Ein Streitgespräch zwischen den Historikern Marko Demantowsky und Matthias Krämer
Der Streit ist nicht neu, aber nach wie vor aktuell und brisant, und entzündet sich im Wesentlichen an folgenden Fragen: Wem gehören die Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort)? Nur den Urhebern, also den Autoren? Oder haben auch Verlage, die Autoren erst eine Publikationsplattform bieten, ein Anrecht auf einen Anteil? Der Bundesgerichtshof hat im April 2016 zum Verlegeranteil an den Ausschüttungen der VG Wort geurteilt, dass eine Verwertungsgesellschaft „die Einnahmen aus der Wahrnehmung der ihr anvertrauten Rechte und Ansprüche ausschließlich an die Inhaber“ verteilen müsse. Buchverlage könnten demzufolge keine Urheberrechte in die VG Wort einbringen, ihre pauschale Beteiligung sei nicht gerechtfertigt. Damit war die jahrzehntelange Praxis der VG Wort für unrechtmäßig befunden, jährlich bis zu dreißig Millionen Euro an Verlage auszuschütten. Im Dezember 2016 hat der Gesetzgeber nun Änderungen beschlossen, die eine Weiterführung der zwischen Autoren und Verlagen geteilten VG-Wort-Ausschüttungen ermöglichen soll, wenn Autoren gegenüber der VG Wort zustimmen, Verlage an den ihnen zustehenden Einnahmen zu beteiligen. Das versuchen viele Verlage inzwischen mit Briefen an ihre Autoren zu erreichen. Zu Recht? Zu dieser Frage hat L.I.S.A. – Das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung – die Historiker Prof. Dr. Marko Demantowsky (Twitter: @mdemanto) und Matthias Krämer (Twitter: @Kraemer_HB) zu einem Streitgespräch gebeten.
„Ich bin sehr geneigt, diesen Partnern den ihnen zustehenden Obolus zu entrichten“
Demantowsky: Grundsätzlich habe ich viel Verständnis für die im Fachgebiet Geschichte relevanten Wissenschaftsverlage im deutschsprachigen Raum, soweit ich sie kenne. Man beachte die Einschränkung. Bisher habe ich viel mit kleineren Wissenschaftsverlagen zusammengearbeitet, aber auch mit größeren wie Vandenhoeck&Ruprecht oder De Gruyter Oldenbourg (München). Die Erfahrungen waren für mich grundsätzlich, sagen wir: okay, und sogar sehr gut mit dem projektverlag (Bochum/Freiburg Br.) und mit Oldenbourg. Grundsätzlich okay heißt: Mir war klar, worin die spezifische Leistung dieser Verlage für meine Schriften bestand, nämlich in der ansehnlichen Gestaltung und Produktion, im professionellen Marketing und im Vertrieb. Sehr gut heißt: Hier konnte ich zusammen mit den Verlegern und leitenden Angestellten Projekte von einem sehr zeitigen Stadium an gemeinsam entwickeln, diese Projekte wären also ohne das Zutun dieser sehr anregenden und klugen Menschen nicht in dieser Form zustande gekommen.
Ich glaube, mit den genannten Wissenschaftsverlagen ist es ein bisschen so wie üblicherweise mit der Schule: Sobald man letztere abgeschlossen hat, erscheint sie einem bestenfalls überflüssig – man weiß ja eigentlich alles! Fremdes positives Zutun zur eigenen Persönlichkeit wird internalisiert (sich selbst zugeschrieben), eigene Probleme, Fehlleistungen und vor allem spezifische Aufwände werden externalisiert (anderen zugeschrieben). Also freut man sich bei der Veröffentlichung für den Moment über den professionellen Druck der eigenen Schrift, ihre Präsenz in wichtigen Katalogen, auf Kongressen, im Netz, ihre Referenzierung in den großen Datenbanken, ihre Teilhabe am Renommee einer wichtigen Reihe etc., sieht aber im Nachhinein vor allem den Druckkostenzuschuss, den man an den Verlag zu zahlen hatte.
Kurz, ich glaube, die deutschsprachige Wissenschaftslandschaft, soweit ich sie kenne, wäre ärmer ohne diese Wissenschaftsverlage. Insofern bin ich sehr geneigt, diesen Partnern den ihnen zustehenden Obolus zu entrichten. Zu diesem Obolus wurde bis vor kurzem stillschweigend auch die Hälfte der VG-Wort-Ausschüttungen gezählt. Ich sehe keinen Grund, dies jetzt in Frage zu stellen, wenn der Preis für die paar Euro wäre, dass das vielfältige, klein- und mittelständische Verlagswesen in Deutschland, Österreich und der Schweiz dafür zur Disposition gestellt werden müsste.
Ich weiß natürlich auch von dem absurden Geschäftsgebaren, das große internationale Super-Wissenschaftsverlage wie – Namen dürfen als bekannt vorausgesetzt werden – gegenüber den Bibliotheken und KollegInnen anderer Disziplinen an den Tag legen. Diese Praktiken sollten resolut bekämpft werden. Für mich fängt Reflexion allerdings mit Differenzierung an, und ich mag meine oben genannten Verlagspartner nicht mit Elsevier & Co. in einen Topf werfen.
Gleichwohl verspüre ich einen gewissen Unmut über den schieren Aufwand, der mir als Autor aufgenötigt wird, wenn ich jetzt mit jedem einzelnen meiner Verlage der letzten zwanzig Jahre in einen entsprechenden Kontakt treten sollte. Unterm Strich verlöre ich mindestens einen ganzen Arbeitstag für Bürokratie, und das ärgert mich.
Krämer: Ich finde in den Erläuterungen Deiner Position ein paar meiner Annahmen über verbreitete Einstellungen von WissenschaftlerInnen wieder. Weil Du die explizit machst, können wir darüber leichter kritisch diskutieren. Ich glaube gar nicht, dass die von dir beschriebene Ignoranz gegenüber Verlagsleistungen so verbreitet ist. Deshalb setzen die Verlage ja nun auf die Bereitschaft von WissenschaftlerInnen, auf einen Teil ihrer Ansprüche auf VG-Wort-Ausschüttungen zu verzichten.
