Das Netzpolitische Manifest – ein schönes Geschenk zum 10-jährigen Jubiläum der Piratenpartei Deutschland
Das Netzpolitische Manifest – ein schönes Geschenk zum 10-jährigen Jubiläum der Piratenpartei Deutschland

Das Netzpolitische Manifest – ein schönes Geschenk zum 10-jährigen Jubiläum der Piratenpartei Deutschland

Vorspann

Am 28. August 2016 beschloss die Piratenpartei Deutschlands auf ihrem Bundesparteitag in Wolfenbüttel, Niedersachsen, das von Dr. Joachim Paul vorgelegte 34-seitige „Netzpolitische Manifest für das Informationszeitalter“ als working document in die offiziellen Texte der Partei zu übernehmen. Symbolisch gesehen, beschenkt sich die Piratenpartei damit unmittelbar vor dem 10-jährigen Jubiläum selbst.

Mit diesem Dokument, das mit überwältigender Mehrheit beschlossen wurde, unterstreicht die Piratenpartei ihren Anspruch, Netzpolitik in die Parlamente unserer Demokratien zu tragen, von den Kommunen bis in die Staaten und Staatenbünde.

Der Begriff Netzpolitik wird dabei wesentlich weiter gefasst, als das bisher geleistet wurde, über den Aspekt des Rechts auf Teilhabe und des Zugangs für Jedermann/frau zu Politik, Gesellschaft, Kultur und Bildung wird Netzpolitik an nahezu jedes Politikfeld angeschlossen.

Die Frage nach den Identitäten von Einzelnen und Gruppen, die Lern-, Tätigkeits- und Arbeitswelten, die Ausgestaltung unserer Sozialsysteme sind von der Informationsrevolution betroffen und damit Gegenstand von Netzpolitik.

Das Manifest – und das ist historisch neu – fordert des Weiteren, gesellschaftliche, kulturelle und politische Veränderungen sowie die damit verbundenen Möglichkeitsräume konsequent von der Technologie aus zu denken und zu verstehen. Erst damit können zukünftige Entwicklungen für einen demokratischen Entscheidungensprozeß zugänglich gemacht werden.

Das weltweite Datennetz ist dabei sowohl Gegenstand als auch Instrument von Netzpolitik.

Die existenziellen Herausforderungen unserer Zeit sind der Klimawandel, die Flüchtlingskrise, die wachsende Ungleichheit zwischen den Armen und den Reichen, die wachsenden Ungleichheiten, basierend auf Geschlecht, rassischer oder ethnischer Identität. (Joachim Paul, Rainer Thiem)

 

Netzpolitisches Manifest für das Informationszeitalter

Zitat

„Cryptography is not the real fight. All of the stuff that I’ve been talking about today, all ofthat tools that I want you to go used to make yourself private, no, that’s not the real fight. Notbeing surveilled is not the real fight. The existencial threats to the human race are things like climate change, the refugee crisis, the growth inequities between the poor and the rich, growthinequality based on gender, racial identity and ethnic identity, those are real problems, but we will win or loose every one of those fights on the internet, and we will only win them if wehave a free, fair and open Internet.“[1] Cory Doctorow, republica 2015

„Verschlüsselung ist nicht der wirkliche Kampf. Alles das Zeugs, von dem ich euch heute erzählt habe, alle die Werkzeuge, von denen ich möchte, dass ihr sie benutzt, um eure Privatsphäre zu schützen, nein, das ist nicht der wirkliche Kampf. Nicht überwacht werden ist nicht der wirkliche Kampf. Die existenziellen Herausforderungen für die menschliche Rasse, das sind Dinge wie der Klimawandel, die Flüchtlingskrise, die wachsende Ungleichheit zwischen den Armen und den Reichen, die wachsenden Ungleichheiten, basierend auf Geschlecht, rassischer oder ethnischer Identität, das sind wirkliche Probleme. Aber wir werden jeden dieser Kämpfe im Internet gewinnen oder verlieren, und wir werden sie nur gewinnen, wenn wir ein freies, faires und offenes Internet haben.“ (Übers., J. Paul)

Vorbemerkung

Diese Bemerkung des kanadischen SF-Autors Cory Doctorow – gegen Ende seines Beitrags auf der Republica 2015 mündlich vorgetragen – ist ohne Zweifel eine Provokation. Erst erklärt Doctorow, dass Verschlüsselung und Privatsphäre nicht der wirkliche Kampf seien und nennt stattdessen eine knappe Auflistung der aktuellen existenziellen globalen Probleme, um dann wieder auf das offene und freie Internet als wesentliches Instrument zur Erlangung diverser Ziele und Problemlösungen zurückzukommen.

