Anarchosyndikalismus als Alternative
Anarchosyndikalismus als Alternative

Anarchosyndikalismus als Alternative

Ein Interview von Dr. Bernd Drücke mit dem Gewerkschaftsaktivisten Heiko Maiwald (FAU)

Heiko Maiwald (* 1974 in Berlin) ist Krankenpfleger und macht seit über 20 Jahren Betriebsarbeit in Gesundheitseinrichtungen. Er ist Mitglied der Gewerkschaft Gesundheits- und Soziale Berufe Hannover (GGB), einem Syndikat der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU). Der Basisgewerkschafter ist Autor u.a. von „Aus dem Takt. Offensive Betriebsarbeit im Gesundheitswesen“, „Betriebsausfall. Herbststurm 1989/90 in der DDR und die Kampftraditionen in 20 Jahren Nachwende“ und „Aus dem Schatten treten! Anregungen für die anarchosyndikalistische Gewerkschaftsarbeit“ (alle Syndikat A, Moers). Er hat Beiträge u.a. in „Die großen Streiks“ (Unrast, Münster) und in „FAU. Die ersten 30 Jahre“ (Edition AV, Lich) veröffentlicht und schreibt regelmäßig für die Direkte Aktion (DA) und die Graswurzelrevolution. Im Februar 2016 interviewte ihn GWR-Redakteur Bernd Drücke im Studio des Medienforums Münster. An der Technik saß Klaus Blödow (Medienforum Münster). Die dort produzierte Radio Graswurzelrevolution-Sendung lief am 28.2. von 19:04 Uhr bis 20 Uhr im Bürgerfunk auf Antenne Münster (95,4 Mhz.) Wir drucken eine redaktionell überarbeitete Version. (GWR-Red.)

Graswurzelrevolution (GWR): Wie bist Du aufgewachsen?

Heiko Maiwald: Ich bin in der DDR aufgewachsen, im Ostteil Berlins, in Friedrichshain.

Da habe ich die ersten Jahre gelebt, bin als Kind einige Male umgezogen, habe dann bis 1987 in Hennigsdorf gewohnt, einer zumindest damals bedeutenden Industriestadt bei Berlin, quasi im Speckgürtel von Berlin gelegen. Später habe ich meine Jugend im heutigen Sachsen-Anhalt verbracht. Wir sind in den Bezirk Magdeburg gezogen. Immer mit unseren Eltern mit, die haben des Öfteren ihre Jobs gewechselt.

GWR: Wie bist Du dann auf den Anarchismus beziehungsweise den Anarchosyndikalismus gestoßen?

Heiko Maiwald: Über Umwege. Ich bin relativ früh als Jugendlicher quasi in eine oppositionelle Haltung zur bestehenden Gesellschaftsordnung geraten, habe mich viel mit Theorie beschäftigt, bin letztendlich über den Rätekommunismus zum Anarchismus gekommen, eigentlich über Erich Mühsam, wenn man Namen nennen möchte. Es wurde auch in der DDR viel über und viel von Erich Mühsam publiziert.

Die Schriften waren zugänglich. Es waren insbesondere Bücher von Peter Kropotkin und Mühsam, die mir die Tür aufstießen. Das war mein Zugang zum Anarchismus.

GWR: Wann war das ungefähr?

Heiko Maiwald: Heiko Maiwald: Den wirklichen Zugang zum Anarchismus habe ich eigentlich erst nach der Wende gefunden. Ein diffuses Verständnis vom Anarchismus hatte ich schon von jeher, eigentlich schon als Heranwachsender. Ich hatte schon länger eine gewisse Idee davon, konnte sie aber nicht so genau konkretisieren. Ich glaube, dass es viele Menschen gibt, die so zum Anarchismus gefunden haben, viele schon so diffuse Vorstellungen in sich tragen, vielleicht sogar auch schon relativ konkret ausgestaltet. Und dass sie irgendwann auf diese Ideen, die sie mit sich herumtragen, Antworten finden.

GWR: Viele Menschen denken bis heute, Anarchie sei Chaos und Terror. Was bedeutet Anarchie für Dich?