Aber zunächst zu deiner Schulmetapher, mit der es sich meiner Ansicht nach eher so verhält: Im Rückblick empfinden viele das schulische Lernen eigentlich als ganz gelungen. Vor allem Bildungsbürger haben es ja schließlich geschafft, aus der Schule das mitzunehmen, was sie für einen interessanten Beruf mit einigem gesellschaftlichen Ansehen brauchen. Erfolgsmodell Schule, aber die heutige Jugend bekommt ja leider nicht mehr die umfassende Bildung, die wir noch aufsogen wie unsere Schreibfedern die Tinte. Die Institution der Schule muss also zu alter Größe zurückgeführt oder zumindest vor dem drohenden Untergang bewahrt werden. Denn ohne die anregenden und klugen Lehrkräfte wäre aus uns nicht das geworden, was wir heute sind.
Ich finde es naheliegend, dass unter Bildungsbürgern eine so positive emotionale Bindung zu ihrer Schule wie zu ihrem Verlag verbreitet ist. Die Institution wird dazu mit einem Erfolgserlebnis (Publikation oder Abschlussprüfung) verknüpft, und die gelungene Zusammenarbeit mit freundlichen, anregenden Menschen schreibt man der Institution als Leistung zu. Dabei hätte es gelingende Kooperation mit tollen Menschen auch in anderen institutionellen Formen geben können, schließlich waren die Menschen bloß die Beschäftigten der Institution. Ich habe, glaube ich, wiederholt als freundlicher, anregender Mensch an der Entstehung von Publikationen mitgewirkt, ohne dass ein Verlag damit zu tun hatte. Daher glaube ich, dass man zwischen Menschen, die an einem Projekt mitarbeiten, und Institutionen, bei denen diese Menschen beschäftigt sind, unterscheiden sollte.
„Wer ein echter Bildungsbürger sein will, muss also der neuen Rechtslage gehorchen“
Demantowsky: Lassen wir einmal die Interpretation des Beispiels der Verarbeitung schulischer Erfahrungen auf sich beruhen (siehe zu diesem Gleichnis einen Aufsatz von mir und Monika Waldis), ich nehme Dein Argument einmal auf, so wie ich es verstehe: Anregende und kreative Kooperation respektive ein solches Lernen ist selbstverständlich sowohl ohne Lehrperson/Klassenzimmer/Lehrplan möglich wie auch ohne Lektor/Verlag. Mein Einwand ist aber: Die Kooperation, die in solchen sozialen Situationen entsteht, unterscheidet sich zweifelsohne von derjenigen, die unter Beteiligung solcher tradierter Institutionen und ihrer FunktionsträgerInnen entstehen kann. Letztere ist nicht per se besser oder schlechter, aber sie unterscheidet sich eben auf eine spezifische Weise. Schul- und Verlagsverhältnisse sind dabei nur zwei exemplarische Fälle für gesellschaftliche Handlungsrahmen und Rollenpraktiken, die – wie Arnold Gehlen sagen würde – nicht aus Übermut oder Dekadenz in das Leben der Menschen getreten sind, sondern die vielmehr von Kultur und als Kultur im Zusammenspiel von Notwendigkeit und Kontingenz hervorgetrieben worden sind. Sie entlasten wiederkehrende Vollzüge, erlauben Professionalisierung, steigern Effizienz als Leistung unter limitierten Bedingungen. Also, Verlage und ihre Mitarbeitenden sind keine Bande von akademischen Wegelagerern, sondern ihre Funktion und Arbeit sind historisch gewachsen und haben sich gesellschaftlich lange bewährt.
Eine andere Frage ist natürlich, ob diese Aufgaben im digitalen Wandel unserer Zeit wegen aufkommender Alternativen nicht ihren gesellschaftlichen Rückhalt verlieren. So etwas kann auch sehr plötzlich geschehen. Im Moment handeln wir alle wohl gerade politisch aus, ob eine solche Situation vorliegt.
Krämer: Ja, man könnte fragen, ob Verlage, wenn sie aus Notwendigkeit entstanden sind, auch aus Notwendigkeit untergehen müssen. Aber dabei verlieren wir die Akteure aus dem Blick, und dazu gehören wir schließlich auch selbst, wenn wir uns fragen, wie wir uns da verhalten sollten. Ich verstehe das Gefühl, dass gelingende Bildungserfahrungen den Bildungsbürger zu Dankbarkeit verpflichten. Denn diesen verdankt er seine gesellschaftliche Stellung, und mit der Erlangung dieser gesellschaftlichen Stellung ist die Habitualisierung von Normen verbunden wie Bescheidenheit, Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, Dankbarkeit und Ehrerbietung gegenüber Institutionen des Wissens: dem verehrten Lehrer, der Alma Mater, dem anregenden Lektor, den Riesen, auf deren Schultern wir stehen. Wer ein echter Bildungsbürger sein will, muss also der neuen Rechtslage gehorchen und einen Arbeitstag zum Ausdruck der Dankbarkeit und Ehrerbietung gegenüber seinen Verlagen machen, wenn auch zähneknirschend.
„Verlage verwalten im Wissenschaftsbetrieb die Ressource der Reputation“
Demantowsky: Ist das nicht eine sehr zuspitzende Beschreibung? Wir sind doch kein Sujet mehr von Heinrich Mann, oder doch?
Krämer: Natürlich sind wir das, wenn wir über Institutionen reden, die in Symbiose mit dem Bildungsbürgertum entstanden sind und denen gemeinsam mit diesem der Untergang droht. Aber neben meinen emotional-habituellen Erklärungen, warum viele bildungsbürgerliche AutorInnen bereit sein werden, auf die Hälfte ihrer Verwertungsrechte zu verzichten, sehe ich auch noch eine rational-funktionalistische Erklärung, die den Verzicht auf eigene Einkünfte als Investition deutet: Verlage sind Institutionen, die im Wissenschaftsbetrieb die Ressource der Reputation verwalten. Dabei füttern sich große Namen von Autoren und große Namen von Verlagen gegenseitig. Olaf Blaschke hat das eine „reziproke Reputationsspirale“ (VfZ 1/2009, S. 101) genannt. Ein Wissenschaftler hat also großes Interesse daran, weiter von renommierten Verlagen mit deren Ansehen gefüttert zu werden. Und wenn er seinerseits einen Verlag mit seinem Ansehen gefüttert hat, war das eine Investition, die bei einem Konkurs des Verlags (nach und nach) verloren ginge.
Demantowsky: Ja, so ist das. Allerdings sind solche wechselseitigen Reputationsversicherungssysteme ebenfalls gesellschaftliche Normalität und keine Spezifik des Verhältnisses von Autor/Verlag.
Krämer: Das Reputationssystem ist insofern spezifisch für das Verhältnis Autor/Verlag, als es dessen einziges Element ist, das noch nicht effizienter ausgelagert worden ist. Wobei: Das gilt inzwischen auch nur noch im Wissenschaftsbereich. Bei Belletristik kann Amazon im Massenmarkt ebenfalls Reputation verleihen und beziehen, so dass enorme Verkaufszahlen bei niedrigen Preisen entstehen (vgl. das Beispiel Poppy J. Anderson). Für „Hochkultur“ ist das noch ebenso inakzeptabel wie für Wissenschaft – weil da ja jeder ankommen könnte.
„Die Abhängigkeit von Verlagen hat durch den digitalen Wandel abgenommen“
Demantowsky: Vielleicht könnte man sagen, dass das Verhältnis WissenschaftsautorIn/Wissenschaftsverlag, wie es zuletzt im rechtlichen und politischen Konflikt um die Verteilung der VG-Wort-Erträge so entschieden problematisiert worden ist, in gewisser Weise exemplarisch ist für viele soziale Verhältnisse, die durch den digitalen Wandel in Frage gestellt und einer radikalen Neubewertung unterzogen werden. Denn, das ist hier vielleicht ein wichtiger Gesichtspunkt, die Abhängigkeit der AutorInnen von den Verlagen als Torwächter zur (akademischen) Öffentlichkeit hat durch den aktuellen digitalen Wandel in ganz ähnlicher Weise abgenommen wie die Abhängigkeit des Nachrichtenkonsumenten von den großen Tageszeitungen oder TV-Anstalten. Erst dadurch, dass AutorInnen seit ein paar Jahren über die verschiedenen digitalen Publikationsformate ohne institutionelle Vermittlung eine Öffentlichkeit erreichen können, konnte auch überhaupt erst dieses Torwächter-Verhältnis problematisiert werden. Dabei tun sich im Übrigen einige merkwürdige Verschiebungen und Widersprüche auf. Problematisiert wird beispielweise das Verhältnis Verlag/AutorIn vor allem von jüngeren, akademisch (noch) nicht arrivierten AutorInnen. Das sind aber eigentlich genau diejenigen, die auf den Verlag als Torwächter viel stärker angewiesen sind als renommierte WissenschaftlerInnen.
Ich vermute, und so ignorant biographievergessen bin ich ja nicht, dass es natürlich die existentielle Prekarität der eigenen Situation von sogenannten NachwuchswissenschaftlerInnen ist, die ihnen die zum Teil (siehe oben Dein Verweis auf die Reputationsspirale) horrenden Druckkostenzuschüsse einiger Verlage/Schriftenreihen extrem schmerzhaft spürbar macht. Dies umso mehr, wenn man den Vergleich etwa zum US-amerikanischen PhD-System hat, wo man ja inzwischen zu viel geringeren Kosten grundsätzlich digital auf einem Universitätsserver publizieren kann und dann im Sinne eines Verkaufs „on demand“ mit einem gewissen Prozentsatz am (seltenen) Nachfrageerfolg auch partizipiert. Aber – wer zwingt einen deutschen Dr. des. dazu, in eine überteuerte Reihe zu gehen? Na gut, vielleicht Doktorvater oder -mutter. Wer aber nötigt nicht? Der Verlag natürlich, denn der macht nur ein Angebot. Insbesondere bei NachwuchswissenschaftlerInnen bringt es also nichts, eine künstlich isolierte Problematik AutorIn/Verlag herbeizureden, man muss grundsätzlich das gesamte soziale Setting mitbeachten.
Krämer: Das gesamte sozialen Setting würde ich als „die Historikerzunft“ fassen. Und dort werden nach meinem Eindruck wie eh und je gedruckte Bücher namhafter Verlage geschätzt und alternative Veröffentlichungswege missachtet. DissertationsbetreuerInnen beraten da gewiss zielgerichtet, wenn sie eine möglichst hochwertige Veröffentlichung empfehlen. Nun haben wir ausführlich diskutiert, warum Historiker auf ihre Verlage angewiesen sind und deren Strategie zur freiwilligen Teilung von VG-Wort-Erträgen aufgehen könnte. Das ist ja unabhängig davon, dass das Konzept geistigen Eigentums und das Urheberrecht eine Verlagsbeteiligung nicht begründen können.
„Urheberrechtsreformen sollten die ökonomischen Voraussetzungen geistiger Arbeit sichern“
Demantowsky: Halt, halt! Da essentialisierst Du das Urheberrecht. Dabei sollten wir diese Frage sozial kontextualisieren und auch historisieren.
Krämer: Na gut. Die oben erwähnten Regeln und Einstellungen, die sich Wissenschaftler angewöhnt haben, gehören zum wissenschaftlichen Feld im Sinne Pierre Bourdieus. Darin kommt es auf bildungsbürgerlichen Habitus und auf Reputation an, die Bourdieu „symbolisches Kapital“ nennt. Aber: Das Verlagswesen gehört nicht nur zum wissenschaftlichen Feld, sondern zuvorderst zum ökonomischen Feld. Darin kommt es auf Heller und Pfennig an. Zum bildungsbürgerlichen Habitus gehört es dagegen, „die paar Euro“ so gering zu schätzen, wie Du das oben vorführst, und stattdessen die kulturellen Werte zu betonen. Das wissenschaftliche Feld besteht (wie die ganze Kultursphäre kapitalistischer Gesellschaften) darauf, den Anschein ökonomischer Interesselosigkeit zu erwecken (Bourdieu: Outline of a Theory of Practice, 1977=2013, S. 177). Wer in dem Feld mitspielen will, muss das als Selbstverständlichkeit akzeptieren. Wissenschaftler bekennen sich also dazu, dass es ihnen nicht um Geld geht, sondern um „höhere Werte“, und genau das ermöglicht es Akteuren in Machtpositionen, die Arbeitskraft anderer Akteure im selben Feld auszubeuten.
Demantowsky: Die zitierte analytische Trennung von wissenschaftlichem und ökonomischem Feld hat mich noch nie sehr überzeugt.
Krämer: Mit Ausbeutung von Arbeitskraft meine ich, dass der Kapitaleigner andere für sich arbeiten lässt und sich den von diesen geschaffenen Mehrwert aneignen kann. Und das ist ja die ursprüngliche Funktion des Verlegers: Vorleger von Produktionsmitteln. Für die Arbeiterklasse hat sich die Einsicht in den Gegensatz von Kapital und Arbeit gesellschaftlich durchgesetzt, und mit Arbeitsrecht, Tarifvereinbarungen, Sozialversicherungen usw. wurden gesellschaftlich Werkzeuge geschaffen, um die Probleme, die daraus erwachsen, abzufedern. Das gilt bisher aber nicht für geistige Arbeit, hier speziell in der Produktion von Büchern. Im Gegenteil: Autorschaft ist atypische Beschäftigung. Vielfach zahlt der Autor noch für seine geistige Arbeit dem Verleger eine Gebühr; damit liegt der Lohn für geistige Arbeit im negativen Bereich und der an den Verleger fallende Mehrwert folglich über 100 Prozent. Die Kosten dafür trägt die Gesellschaft, indem sie etwa dem Autor den Lebensunterhalt plus die Gebühren an den Verleger als Professorengehalt bezahlt. Abseits einer Professur sind Autoren vielfach nochmal atypisch beschäftigt, befristet, halbiert, geviertelt, geringfügig, oder durch Lehrverpflichtung ohne Kompensation eine Belastung für Sozialkassen. Aber die Verlegergebühr dafür, dass ihre geistige Arbeit in die Buchproduktion einfließt, müssen sie trotzdem zahlen, um ihre Position im wissenschaftlichen Feld und ihre Chancen auf eine Festanstellung zu wahren.
Wenn wir nun eine Krise des Verlagswesens konstatieren – wer wird wohl am stärksten dafür bezahlen müssen, wenn weniger Geld an die Verlage fließt?
- Der Verleger (sofern es sich dabei nicht ohnehin um eine Kapitalgesellschaft handelt),
- die arbeitsrechtlich und gewerkschaftlich geschützten Beschäftigten der Verlage,
- die unorganisierten und nicht als solche anerkannten geistigen Arbeiter?
Ich sehe letztere in der schlechtesten Position. Urheberrechtsreformen sollten meiner Ansicht nach dazu dienen, die ökonomischen Voraussetzungen geistiger Arbeit zu sichern und zu verbessern. Stattdessen sollen AutorInnen nun Teile ihrer Urheberrechte freiwillig abtreten, um die Fortsetzung ihrer Ausbeutung zu ermöglichen?
„Das heutige Verhältnis Autor/Verlag ist keines der Schuldknechtschaft“
Demantowsky: Einig sind wir uns natürlich darin, dass die (heutige) Prekarität großer Teile des akademischen Nachwuchses ein echter Missstand ist. Ich glaube jedoch nicht, dass die Deinem Argument zugrundeliegende historische Analogie trägt, insofern „der Verleger“ von heute (uns oft entgegentretend nur als Betrieb mit MitarbeiterInnen, oft auch noch als Ein-Mann/Frau-Risikounternehmen) in seiner gesellschaftlichen Funktion und Praxis nicht viele Übereinstimmungen hat mit „dem Verleger“, gegen den sich die tapferen Verzweifelten des 1844er schlesischen Weberaufstands erhoben. Ich glaube, wir haben es hier mit einer terminologischen Scheinidentität zu tun. Das dürfte auch der Grund sein, warum auf allen ökonomischen Feldern außer dem der Textproduktion und -vermarktung die Verlegerei von wirtschaftlich überlegenen Verfahren der Exploitation längst abgelöst worden ist. Denn der heutige „Verleger“ besitzt ja keine Produktionsmittel, die er verleiht, eine Art Schuldknechtschaft und Monopolmacht erzeugt und auf diese Weise sittenwidrige Entgelte durchsetzen kann. Der heutige „Verleger“ ist eine material produzierende, vermarktende und bestenfalls inhaltlich betreuende Dienstleistungseinrichtung, die in harten Konkurrenzverhältnissen steht, deren Vertragsangebote man annehmen oder ablehnen kann, die also intensiv für sich werben muss und deshalb – wenn sie klug agiert – ihren KundInnen, den AutorInnen, freundlich gegenübertritt. Das ist vielleicht der Kern des Unterschieds: Das heutige Verhältnis Autor/Verlag ist ein Anbieter-Kunden-Verhältnis, keines der Schuldknechtschaft. Darin sind „Verleger“ heute übrigens den Galleristen oder den Musikagenten verwandt.
