Peira
Zornpolitik: Wie Emotionen unsere Gegenwart bestimmen

Zornpolitik: Wie Emotionen unsere Gegenwart bestimmen

Einladung zur 40. Peira-Matinée
Zornpolitik: Wie Emotionen unsere Gegenwart bestimmen

3. Juni 2018  11:00 – 13:00 Uhr

Cum Laude das Restaurant
Humboldt-Universität zu Berlin
Platz der Märzrevolution
10117 Berlin

Ein Gespräch mit
Prof. Dr. Uffa Jensen, TU Berlin, Zentrum für Antisemitismusforschung

Moderation
Rainer Thiem
Peira – Gesellschaft für politisches Wagnis e.V.

Gäbe es einen Seismografen, mit dem wir die politischen Gefühle einer Gesellschaft messen könnten, würde dieses Gerät in unserer Gegenwart schwere Erschütterungen aufzeichnen. Die Liste der Beispiele ist lang: Im Wahlkampf 2017 beschimpften Bürger*innen die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel auf vielen Marktveranstaltungen mit zum Teil wüsten Schmähungen. In vielen Kommunen des Landes kommt es seit den Dresdner Pegida-Umzügen ab 2014 immer wieder zu lautstarken Demonstrationen, die gelegentlich sogar in gewalttätige Ausschreitungen münden, wie jüngst in Cottbus. In Berlin wurde vor Weihnachten der jüdische Inhaber eines Restaurants von einem Anwohner hemmungslos antisemitisch beleidigt, trotz (oder wegen) der aufzeichnenden Handykamera. In den sozialen Medien wie Facebook und Twitter hat sich ein beleidigener Ton etabliert, der bei jeder Diskussion über Flüchtlinge, Asylbewerber*innen und Muslime zusätzlich eskaliert.

Zwei Emotionen stechen aus den gegenwärtigen politischen Debatten hervor: Angst und Zorn. Sie entzünden sich regelmäßig bei Fragen der Einwanderung und insbesondere des Islam in Deutschland. Bei vielen Menschen mobilisieren die verbreiteten Zerrbilder einer islamischen Eroberung Europas diffuse Ängste. Diese Gefühlslage gewinnt durch den islamistischen Terrorismus, der seit einigen Jahren europäische Gesellschaften bedroht, zusätzliche Plausibilität und Dringlichkeit. Zugleich werden solche Ängste auch auf Menschen übertragen, die schon länger in Deutschland heimisch sind und früher eher als Türken wahrgenommen wurden, aber jetzt in das Angstbild vom Islam integriert werden.

Die zweite Emotion – der Zorn – zeigt sich beispielsweise in der Empörung über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung unter Angela Merkel. Hier werden politische Entscheidungen als Unrecht am deutschen Volk hingestellt, durch das sich die Zornigen selbst verletzt sehen. Im Gegensatz zur Wut, mit der man sich in einer Art ungerichtetem Zustand über alltägliche Hindernisse aufregen kann, ist Zorn viel stärker auf ein konkretes Objekt gerichtet: Auch in diesem Fall bietet sich hierfür der Islam an. Zugleich ist der „heilige Zorn“ moralischer. Es geht ihm um eine Verletzung der gesellschaftlichen Werte. Im Hintergrund des Zorngefühls steht damit eine vorgestellte moralische Ordnung des deutschen Volkes, welche die Politik und – umfassender – die gesellschaftlichen Eliten angeblich zerstören wollen.

Die deutsche Gesellschaft befindet sich also in einer Art emotionalem Ausnahmezustand. Das ruft politische Trittbrettfahrer auf den Plan, die diese Emotionalisierung weiter Bevölkerungsteile für sich nutzen und zugleich verstärken wollen.

Eine wichtige Kernfrage ist : Welches Maß an Emotionalität ist einer gesellschaftlichen Ordnung, einem politischen System zuträglich? Viele Politiker reagieren auf die Emotionen, die sie aus der Bevölkerung heraus bedrängen, mit dem Ruf nach mehr Vernunft und einem rationalen Verständnis von Politik. Abgesehen von der wissenschaftlichen Einsicht, dass Rationalität und Emotionalität keinen Gegensatz bilden, sondern auch Emotionen ihre rationale Logik besitzen, liegt hier auch ein Missverständnis über die Rolle von Emotionen in der Politik vor.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem von Prof. Dr. Uffa Jensen bei uns veröffentlichten Gastbeitrag.