Eine Provokation deshalb, weil hier das Dilemma aller an „Netzpolitik“ interessierten Communities, Echo Chambers und sonstiger fragmentierter Gruppierungen adressiert ist.

Doctorow wendet sich damit explizit gegen eine internetzentristische Weltsicht, sowie sie von vielen netzaffinen Individuen gepflegt wird, die bisweilen die Wirklichkeit sogar in zweiräumliche Kategorien unterteilen, in Meatspace und Cyberspace.

Dass eine solche Trennung nicht zielführend ist, belegen die Entwicklungen um das sogenannte „Internet of Things“ so wie um die sogenannte „Augmented Reality“, die anschaulich zeigen, dass der Netzaspekt nunmehr alle Bereiche und Räume der Gesellschaften und ihrer Individuen durchdringt.[2,3] Dies kann auch als wesentliches Kennzeichen des Übergangs vom Industriezeitalter in ein Informationszeitalter gesehen werden.

Im Gegenzug instrumentalisierten multinationale Unternehmen und Nationalstaaten das Netz für eigene, zum Teil zweifelhafte Zwecke. 20 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung ist es definitiv vorbei mit dem Märchen von der Unabhängigkeit des Cyberspace.[4] Die Durchdringung ist beidseitig und unauflöslich.

Wie weit sollte daher insbesondere der Begriff Netzpolitik gefasst werden? Welche Weite ist hier sinnvoll und förderlich – zum einen für das politische Bewusstsein und Erkenntnisinteresse von Gruppierungen und Individuen, zum anderen für den Möglichkeitsraum des praktischen politischen Handelns? Für das Organisieren politischer Mehrheiten?

Netzpolitik muss in größere Kontexte gestellt werden. Es gilt, sie an gesellschaftliche und politische Problemfelder anzuschließen, um zu zeigen, dass der Begriff über technologische Fragestellungen und solche eines „Cyberspace“ nicht einfach nur deutlich hinaus weist, sondern ganz existentielle Fragen unseres Menschseins, unserer Identitäten als Individuen und Gruppen von Individuen berührt. Es geht um unser Verhältnis zueinander und zu unserer Technik, und um unser Verhältnis zu uns selbst.

Einleitung

Ein Gespenst geht um in der Welt – die Hoffnung auf eine freie, durch Teilhabe bestimmte egalitäre, Ressourcen schonende, nachhaltige Weltgesellschaft mit sicherer wirtschaftlicher Existenz und mit freiem Zugang zu kulturellen und Bildungsressourcen, mit freien Entfaltungsmöglichkeiten für jeden Menschen. Seit Beginn der 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts hat diese alte Hoffnung durch die rasante Entwicklung des weltumspannenden elektromagnetischen Feldes Internet als technisch dezentral konzipiertes Medien- und Kommunikationssystem neue Kraft gewonnen.

Alle alten Mächte der auf dem Energie- und Rohstoffregime basierenden globalisierten Industriegesellschaft haben sich – so kann es scheinen – zu einer heiligen Hetzjagd gegendieses Gespenst verbündet, die um ihre Exportüberschüsse und teilweise sogar um ihre nationalstaatliche Verfasstheit bangenden westlichen Industrienationen,  die auf Bedrohungen mit massiver Überwachung und Gängelung ihrer freien Bürger reagieren, neoliberale Denktanks und -kollektive, die auf zunehmende Ungleichheit der Kapitalverteilung und der Produktionsvermögen sowie auf das Brot-und-Spiele-Prinzip und die Verteilung von Almosendurch die vermögenden Hände, auf steuerbefreites Stiften statt gerechtes Verteilen der Produktivitätsgewinne setzen, Monopole anstrebende global agierende Unternehmen und Investoren.

Des weiteren Blut-und-Boden-Gläubige, die das Fremde zum Zweck des Gewinnens politischer Mehrheiten als Angst Machendes instrumentalisieren, religiös, ethnisch oderideologisch motivierte Fundamentalisten und Fanatiker, die die Welt in die dunkle Variante des Mittelalters zurückmorden, die das Zusammenleben der Menschen unter jeweils ein einziges herrschendes Prinzip subsummiert sehen wollen.

Mehr:  Netzpolitisches Manifest für das Informationszeitalter der Piratenpartei Deutschland

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert