonzern? Hier wäre eine Staffelung orientiert an Umsatz und Gewinnspanne die bessere Idee gewesen.)

Und doch nimmt man Kühnert sein Engagement ab. Auch wenn die Frage bleibt: Warum?

Warum sieht ein junger Mann, der zudem Politikwissenschaften studiert, ausgerechnet in der SPD einen Partner für soziale Ideen und Veränderung der Gesellschaft hin zu mehr Chancengleichheit und Gerechtigkeit?

Kühnert und die Jusos stemmen sich mit aller Macht gegen die GroKo. Ihr Widerstand hat in der SPD viel Unmut hervorgerufen. Wie sieht die Zukunft innerhalb der SPD für einen aus, der sich sicher sein kann, dass niemand so schnell vergessen wird, dass er (beinahe oder tatsächlich – wir werden sehen) für ein Scheitern der großen Koalition gesorgt hat? Der die innere Zerrissenheit der SPD derart sichtbar gemacht hat, für jeden offenbar? Und zerrissen ist die SPD in vielerlei Hinsicht. Sie teilt sich in Jusos und Altgediente, in jung und alt, in rechts und links (wobei der linke Flügel keinen nennenswerten Einfluss mehr hat. Und der Politiker/innen wie Andrea Nahles zu ihren Vertetern zählt. Eine Frau, die Gewerkschaftsrechte mit einem Tarifeinheitsgesetz bomardiert hat und mit „Bätschi“-Rhetorik glänzt.)

An der Spitze der SPD haben es sich die bequem gemacht, die mit Sozialdemokratie tatsächlich nichts mehr am Hut haben. Und dort weiß man: Es ist eine Sache, symbolisch für etwas einzustehen. Hier verpflichtet sozialdemokratische Rhetorik aber lange nicht mehr zu sozialdemokratischen Inhalten.

Die Partei, die sich lange schon von ihren Wurzeln entfernt hat braucht  ihren Ableger „Jusos“ – vor allem als sozialdemokratisches Feigenblatt, das den Schein wahren soll. Die Aufgabe der Jusos und der Basis ist klar: An der Basis für die Spitze reden und trommeln. Überzeugungsarbeit bei den Jungen leisten – ohne jede Form der tatsächlichen Einflussnahme auf Regierung und Parteispitze.

Anstelle der Hoffnung auf Erneuerung bleibt zu befürchten, dass die Vereinnahmung der Jusos und Basis-Linken zum Zwecke der öffentlichen Rotfärbung einer Partei, die dies nur noch an Stellen ist, wo nichts zu holen oder zu entscheiden ist, nicht das Gegenteil bewirkt:

Den Erhalt genau der Strukturen, die für eine Erneuerung zu bekämpfen wären.

Und es bleibt noch eine weitere Frage offen: Verstehen Leute wie Kühnert, dass es einer Revolte im Inneren bedarf, eines Umsturzes der Parteiverhältnisse? Dass an den Futtertrögen der Macht niemand freiwillig die Segel streicht, ganz im Gegenteil sogar miteintscheidend darüber wirkt, wer nachrückt? Und gesiebt wird hier ganz sicher nicht nach sozialdemokratischen Maßstäben. Auch deshalb hat der Seeheimer Kreis sich so nachhaltig Schlüsselpositionen sichern können.

Die SPD hat sich im Laufe der letzten Jahre selber als „unglaubwürdig“ gebrandmarkt. Ihr altehrwürdiger Name ist Makulatur. Die Abkehr von sozialdemokratischen Werten und Ideen war ein nachhaltiger Affront gegen die Basiswählerschaft und trotz des Versuches, die Folgen des eigenen Tuns als Notwendigkeit zu verkaufen, hat sich die Lebensrealität der klassischen SPD-Wählerschaft in einer Weise geändert, dass Wahlkampfrhetorik nicht mehr verfängt.  Das Regieren gegen eine nicht zu vernachlässigende Gegenfront an Basis und der Wählerschaft lässt wenig Hoffnung auf Befriedung innerhalb der SPD. Und damit noch viel weniger auf Erneuerung. Die SPD scheitert an ihren Politgranden und deren Unwillen, von der Macht zu lassen oder gar zu der Einsicht zu gelangen, dass es für den Erfolg einer sozialdemokratischen Partei Sozialdemokratie und Sozialdemokraten braucht.

Vielleicht glimmt in der Asche der SPD hier und da noch ein wenig Glut und es verirrt sich der eine oder andere in die Partei, dem Sozialdemokratie eine Herzensangelegenheit ist, um sich irgendwann verwundert die Augen zu reiben.

Angesichts der derzeitigen Politik und Aufstellung der SPD ist an eine Erneuerung vorerst sicher nicht zu denken, sind die Umfragewerte nur konsequent.

Auch der Phönix brauchte das Ende eines Lebenszyklus‘, den Tod, bevor er sich wiedergeboren und in alter Stärke in die Lüfte schwingen konnte.

 

 

 

 

 

 

 

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