Ein Gastbeitrag von Heiner Flassbeck
Von der CDU ist man ja einiges gewöhnt. Von der SPD weit weniger, weil sie in den letzten Jahren zu dem Drama, das sich in Europa, besonders aber in Südeuropa abspielt, meistens schweigt. Jetzt aber hat der SPD-Vorsitzende Griechenland im Schäuble-Duktus ermahnt, „Reformen“ durchzuführen. Laut Spiegel-Online sagte er der Bildzeitung: “Ein drittes Hilfspaket für Athen ist nur möglich, wenn die Reformen auch umgesetzt werden. Wir können nicht einfach Geld dorthin schicken.”
„Die Reformen“ im Zusammenhang mit Griechenland zu sagen, ist eine grandiose Unverschämtheit. Ich kann nur wiederholen, was wir vor kurzem dazu gefragt haben: Die Löhne um 25 Prozent zu senken ist keine Reform, oder?
Das untenstehende Bild zeigt noch einmal das Ergebnis der wichtigsten Reformen. Die Reallöhne pro Stunde in Griechenland sind in Euro auf der rechten Skala (einmal mit Verbraucherpreisen, einmal mit Produzentenpreisen gerechnet) aufgezeichnet, auf der linken Skala befindet sich die Arbeitslosigkeit. Die wichtigste Forderung an Griechenland von Seiten der großen Koalition aber auch der vorherigen Koalition in Deutschland war doch, das Land aufzufordern, durch einen „flexibleren“ Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu werden. Von der Troika wurde folglich mit Billigung Deutschlands enormer Druck auf die Löhne ausgeübt. Der war „erfolgreich“, denn es kam zu einem starken absoluten Absinken der Reallöhne. Sie sanken ab 2009 von 15,50 Euro bis 2014 auf 12,70 Euro aus Verbrauchersicht und noch stärker aus Produzentensicht.
Eine Lohnsenkung von über 22 Prozent aus Verbrauchersicht (und um über 30 Prozent aus Produzentensicht) zeugt von einer ungeheuren „Flexibilität“ und einem „Reformeifer“ im Sinne der Troika, der von keinem anderen Land in Europa erreicht wurde. Diesem Land heute zu sagen, es müsse „Reformen umsetzen“, spricht den Fakten Hohn und ist ein unglaublicher Zynismus gegenüber den Menschen in Griechenland, die die Reformen durchlitten haben.
Denn, und das ist der eigentliche Skandal, das erschütternde Ergebnis der „Reformen“ wird von denen, die sie durchgesetzt haben, nicht einmal zur Kenntnis genommen. Die „Reformen“, bei denen die Gewerkschaften entmachtet und der Arbeitsmarkt exakt nach den Vorstellungen der Troika „flexibilisiert“ wurden, haben genau zum Gegenteil dessen geführt, was die Troika erwartet hatte. Das Ergebnis dieser „Reformen“ am Arbeitsmarkt war und ist katastrophal, denn die Arbeitslosigkeit ist nicht, wie erwartet, gesunken, sondern steil angestiegen. Wie kann man angesichts dieses Debakels der Politik der Gläubiger über eine Fortsetzung der „Reformen“ als Voraussetzung für weitere Hilfen schwadronieren?
Nur, genau an dieser Stelle kommt den Sozialdemokraten immer ihr eigenes Waterloo in den Sinn. Wer jahrelang für Lohnmoderation plädiert hat und fest an den neoklassischen Arbeitsmarkt glaubte (hier ein kleiner Aufsatz von mir aus dem Jahr 1999 dazu), kann ja nicht zugeben, dass die Politik der Troika nicht funktionieren konnte. Deswegen muss man das Versagen dieser Politik so weit unter den Tisch kehren, dass es niemand mehr sieht.
Gibt es aber in der deutschen Sozialdemokratie auch niemanden mehr, der die politischen Folgen dieser deutschen unberechtigten Oberlehrerhaftigkeit erkennt? Dass in deutschen Talkshows fast jede Woche entsetzlich dummes und nationalistisches Geschwätz dominiert, wenn es um Griechenland geht, ist ja schon schlimm genug. Wenn aber der Vorsitzende der deutschen Sozialdemokraten exakt die Floskel der größten Ignoranten übernimmt und davon spricht, es fehlten in Griechenland „die Reformen“, ist das ungeheuerlich und unverantwortlich zugleich. Da zeigt sich zudem, wie verlogen es ist, dass die Sozialdemokraten in der Reparationsfrage Solidarität mit Griechenland heucheln (wie das hier anklingt). Wer nicht einmal versucht zu verstehen, was dem griechischen Volk hier und heute angetan wird, kann sich das Mitleid über Verbrechen der Vergangenheit sparen.
Und dann das Geld, das angeblich geschickt wurde und wieder geschickt werden soll. Das Geld, das bisher geflossen ist, hat überwiegend die westlichen Gläubiger gerettet und auch das, was die griechische Regierung heute zusammenkratzt, fließt überwiegend an die Gläubiger. Von „dorthin“ schicken konnte bisher folglich nicht die Rede sein, im Gegenteil, man hat der Regierung ja auch strikte Sparauflagen gemacht, die allerdings auch nichts gebracht haben, weil die Wirtschaft unter der Last der Troika-Politik zusammengebrochen ist.
Um es noch klarer zu sagen: Angesichts der deutschen (rot-grünen) Schuld an der ganzen Euro-Misere, dem kläglichen Versagen der Troika in den vergangenen fünf Jahren, ist das einzige, was heute eine kleine Wiedergutmachung für die Griechen wäre, genau das, was Gabriel kategorisch ablehnt, nämlich einmal einfach Geld dorthin zu schicken. In der Tat, die unsinnigen Bedingungen der Troika müssen fallen, die griechische Regierung muss Luft zum Atmen bekommen und es muss denen Gerechtigkeit widerfahren, die so lange unter der falschen Politik der Gläubigerländer gelitten haben.
Wenn Griechenland faktisch unregierbar wird, weil die Gläubiger an dieser Regierung ein Exempel statuieren wollen, dürfen wir all diejenigen die Totengräber Europas nennen, die bis zur letzten Sekunde ihre Dogmen gegen jede Vernunft verteidigt haben.
Dieser Beitrag wurde erstmals am 20.05.2015 auf dem Blog flassbeck economics veröffentlicht. Wir danken Herrn Dr. Heiner Flassbeck für die Zustimmung zur Veröffentlichung