Krämer: Mutig gesprochen, doch bin ich über den Status des Verlegers heute gänzlich anderer Ansicht. Vielleicht kann ich auch erklären, wieso: Eine Publikation inhaltlich betreuen, zum Druck vorbereiten und eine Druckerei mit der Herstellung beauftragen, dafür braucht man heute keinen angesehenen (Wissenschafts-)Verlag mehr. Die ersten beiden Schritte werden nach meiner Erfahrung auch eher an den Universitäten erledigt. Ich habe namhafte Fachverlage erlebt, die ausschließlich den dritten Schritt übernommen haben – und die Schrift anschließend in ihren Katalog aufnahmen, um die Vermarktung zu erledigen. Dass Herstellung, Verfügbarkeit und Verkauf in Zeiten von Amazon und Print-on-Demand keine zehntausende Euros an Druckkostenzuschüssen verschlingen können, lässt diesen Löwenanteil auf die Werbung für eine Publikation entfallen. Und mit Werbung meine ich hier nicht zuerst die Schaltung von Werbeanzeigen, sondern etwa die Unterhaltung von Schriftenreihen, die Verbreitung eines Verlagskatalogs, das Besprechungsmanagement und die Präsenz auf Messen. Dies alles läuft darauf hinaus, den Namen des Wissenschaftsverlags in einer Fachöffentlichkeit (oder mehreren) zu etablieren und dann zu suggerieren, dass an den Publikationen jenes Verlags kein Fachgenosse vorübergehen könne.
„Nur DoktorandInnen sind bei der Verlagswahl eingeschränkt“
Demantowsky: Wie gesagt, meine Erfahrungen sind anders, teilweise sogar deutlich: Einige hochriskante Projekte wären ohne umfassende Kooperation mit Verlagen und ihren MitarbeiterInnen nicht in dieser Form zu Stande gekommen. Es gibt schon das, was Du beschreibst, aber die Wirklichkeit würde doch unzulässig verkürzt, wenn man diese Beschreibung generalisierte.
Krämer: Um in der Sprache des frühindustriellen Verlagssystems zu bleiben: Das wesentliche, vom angesehenen Fachverlag monopolisierte Produktionsmittel ist eben die Reputation. Um als Veröffentlichung von erster Güte in einem Fachgebiet wahrgenommen zu werden, gibt es um so weniger wohl reputierte Anbieter eines Verlagsvertrags, je spezifischer man das Fachgebiet fasst. Man könnte sagen: Wer in geistiger Heimarbeit Origamiforschung produziert, dem bleibt nur der Origamiverlag, wenn die geistige Arbeit nicht umsonst gewesen sein soll. Und umsonst war sie, wenn sie in der Fachwelt nicht entsprechend positiv wahrgenommen wird und sich die publizierend erstrebte Reputation also nicht in symbolisches, kulturelles und zuletzt auch ökonomisches Kapital – möglichst in Form einer akademischen Dauerstellung – umwandeln lässt.
Demantowsky: Reputation ist nach meinem Verständnis kein „Produktionsmittel“ (wenn das der marxistische Begriff sein soll). Reputation ist eine Form kulturellen Kapitals. Verlage sind nur eine Kategorie von Akteuren auf dem Reputationsmarkt. Und sie stehen auf diesem Reputationsmarkt zum einen innerhalb ihrer Kategorie in harter Konkurrenz. Nur DoktorandInnen sind (akademisch) eingeschränkt bei der Verlagswahl, letztlich können aber auch sie zwischen Angeboten entscheiden. Zum anderen stehen Verlage heute auf dem Reputationsmarkt in harter Konkurrenz zu anderen Disseminatoren von Wissen. In der Geschichtswissenschaft kommt man um das Buch noch immer nicht herum, in anderen Disziplinen hat das Buch längst seinen Nimbus eingebüßt.
Krämer: Mit Bourdieu sehe ich Reputation als symbolisches Kapital. Jede Bourdieusche Kapitalsorte halte ich für ein Produktionsmittel, wenn auch nicht im materiellen Sinn. Aber lass uns nochmal auf die Prekarität von NachwuchswissenschaftlerInnen zurückkommen. Die ist wohl ein wichtiges Element des wissenschaftlichen Feldes, und in der Geschichtswissenschaft speziell bei der Publikation der Doktorarbeit als eines überdurchschnittlich dicken Buches: Wer 10.000 Euro investiert, um ein Buch zu veröffentlichen, mit dem er sich auf eine akademische Position bewerben kann, die 100.000 Euro abwirft, hat ein schlechtes Geschäft gemacht, wenn sich für dieselbe Anstellung hundert weitere ähnlich qualifizierte Bewerber finden. Denn die 10.000-Euro-Investition bringt dann nur mit einer Wahrscheinlichkeit von ein Prozent den erhofften Gewinn. Roulette oder Online-Poker bieten da bessere Erwerbsmöglichkeiten. Das zwangsläufige Argument, die 10.000 Euro Investition würden einen Wettbewerbsvorteil verleihen aufgrund der überlegenen sachlichen Qualität des Buches nach inhaltlicher Betreuung durch den Verlag, ist in den Plagiatsaffären der letzten Jahre kläglich verendet.
„Wer auf ein großes Einkommen aus ist, geht nicht in die Wissenschaft“
Demantowsky: Woher nimmst Du die Zahl 10.000? Die Druckkostenzuschüsse für Reihen, die Qualifikationsschriften zum Beispiel in der Geschichtsdidaktik publizieren, spreizen zwischen 4.500 und unter 1.000 Euro. Da gibt es eine gute Auswahl von Angeboten. Wenn man anschließend Bücher schreibt, zahlt man in der Regel nichts, sondern erhält eine Gewinnbeteiligung. Es sei denn, es gibt innerhalb von Drittmittelprojekten bestimmte Veröffentlichungs-Arrangements, dann werden die Kosten allerdings von eben dritter Seite übernommen.
Aber um auf Dein Argument einzugehen: Ich glaube nicht, dass jemand beim Antritt oder am Anfang seiner wissenschaftlichen Karriere solche Kalkulationen unternimmt. Wer wesentlich auf ein großes Einkommen und eine gesicherte Existenz aus ist, geht nicht in die Wissenschaft, setzt sich nicht dem schon seit dem 19. Jahrhundert notorischen akademischen Hazard aus. Die Berufswahlmotivation von jungen WissenschaftlerInnen ist größtenteils idealistisch, und sie muss es auch sein, weil auch später im Falle des glücklichen Stellenerfolgs der Stundenlohn aufgrund der Nicht-Existenz eines geregelten Arbeitsschlusses vergleichsweise sehr gering ist, was sich durch die Besoldungsreform von C auf W noch einmal enorm verstärkt hat.
Aber auch aus anderer Perspektive überzeugt mich Dein Argument nicht, nämlich mathematisch. Wer also das Glück hatte, eine Professur zu erlangen, bekommt jährlich (abhängig von Land, Verhandlungen, Besoldungsstufe, Familienstand etc.) etwa 50.000 Euro netto pro Jahr, grob geschätzt). Wenn man einmal davon ausgeht, dass im Durchschnitt noch 25 Berufsjahre zu leisten sind, ergibt das für diese Zeit ein Gesamtnettoeinkommen von 1.250.000 Euro. Hinzu kommt die steuerfinanzierte Altersversorgung (um mal nur über das Pekuniäre zu sprechen). Wer im Laufe der Karriere weiter erfolgreich ist, kann diesen Betrag noch deutlich erhöhen.
Krämer: Hörensagen über mehrere Angebote bekannter Fachverlage für eine Neuzeit-Dissertation um 2010 besagt, dass für bis zu 10.000 Euro eine fertige Druckvorlage beim Verlag einzuliefern gewesen wäre, alles Weitere sollte extra berechnet werden. In meiner Kurzsichtigkeit bin ich nicht davon ausgegangen, dass man eine solche Investition als Wette auf eine Professorendauerstelle verbuchen könnte. Ich dachte an ein zweijähriges Anschlussprojekt für 100.000 Euro. Aber so gesehen hast Du natürlich recht, bei einer 1-Prozent-Chance auf über eine Million sind 10.000 Euro für eine Dissertation ein besseres Geschäft als dieselben Kosten für 40 Jahre Lottospielen.
„Uns ist nicht klar, wie ökonomisches Kapital bei wissenschaftlicher Arbeit verteilt wird“
Demantowsky: Die 10.000 Euro-Angebote halte ich für absurd überteuert, die man (mit Verlaub) weder annehmen muss noch annehmen sollte. Es gab und gibt wesentlich vernünftigere Optionen zur Publikation einer Dissertation. Vergleichbar ist das mit dem Autokauf: Prestige, wenn man es sich nicht mühsam und risikobehaftet erwerben, sondern bequemerweise gleich mit einkaufen will, kostet einfach enorm. Der japanische Mittelklassewagen fährt aber ebenso zuverlässig wie die deutsche Oberklasselimousine.
Dieses Gleichnis trägt für Wissenschaftsverlage allerdings, das gebe ich zu, erst seit dem digitalen Wandel. Erst die seit vielleicht 10-12 Jahren umfassend ermöglichte digitale Referenzierung in internationalen Datenbanken und der Aufbau anerkannter digitaler Rezensionsportale, nicht zuletzt auch die sozialen Medien für alle, die sie zu nutzen wissen, haben die Visibilität wissenschaftlicher Publikationen erfreulicherweise sehr stark demokratisiert. Extreme Preise bei bestimmten Verlagen haben sich durch deren gleichsam aristokratische Stellung am Hofe der öffentlichen Aufmerksamkeit gerechtfertigt. Zugang zu diesem Hof war teuer. Das ist inzwischen doch deutlich abgeschwächt – der Digitalisierung sei Dank.
Aber wie auch immer, ich persönlich habe meine Berufslaufbahn niemals ökonomisch kalkuliert, insofern spüre ich in mir Widerstand, die damit verbundenen existentiellen Entscheidungen im Nachhinein ökonomisieren zu lassen. Ich wollte auf Dauer lesen, schreiben, lehren – ermöglicht durch eine bürgerlich-bescheiden auskömmliche Vergütung. Was zwischenzeitlich allerdings auch als utopisches Ziel erscheinen musste, das habe ich nicht vergessen.
Krämer: Ich kann das gut nachvollziehen, werbe aber für die sozioökonomische Reflexion unserer wissenschaftlichen Akteursperspektive. Lass mich deshalb noch etwas zu Deinem Einwand sagen, dass die Textproduktion als eines der wenigen Felder übriggeblieben ist, in dem sich noch kein überlegenes Ausbeutungsverfahren durchsetzen konnte: Bourdieu identifiziert ja wie oben erwähnt die Kultursphäre kapitalistischer Gesellschaften als einen Bereich, in dem symbolisches Kapital unangefochten regiert, weil die Akteure ihre ökonomischen Eigeninteressen systematisch leugnen. Schließlich gehe es ihnen um die jeweiligen „höheren Werte“. Herausgefunden hat Bourdieu das anhand eines Vergleichs mit der vorindustriellen Agrarwirtschaft der Kabylen, wo symbolisches Kapital in gleicher Weise durch Verleugnung ökonomischer Interessen zur Ausbeutung der Arbeitskraft anderer eingesetzt werden konnte. Den von Bourdieu ethnographierten Kabylen war demnach nicht klar, dass es bei agrarischer Arbeit um ökonomische Erträge geht (was uns kaum vorstellbar erscheint), während uns häufig nicht klar ist, wie das ökonomische Kapital bei wissenschaftlicher Arbeit verteilt wird, bei der es uns als Wissenschaftlern ja vor allem um nichtmaterielle Werte geht.
„Idealistischer Motivation zur Berufswahl entspricht großes symbolisches Kapital des Berufs“
Demantowsky: Was ich bei Bourdieu in dieser Argumentation nicht so überzeugend finde, ist, dass er sich gegenüber den AkteurInnen in eine überlegene Metaperspektive begibt, also gegenüber zu Objekten gemachten sozialen AkteurInnen das Narrativ a priori längst bereithält. Das kann man natürlich machen, innerhalb des Referenzrahmens seines eigenen „Stammes“ war Bourdieu den Untersuchungsobjekten gegenüber naturgemäß schlauer und überlegen. Hätten sie allerdings seine deutende Perspektive akzeptiert? Man weiß es nicht. Warum sollte ihre eigene Deutung eigentlich falsch sein? Gibt es eine Geltungshierarchie kultureller Referenzrahmen?