Heiko Maiwald: Ich bin an sich ein friedfertiger Mensch, und ich denke, das sind die meisten Menschen. Ich habe ein ganz anderes Verständnis von Anarchie und Anarchismus. Für mich ist Anarchismus die persönliche und gesellschaftliche Freiheit mit Verantwortung. Die Idee setzt viele Tugenden voraus, die aber Menschen auch mit sich bringen: eine gewisse Verbindlichkeit, ein gewisses Vertrauen, Verantwortlichkeit, Selbstdisziplin, auch wenn das vielleicht zurzeit ein Begriff ist, der nicht so „anarchismus-konform“ ist. Es bedeutet, sich verantwortlich fühlen und verhalten.

GWR: Wie hat Dein Umfeld auf Deine Hinwendung zum Anarchismus reagiert? Deine Geschwister, Deine Eltern, Deine Bekannten?

Heiko Maiwald: Das war sehr unterschiedlich. Letztendlich bin ich ja in einem Freundeskreis verkehrt, wo alle ähnliche Ideen wie ich hatten. Meine Eltern standen am Anfang sehr skeptisch diesen Ideen und meinem Engagement gegenüber. Ich habe mich früh in dieser Richtung engagiert. Das war natürlich sehr vorurteilsbehaftet. Es gibt ja so Stichworte, die man gemeinhin mit Anarchie und Anarchismus verbindet. Und natürlich sind meine Eltern und mein Umfeld nicht frei davon gewesen. Da waren jede Menge Ängste im Spiel. Aber im Laufe meiner Geschichte hat sich herauskristallisiert, dass die Dinge, die ich mache, eigentlich relativ vernünftig sind, dass es auch Sachen sind, die durchaus einen gewissen Nutzen bringen. Von daher ist die Akzeptanz gestiegen. Manche Dinge, die ich mittlerweile mache, finden sie auch gut, glaube ich.

GWR: War das schon zu DDR-Zeiten oder praktisch nach der Wende?

Heiko Maiwald: Das war ein schleichender Prozess. Ich bin relativ früh in Opposition geraten, das war ungefähr 1988, also noch vor der Wende-Zeit. Ich habe mich damals bestimmten Dingen verweigert, die gegeben oder vorgezeichnet waren. Jeder hat die mitgemacht, und ich bin an der Stelle ausgeschert. Das hat erst einmal im kleineren Kreis für Aufsehen gesorgt, zum Beispiel in der Schule. Aber es nahm auch größere Kreise an, weil das Umfeld immer mit einbezogen wurde, wenn ein Jugendlicher eine Meinung vertrat, die nicht systemkonform war. Meine Eltern waren wenig davon begeistert, dass ich so ein Aufsehen errege, klar. Aber sie haben mir damals, für mich überraschend, auch den Rücken gestärkt. Sie haben mir klar gesagt, und ich werde diese Worte niemals vergessen: „Du entscheidest über Dein Leben, und niemand sonst sollte Dir da hineinreden.“ Das ist quasi meine Leitlinie geworden, die habe ich weiter verfolgt. Ich habe meine Eltern in der damaligen Phase, als ich wirklich Druck und Stress hatte, als unterstützend erlebt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich im Bezirk Magdeburg gelebt. Zehn Jahre später, lange nach der Wende, bin ich nach Niedersachsen gezogen.

GWR: Und da bist Du dann zur FAU gestoßen?

Heiko Maiwald: Eigentlich bin ich das schon früher. Ich habe die FAU am Rande schon Anfang der 1990er mitgekriegt. Es gab damals Leute, die die Zeitung der FAU verkauft haben, die DA. Ich glaube, dass die mir in Chemnitz zum ersten Mal über den Weg gelaufen sind, bei einer Demonstration. Ich habe die Zeitung gekauft und mich Jahre später lediglich daran erinnert, dass es da schon etwas gab, was meinen Vorstellungen zu jenem Zeitpunkt, also 1997, am nächsten kam. Ich habe Kontakt zur FAU aufgenommen, als ich noch in Sachsen-Anhalt gelebt habe, und bin im April 1998 beigetreten.

GWR: Die Direkte Aktion erscheint seit 1977 als anarchosyndikalistische Zeitung. Du schreibst schon lange für DA und GWR. Vielleicht erzählst Du ein bisschen über diese Zeit, vor allem bei der DA?

