Boomtown Berlin – Stadtentwicklung im Turbomodus
Boomtown Berlin – Stadtentwicklung im Turbomodus

Boomtown Berlin – Stadtentwicklung im Turbomodus

Ein Plädoyer der Berliner Piraten gegen das Nichstun beim Gentrifizierungsprozess

Von Ulli Zedler, Kandidat der Piratenpartei für die Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin

Berlin wächst. Natürlich nicht an Fläche, denn die Stadtgrenzen sind fix, sondern an Einwohnern, an Bauvolumen, an Verkehr und an Dichte.

Während der sonderabschreibungsgetriebene  Bauboom der Wiedervereinigung 1997 zusammenbrach, und 150.000 überflüssige Wohnungen in Berlin zurückließ – die Wachstumsphantasien bis 6 Mio. Einwohner im Ballungsraum hatten sich auch nicht annähernd erfüllt – drehte der Wind ungefähr im Jahr 2007.

2007 waren die 150.000 leerstehenden Wohnungen sukzessive vom Markt aufgenommen, also vermietet worden, gleichzeitig war die Neubautätigkeit im Geschosswohnungsbau mit ca. 2-3.000 WE/a nahezu zum Erliegen gekommen und lag vor allem weit unter der Erneuerungsrate. Im Klartext: Es wurde mehr Wohnungen durch ruinösen Verfall oder Abriss dem Markt entzogen als neu gebaut wurden. Die Stadt schrumpfte, an Substanz wie an Einwohnern.

Wohnungsmarkt und Mietentwicklung dreht seit 2009 dynamisch nach oben

Es dauert in unelastischen Märkten, der Wohnungsmarkt gehört ähnlich wie der Grundstücksmarkt dazu, oft nicht besonders lange, bis eine Situation von Überangebot mit stagnierenden und teilweise sinkenden Preisen umkippt in eine Marktphase die von Knappheit und damit Knappheitspreisen geprägt wird.

Sobald am Wohnungsmarkt die Nachfrage das Angebot übersteigt, beginnen sich die Mieten bei Neuvermietungen in die Höhe zu bewegen, je nach dem, was der leistungsfähigste Mietinteressent bereit und in der Lage ist, zu zahlen. War 2007 das Jahr des Tiefpunkts der Talsohle, begann schon 2 Jahre später die Entwicklung zu drehen.

Seit 2009 gewinnt die Dynamik steigender Miet- und Kaufpreise, unterstützt durch die Weltwirtschaftskrise und der damit verbundenen „Flucht“ des Kapitals in sichere Häfen wie Immobilien in deutschen Ballungsräumen und so genannten Schwarmstädten.
Inzwischen ist der Markt derart heiß gelaufen, gestützt durch eine von der Zentralbank durchgesetzten Superniedrigzinsphase, die den konkurrierenden Sektor des Wohneigentums in immer abenteuerliche Preisregionen katapultiert, dass die Preisentwicklung der Mieten, Baukosten und Immobilienpreise die der normalen Verbrauchs- und Konsumgüter weit hinter sich lässt.

Während die Inflation im „Warenkorb“ nahe Null stagniert, sind in zentralen Lagen Mietanstiege von 14% in 2 Jahren, also knapp 7% p.a. völlig normal geworden.

Gentrifizierung is on the way

Das Phänomen der Gentrifizierung ist nicht neu, schon in den 80-er Jahren beschreiben Autoren den Weg von Stadtvierteln, die – heruntergekommen und zerfallen – zum Abriss freigegeben waren und dann, quasi „in letzter Minute“ davor bewahrt wurden, und dann eine Entwicklung nahmen die sie zum teuersten und angesagtesten Quartier werden ließen, man denke an München Schwabing oder Hamburg St. Georg.

Die „moderne“ Gentrifizierung zeichnet sich durch eine neuen, erhöhte Dynamik aus, bei der ein Ortsteil binnen 10-12 Jahren (früher brauchte dies eine Generation) vom heruntergekommenen Abrissquartier mit großem Leerstand zu einem megahippes, superteures Schicki-Micki-Viertel mutiert. In Berlin ist der Klassiker das Gebiet rund um den Kollwitzplatz. Momentan im direkten Focus der Gentrifizierung steht beispielsweise der Friedrichshain (die Altbauquartiere), welchen ich einmal exemplarisch näher betrachten will.

Im Gebiet rund um Rigaer Straße, Boxhagener Platz, Warschauer und Revaler Straße ist der Entwicklungsdruck an seinem Hochpunkt angekommen. Grundstücke mit Abrissobjekten oder untergenutztem Gewerbe oder Baulücken werden langsam knapp, und immer teurer. Die Bodenpreise sind von bereits sportlichen 500 €/m2 auf bis zu 1.800 €/m2 hochexplodiert, in gerade mal 4 Jahren. Ähnlich erging es den Quadratmeterpreisen im Hochbau, ein Quadratmeter Nettogeschossfläche im Eigentumsbereich kostet den Endverbraucher inzwischen zwischen 3.200 und 5.500 €. Vor 5 Jahren lag der Wert noch zwischen 2.200 und 3.500 Euro. Vor 10 Jahren gar war es möglich, zwischen 1.350 und 2.200 Euro je m2 Wohnraum zu bauen und zu erwerben.