In Bezug auf die westliche Wissenschaft (wie sie so seit den 1960er Jahren existiert, sich gleichwohl permanent verwandelnd): Warum schlagen sich auch viele gut verdienende ProfessorInnen ihre Nächte um die Ohren – weil sie eigentlich noch mehr Gehalt haben wollen (obwohl ihnen das gar nicht bewusst ist)? Oder weil sie in ihrem Stamm (vulgo Community) schlicht bewundert, anerkannt und respektiert werden wollen? Vielleicht – und man sollte es nicht für möglich halten – bewegt sie auch eine ungelöste Frage, eine noch nicht erzählte Geschichte, ein erkannter Widerspruch, schlicht auch irgendeine Idee zu dieser Form von Selbstausbeutung (= Arbeit ohne jegliche Überstundenvergütung, Feiertags- und Nachtzuschläge). Man sollte auch nicht vernachlässigen, dass man durch simples Pflichtbewusstsein seine Begutachtungsarbeiten aller Art außerhalb seiner Kernarbeitszeit zu erledigen sich genötigt fühlt. Damit korrespondiert schließlich auch die deutsche Spezialität des Beamtentums, das sich über Mandate und Aufgaben definiert, nicht über Lohnarbeit.
Krämer: Schön, dass wir hier den Dissens auf eine Frage der Perspektive zurückführen können. Du betonst die Subjektperspektive des Wissenschaftlers (und des Kabylen), ich versuche mit Bourdieu, in einer sozioökonomischen Draufsicht auf die Forschungsobjekte deren Handeln zu erklären, ohne mich allzu sehr in sie hinein zu versetzen. Das macht die Subjektperspektive natürlich nicht „falsch“. Sie ist meiner Ansicht nach aber kaum erklärungskräftig. Es ist vielmehr so, dass zahlreichen Sachverhalten in der Subjektperspektive auch Sachverhalte in der Objekt-(oder Meta-)Perspektive entsprechen: Idealistischer Motivation zur Berufswahl entspricht etwa großes symbolisches Kapital des Berufs. Auch der Stundenlohn eines Professors ist zu knapp bemessen, wenn man die symbolischen „Auszahlungen“ unterschlägt, die sich dann wieder in sozialem oder kulturellem Kapital ausdrücken können. Der Vorzug einer Betrachtung mit Bourdieu liegt darin, Gewinne nicht auf ökonomisches Kapital zu reduzieren. Aber: Kapitalbestände sind nach Bourdieu ineinander konvertierbar. Also kriegt ein Professor vielleicht leichter einen Kredit oder einen Beratervertrag oder Rabatte bei Buchbestellungen.
Demantowsky: Naja. Bourdieu hin oder her, hier schwingt viel abgelaufenes Klischee mit.
Krämer: Bourdieus Kapitaltheorie ist aus meiner Sicht die notwendige Voraussetzung, um den Bereich geistiger Arbeit analysieren zu können. Wer das will, muss sich demnach auch auf das Verlassen der Subjektperspektive einlassen. Die Analyse geistiger Arbeit (und der Wissenschaft als sozioökonomischem System) ist aber die Voraussetzung für Kritik an den Arbeits-/Wissenschafts-Bedingungen, die hinausgeht über ein „Gefällt mir nicht, ist mir zu teuer“. Nur auf der Grundlage solcher Analyse kann man nämlich Fragen stellen wie die nach den Rationalitäts- und Wissenschaftlichkeitsmängeln, die sich aus den sozioökonomischen Bedingungen ergeben oder mindestens Anreize aus dem System beziehen. Man kann fragen, wer die Gewinne (nicht nur materieller Art) mitnimmt und wer die Rechnung bezahlt, wie die Wissenschaft in die Gesamtstruktur gesellschaftlicher Herrschaft eingebunden ist, wie das zu demokratischen Werten und einem humanistischen Menschenbild passt, und an welchen Rädchen man drehen könnte, um im Hinblick auf solche Wertpräferenzen etwas zu verbessern. Das Dumme ist nur: Wir Wissenschaftler sind ja nicht einfach ausgebeutete Unterdrückte eines Verlagssystems (wie es vielleicht oben anklingt), sondern privilegierte Agenten eines modernen Gesellschafts- und damit Herrschaftssystems. Im Gegensatz zum Abziehbild-Kapitalisten besitzen wir auch mit einem Gesamtnettoeinkommen von 1.250.000 Euro kaum ökonomische Macht, profitieren aber ständig in kultureller, sozialer, symbolischer Hinsicht. Was wir sagen, ist Gesetz, zumindest verlangen wir lautstark in allen Medien (die wir beherrschen), dass die Demokratie sich nach unserer Expertise (dem Stand der Wissenschaft) zu richten habe. Und das sind eben auch sehr unangenehme Einsichten in die eigene gesellschaftliche Position und die entsprechenden Einstellungen. Mir jedenfalls ist das unangenehm, und ich spüre meinen Widerwillen, sowas zu denken, zu schreiben oder gar zu veröffentlichen.