Heiko Maiwald: Die DA ist im Wesentlichen so alt wie die FAU. Und war lange ihr wichtigstes Medium nach außen. Heute spielen, wie überall, auch die Neuen Medien, also das Internet, eine wichtige Rolle. Die DA ist die langlebigste anarchosyndikalistische und (nach der seit 1972 erscheinenden Graswurzelrevolution) die zweitälteste anarchistische Zeitschrift im deutschsprachigen Raum. Sie hat sich im Laufe der Jahrzehnte von einem relativ theoretischen Organ hin zu einer Gewerkschaftszeitung entwickelt. Letztendlich ist das auch die Entwicklung, die die FAU gemacht hat. Die DA ist ein Spiegelbild davon.

GWR: Die meisten Zeitungen und Zeitschriften haben einen Chefredakteur, sind hierarchisch von oben nach unten gegliedert. Anders die Graswurzelrevolution. Sie hat einen Koordinationsredakteur und ist basisdemokratisch organisiert. Alle Entscheidungen werden im Konsens des GWR-HerausgeberInnenkreises gefällt. Erzähl bitte mal, wie das bei der Direkten Aktion aussieht? Wie trefft Ihr Entscheidungen?

Heiko Maiwald: Bei der DA werden die Redaktionen gewählt. Sie bestehen aus diversen Teilredaktionen, die die gesamte Redaktion stellen und die dafür sorgen, dass die DA zweimonatlich erscheinen kann. Die Arbeit ist ehrenamtlich, die Mandate rotieren auch, das heißt, dass zum Beispiel eine Redaktion, die dieses Jahr von Hannover besetzt wird, nächstes Jahr von Berlin gestellt werden könnte. Es gibt keine dauerhaften Redaktionen, die da eingesetzt werden, es gibt keine Redaktion auf Lebenszeit. Wir machen das ehrenamtlich in unserer Freizeit, nicht nur die redaktionelle Arbeit, sondern auch die Artikel, die beigesteuert werden. Die werden von Mitgliedern geliefert oder auch von Leuten, die außerhalb der FAU stehen.

GWR: Es gab ja auch eine rege anarchistische Bewegung in der DDR, also mit „Kopfsprung“, einer Untergrundzeitung, dann „Umweltblätter“, „telegraph“, „MoAning Star“ und so weiter. Eine ganze Reihe von kleinen, aber vitalen, anarchistisch verfassten Publikationen, die meistens mit dem Zusatz „Nur zur innerkirchlichen Information“ erschienen, weil sie nur unter dem Dach der Kirche legal produziert werden konnten. Wie hast Du damals die Wende erlebt, in der Zeit um 1989/1990?

Heiko Maiwald: Für mich war die Wende-Zeit tatsächlich Befreiung und Aufbruch. Ich habe sie als intensivste Zeit meines Lebens in Erinnerung behalten. Es waren wenige Monate, aber es war für mich persönlich der Moment, wo man Freiheit sehen, schmecken, fühlen, anfassen konnte. Und dieser Moment ist geblieben; er hat mich bis heute nachhaltig geprägt; es ist ein Zustand, auf den ich wieder hin arbeiten möchte. Ich möchte genau wieder an dieser Stelle stehen, wo überkommene gesellschaftliche Verhältnisse aufhören zu existieren, wo etwas Neues entsteht, wo für neue Möglichkeiten Potentiale freigesetzt werden, wo Freiheit pur entsteht.

GWR: Es gab damals viele Freiräume, die sich die Menschen einfach genommen haben. 1990 gab es allein in Ost-Berlin 130 instandbesetzte Häuser. Auch in Potsdam, Leipzig und anderen DDR-Städten wurden viele Häuser besetzt. Es gab Freie Schulen, zum Beispiel wurde in Leipzig die Freie Schule im Sommer 1990 gegründet, noch ohne Konzept, aber direkt von der Oppositionsbewegung legalisiert. Im Grunde kann man sagen, dass es temporär ein großer freiheitlicher Aufbruch gewesen ist, der zum Teil durch die Wiedervereinigung zurückgedrängt wurde. Es gab dann nach dem 3. Oktober 1990 die brutalen Räumungen in der Mainzer Straße und so weiter. In gewisser Weise war das eine Konterrevolution durch den Nationalismus, der geschürt wurde. Es war ursprünglich keine nationalistische Bewegung in der DDR, sondern eine Befreiungsbewegung, eine gewaltfreie Bewegung von unten. Das wurde teilweise durch den Nationalismus, der auch von Westdeutschland gepuscht wurde, in ganz andere Bahnen gelenkt. Da ist viel verloren gegangen. Ich denke, dass wir, wie Du eben gesagt hast, darauf hinarbeiten sollten, dass eine solche Revolution praktisch wieder realisiert werden könnte. Wie kamst Du zum Anarchosyndikalismus? Was hat Dich da beeinflusst? Erzähl bitte mehr zur FAU, in der Du organisiert bist.

Heiko Maiwald: Persönlich bin ich über die Durruti-Biographie von Abel Paz zum Anarchosyndikalismus gekommen, die mich sehr beeindruckt hat und 1993 im Nautilus Verlag erschienen ist. Ich habe gemerkt: Das ist es, das ist der konkrete Weg! Der Anarchosyndikalismus ist das konkreteste Angebot, wie eine freie Gesellschaft zu erreichen ist. Ich bin seit 1998 Mitglied der FAU, bin ein Jahr später nach Hannover gezogen und gehöre seitdem dort der FAU an. Die bundesweite FAU ist eine Gewerkschaftsföderation und baut sich von unten nach oben auf, aus lokalen Gewerkschaftsgruppen, Syndikate genannt, die sich vor Ort zu Lokalföderationen zusammen schließen, wenn es mehrere Gruppen gibt, und in Regionen bis hin zur bundesweiten FAU. Wir haben auch einen internationalen Verband, sind international mit anderen Gewerkschaften vernetzt, nicht nur über die Internationale ArbeiterInnen-Assoziation (IAA).

Das gleiche Prinzip wie bei der DA kommt in der FAU zur Anwendung: Mitglieder werden von der Gewerkschaftsbasis auf Zeit in verantwortungsvolle Positionen gewählt, sind der Basis rechenschaftspflichtig und üben ihr Mandat ehrenamtlich aus. Die Funktionen rotieren.

GWR: Wie sieht Eure Arbeit lokal aus?

Heiko Maiwald: In Hannover machen wir ganz konkrete Gewerkschaftsarbeit. Wir haben uns vor einiger Zeit neu aufgestellt. Im Moment gibt es zwei Syndikate in Hannover, einmal die Gewerkschaft Gesundheits- und Soziale Berufe, der ich als Krankenpfleger angehöre, und dann das Allgemeine Syndikat, wo alle anderen Berufe organisiert sind.

Als GGB organisieren wir das Gesundheits- und Sozialwesen, also Erzieherinnen, Erzieher, Krankenschwestern, Krankenpfleger, Ärzte und Ärztinnen, andere Heilberufe, Sozial Arbeitende. Uns geht es darum, unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Das ist das konkrete Angebot, das wir interessierten Menschen machen können, dass sie sich bei uns organisieren und wir fortan gemeinsam dafür eintreten, dass sich etwas bei ihnen im Job zu ihren Gunsten verändern kann.

Wir machen Betriebsarbeit, beteiligen uns an Arbeitskämpfen. Einmal im Monat bietet die FAU Hannover eine gewerkschaftliche Beratung an, wo all jene Unterstützung finden, die mit Problemen im Job ringen. Darüber hinaus halten wir regelmäßig Schulungsseminare ab, mit Schwerpunkt auf betriebliche Organisierung sowie Arbeitsrecht. Das Allgemeine Syndikat ist derzeit sehr rührig gegen Union Busting (Gewerkschaftssprengung), macht mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf seine Akteure aufmerksam, unterstützt betroffene Kolleginnen und Kollegen, auch die Mitglieder anderer Gewerkschaften. Unsere AG Stadtteilpolitik ist in die hier im Entstehen begriffene Bewegung gegen Zwangsräumungen eingebunden. In naher Zukunft wollen wir in Hannover ein eigenes FAU-Lokal eröffnen und treffen seit Monaten alle dafür nötigen Vorbereitungen.

GWR: Du hast erzählt, dass Dich die Biographie über Durruti, den berühmten spanischen Anarchosyndikalisten, beeindruckt hat. Kannst Du etwas über die Spanische Revolution erzählen, die sich im Juli 2016 zum 80. Mal jährt?