Ähnlich im Mietwohnungsbereich. Kosteten Neubauwohnungen 2007, in der Talsohle der Entwicklung, bei Neuvermietungen zwischen 4,70 und 5,80 Euro/m2 und im Neubau ca. 9 Euro, muss man inzwischen im Bestand zwischen 9 und 11 Euro rechnen, im Neubau startet man zwischen 12 und 15 Euro nettokalt, je nach Lage und Ausstattung.

Was Investoren freut – endlich lohnt es sich wieder richtig, in Berlin Wohnungsbau zu betreiben oder Mietwohnungen anzubieten – ist für private Erwerber wie Mieter gleichermaßen ein Graus.

Die Starken verdrängen die Schwachen

Gentrifizierung und angespannte Märkte kombiniert sind der Super-GAU für Haushalte mit kleinerem oder inzwischen auch mittlerem Einkommen, die neu eine Wohnung suchen oder sich verändern müssen (z.B. wg. Kindern, Jobwechsel).

Wer in Gentrifizierungsgegenden lebt, wird inzwischen krampfhaft versuchen, seine Wohnung irgendwie zu halten, denn er weiß „they never come back“. Wer einmal aus seinem angestammten Kiez verdrängt wurde, kann, jedenfalls in der derzeitigen Marktphase, unmöglich zurückkehren, es sei denn er ist bereit und auch in der Lage, das doppelte bis dreifache Geld hinzublättern.

Dabei sind die schwachen Marktteilnehmer oft den Machenschaften windiger und unseriös agierenden Gentrifizierer hilflos ausgesetzt. Da fällt schon mal das Wasser oder die Heizung aus, werden bereits Abbrucharbeiten in noch teilbewohnten Objekten durchgeführt, da flattern fristlose oder auch fristgerechte Kündigungen ins Haus wegen marginaler angeblicher Mietvertragsverstöße, da kommen Mieterhöhungsbegehren jenseits aller vernünftigen Maßstäbe. Das Fordern einer verdreifachten Grundmiete nach umfassender energetischer Sanierung ist inzwischen nicht mehr die exotische Ausnahme, sondern wird zur Regel.

Kann Politik etwas tun?

Ja und Nein. Was Politik nicht verhindern kann, jedenfalls nicht Landespolitik, ist das Steuern der Rahmenbedingungen, die Gentrifizierung begünstigt. Gründerzeitliche Altbauquartiere liegen nun mal, historisch gewachsen, dicht der Innenstadt, und genau deshalb sind sie ja auch für Gentrifizierung so anfällig („Stadt der kurzen Wege“). Die Zinsen setzt auch nicht das Land fest, sondern die Zentralbank so wie die Geschäftsbanken. Das die so genannten Pioniere in Gentrifizierungsgegenden die Ersten sind, die verdrängt werden, ist systematisch, und nicht politisch bedingt.

Aber Politik kann sowohl den Gentrifizierungsprozess dämpfen, also zeitlich strecken, um ihm seine brutale Dynamik etwas zu kappen, als auch bestimmte, besonders unerwünschte Begleiterscheinungen der Gentrifizierung wie z.B. massenhafte Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, Luxusmodernisierung, Beseitigung von kleinen Wohnungen durch Wohnungszusammenlegungen und Grundrissveränderungen durch Genehmigungsvorbehalte steuern, und wenn nötig verhindern.

Hierbei stand vor allem die Berliner CDU lange auf der Bremse, erst 2014  „erlaubte“ sie der SPD-geführten Bauverwaltung, eine Umwandlungsverordnung zu erlassen.

Das Problem dabei ist die inzwischen verstrichene Zeit. Ist nämlich in einem Gebiet, wie z.B. bei Riehmers Hofgärten an der Yorckstraße geschehen, der Gentrifizierungsprozess bereits so weit vorangeschritten dass eine Erhaltungssatzung mit Anwendung der Umwandlungsverordnung gar nicht mehr – aus rechtlichen Gründen – erlassen werden darf, dann ist dieser Ortsteil für schützende Maßnahmen der Politik weitestgehend verloren.

So zeigt sich wieder einmal, dass in der Politik Nichtstun oder Blockaden zu schweren Problemen führen können, denn Investoren warten nicht, bis die Politik ausgeschlafen hat, sie handeln.

Das Wahlprogramm der PIRATEN Berlin findet sich unter https://wiki.piratenpartei.de/BE:Wahlprogramm/2016.


Wohnungspolitik neu positionieren!
Plädoyer von vhw und Difu für eine soziale und resiliente Wohnungspolitik

Eine zum Thema passende Medieninformation und Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik vom 23. August 2016

Download der Studie plaedoyer_wohnungspolitik-1

 

 

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