„Das Sterben der vielfältigen privaten Verlagslandschaft kann sich niemand wünschen“
Demantowsky: Mir ist natürlich klar, dass „Wissenschaft“ die Subjektperspektive transzendieren muss, sonst wäre sie ja keine Wissenschaft. Ich hätte aber gedacht, dass wir inzwischen der Subjektperspektive unserer Untersuchungsobjekte so etwas wie eine eigenständige heuristische Dignität zuzugestehen gelernt hätten. Deine Gedanken zuvor sind voraussetzungsreich, jeweils diskutabel, und sie postulieren Bourdieus Theorie. Das kann man natürlich machen, und es wird ja auch sehr, sehr oft gemacht, wenn auch vielleicht etwas seltener in selbstkritischer Wendung in Bezug auf das Selbst, die Wissenschaften. Ich bin auch der Meinung, dass man zur Erklärung zum Beispiel von Plagiaten recht effektiv mit Bourdieus Theorie arbeiten kann, zumindest hat mich alles, was in diesem Sinne geschrieben wurde, grundsätzlich überzeugt. Die Ausweitung dieses Erklärungsansatzes auf die gesamte Praxis heutiger Wissenschaften insgesamt müsste aber meines Ermessens sehr stark differenziert werden, und zwar a) nach sich anscheinend immer stärker auseinander entwickelnden fachlich-disziplinären Strukturen, b) nach divergenten nationalen und kulturellen Rahmenbedingungen und schließlich c) nach einer Zeit vor und nach dem digitalen Wandel, der nun noch lange nicht abgeschlossen ist, aber sich mit größter Wucht vollzieht. Vielleicht denkst Du das auch mit, und hier ist einfach nicht der Ort, um das ausführlich auseinanderzulegen. Aber diese Differenzierung ist natürlich auch dann entscheidend, wenn man das Verhältnis WissenschaftsautorIn/Wissenschaftsverlag angemessen diskutieren möchte.
Bourdieus strikt ökonomisierende Betrachtung ist jedenfalls mindestens anregend; wenn man sie jedoch in Bezug auf die Analyse der Wissenschaften verabsolutiert, endet man in seiner Doppelrolle als TeilnehmerIn/AnalytikerIn in einer notwendig zynischen Welt- und Eigenbeschreibung. Man vollzieht darüber hinaus ungewollt die reale Tendenz von Wissenschaftsverwaltungen und -politik der vergangenen 25 Jahre nach, wissenschaftliche Praxis (wofür auch Wissenschaftsverlage Infrastruktur liefern) auf ökonomisch anmutende Kennziffern und Bilanzen reduzieren zu wollen, was – wie jede/r AkteurIn weiß – die akademische Wirklichkeit nur ungenügend abbildet. An anderer Stelle ist auch schon überzeugend argumentiert worden, dass es eben diese Ökonometrisierung ist, die vor allem im medizinisch-naturwissenschaftlichen Bereich dem Plagiarismus Vorschub geleistet hat.
Krämer: Ich stimme Dir zu, dass die „zynische“ Perspektive Bourdieus unvereinbar ist mit der Akteursperspektive. Wenn man Teilnehmer am Spiel im wissenschaftlichen Feld ist, muss man selbstverständliche Voraussetzungen wie Rationalität, Argumentation, Erkenntnisstreben anerkennen. Und man muss verleugnen, dass dabei das Streben nach ökonomischen, symbolischen, sozialen und kulturellen Gewinnen eine Rolle spielt. Aus der sozialwissenschaftlichen Beobachterperspektive ist es gerade andersherum. Und Du hast recht: Fälschungen und Wissenschaftsbetrug kann man wohl mit einer verschobenen Akteursperspektive erklären. Aber nur durch so einen Perspektivenwechsel können wir auch unsere eigene soziale Position als Wissenschaftler kritisch hinterfragen.
Demantowsky: Ich möchte gern, wenn Du erlaubst, meine Sicht zusammenfassen: Selbstverständlich ist es so, dass die Wissenschaftsverlage als private Anstalten ein Geschäftsmodell verfolgen (müssen). Sie bewegen sich als Dienstleistungsanbieter auf einem kompetitiven Markt. Dieser Markt funktioniert gut, solange es genügend Konkurrenz und Nachfrage gibt. Das ist in meinem Fachgebiet der Fall. Es gibt aber andere Wissenschaftsfelder, auf denen dieser Markt nicht mehr funktioniert, weil es nicht mehr genügend Konkurrenz auf Anbieterseite gibt. Das scheint mir zurzeit ein großes Problem in den naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Fachgebieten zu sein. Hier bedarf es dringend entweder der staatlichen Intervention oder einer Koordination der Nachfrage. Beides scheint zuletzt in Gang gekommen zu sein.
Das Risiko in den geistes- oder kulturwissenschaftlichen Fächern sehe ich im Moment eher bei den Verlagen, weil einerseits durch den digitalen Wandel die akademischen Öffentlichkeiten auch ohne große Verlagsinvestitionen besser oder überhaupt erst effektiv zu erreichen sind und andererseits dadurch auf dem Anbietermarkt des Zugangs zur jeweils relevanten akademischen Öffentlichkeit die Konkurrenz enorm verstärkt wird. Zu befürchten ist – analog zu den MINT-Fächern – als marktrationale Reaktion eine Konzentration auf der Anbieterseite. Die vielen kleinen geistes- und kulturwissenschaftlichen Verlage werden es zunehmend sehr schwer haben, auf diesem Markt zu bestehen. Viele werden ihr Geschäft aufgeben müssen. In diesem Sinne erscheint mir die Fortführung der Praxis, das Urheberentgelt der VG Wort weiterhin zwischen AutorIn und Verlag zu teilen, nicht nur gut begründbar, sondern im Lichte der genannten Veränderungen sogar geboten.
Im Buchhandel sind wir im Sinne einer kulturellen Landschaftspflege schließlich auch zu ähnlichen „verrückten“ Verhaltensweisen wie der Buchpreisbindung bereit. Das Sterben der vielfältigen privaten Verlagslandschaft im deutschsprachigen Raum kann sich niemand wünschen, unsere amerikanischen KollegInnen blicken jedenfalls mit Wehmut auf diese Möglichkeiten. Gleichwohl täten die deutschen Wissenschaftsverlage sehr gut daran, DoktorandInnen für die Drucklegung ihrer Dissertation günstige Vorzugspreise einzuräumen, gleichsam als einen Wechsel auf die Zukunft dieser AutorInnen.
Das Streitgespräch wurde auf L.I.S.A. am 09.02.2017 veröffentlicht. Wir danken der Redaktion für die Zustimmung zur Zweitverwendung.