Heiko Maiwald: Die Spanische Revolution war bisher der größte und weitestgehende Versuch, eine libertäre Gesellschaft aufzubauen. Der Schwerpunkt lag damals in Katalonien, einem industriell geprägten Gebiet. Aber auch in eher landwirtschaftlichen Regionen wurden Strukturen etabliert, die aus der Gewerkschaft, der CNT, heraus entstanden und in Spanien die anarchistische Gesellschaft vorwegnahmen bzw. die Kurs darauf nahmen, eine solche aufzubauen. Kollektivierungen fanden im großen Maße statt, nicht nur in der Industrie, sondern auch in der Landwirtschaft. Die Verteilung der Produkte, das ganze Zusammenleben wurde selbstorganisiert. Der Verkehr, das Gesundheitswesen, das Schulsystem – sämtliche Lebens- und Wirtschaftsstrukturen wurden grundlegend umgewälzt. In Spanien gab es den bis heute konkretesten Versuch.

GWR: Welche Literatur würdest Du zum Thema Spanische Revolution empfehlen?

Heiko Maiwald: Da gibt es eine ganze Reihe von Büchern in kleineren Verlagen, die man aber in gut sortierten Buchläden finden und im Internet bestellen kann, die sich explizit mit der Spanischen Revolution oder mit Teilfragen beschäftigen. Ich bin ein bisschen überfordert, da jetzt einen Überblick zu geben. (lacht)

GWR: Auch bei der Edition AV und im Verlag Graswurzelrevolution gibt es etliche Bücher zum Spanischen Bürgerkrieg, die ich empfehlen kann. Viele dieser Verlage werden auch im März auf der Leipziger Buchmesse sein. Als AnarchistInnen stellen wir uns ja die Frage: Wie kann man Anarchie erreichen? In Spanien ist 1936 viel umgesetzt worden, es gab über 3.000 Freie Schulen, es gab ein riesiges Alphabetisierungsprogramm. Große Betriebe in Barcelona und weit darüber hinaus wurden kollektiviert. Unter den schwierigen Bedingungen des Bürgerkriegs wurde versucht, die Gesellschaft anarchistisch zu organisieren. Wie stellst Du Dir vor, dass man heute oder in naher Zukunft eine herrschaftslose, gewaltfreie Gesellschaft realisieren könnte?

Heiko Maiwald: Ich denke, dass das ein sehr weiter Weg sein wird, dass man diesen Zustand, den man anstrebt, tatsächlich erreicht, wo man ab einem bestimmten Punkt sagen kann, das ist die Gesellschaftsordnung, die ich angestrebt habe. An diesem Punkt sind wir heute gewiss nicht, sondern es geht darum, überhaupt erst einmal Menschen mit dieser Idee vertraut zu machen, diese Idee publik zu machen, uns bekannt zu machen und Leute zu begeistern, so dass sie sich mit uns gemeinsam für Teilaspekte, die unser Leben bestimmen, engagieren. Für mich ist der Anarchosyndikalismus das Angebot, das wir machen können, dass sich über eine gewerkschaftliche Stoßrichtung Menschen organisieren können, dass sie Verantwortung übernehmen und Dinge anders handhaben, selbst organisieren, basisdemokratisch und verantwortlich. In der Organisationsform könnten die gesellschaftlichen Veränderungen, die wir anstreben, schon vorweggenommen werden. Meine persönlichen Ziele sind da bescheiden: Wenn ich am Lebensende eine Massenorganisation von 50.000 Mitgliedern in der FAU sehe, ist das für mich ein erstrebenswertes Ziel, und ich wäre damit zumindest für meinen Lebensabschnitt zufrieden. Ich denke, dass es viel länger dauern wird, bis unsere Ideen durch mehr Köpfe gegangen sind. Ein Trend der letzten Jahre ist, dass die FAU größer wird und an Anziehungskraft gewinnt.

GWR: Was wolltest Du schon immer mal sagen?

Heiko Maiwald: Kapitalismus ist die Zurichtung und Zerstörung von Mensch und Natur. Doch der Kapitalismus ist nicht alternativlos.

Das Interview erschien erstmals in der Graswurzelrevolution Nr. 407, März 2016, www.graswurzel.net/407/fau.php“ Wir danken der Redaktion und Heiko Maiwald für die Zustimmung zur Zweitverwendung

 

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