Anhand der Haltung zu „Equal Marriage“ wird oft festgestellt, wie liberal oder konservativ eine Gesellschaft oder zumindest die Diskutanten sind. Wer die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare fordert, gilt als progressiv, wer gegen diese „Ehegerechtigkeit“ ist, als konservativ. Zwar besteht Einigkeit, dass die Beschränkung der Ehe auf ein heterosexuelles Paar eine konservative Haltung widerspiegelt, die Übertragung dieses Lebensentwurfs auf Schwule und Lesben ist damit aber noch lange nicht progressiv. Denn diese Forderung, für die vor allem die Grünen, die Linke, aber auch Teile der SPD und sogar (wenn auch nur theoretisch) die FDP stehen, ist ebenfalls konservativ, imitiert sie doch das tradierte heterosexuelle Modell, nur eben jetzt auch für Schwule und Lesben: das Modell der Zweisamkeit, bis dass der Tod sie scheidet. Inzwischen gibt es aber viele andere Lebensentwürfe – ganz unabhängig von sexueller Orientierung und Identität: Patchwork-Familien, Polyamorie, Bindungslosigkeit, Wohn- und Hausgemeinschaften, generationenübergreifendes Zusammenleben oder – schon etwas traditioneller – religiöse und weltliche Ordensgemeinschaften, Hackerspaces und vieles mehr. In manchen dieser Lebensentwürfe übernehmen Menschen Verantwortung für andere, und wenn das geschieht, wird die Allgemeinheit entlastet; die Übernahme solcher Verantwortung sollte daher auch immer besondere Rechte nach sich ziehen, sofern die Beteiligten das wollen (Auskunftsrecht, ggf. Erziehungsberechtigung, Sorgerecht).
Daher bedeutet der besondere Schutz von Ehe und Familie, wie ihn das Grundgesetz und die Menschenrechte fordern, im 21. Jahrhundert, dass Ehe, Partnerschaft und Familie zu erweitern sind zu einem Konzept der Lebensgemeinschaft, wie es die Piraten nennen. Die Piraten sind auch nicht die Einzigen, die in ihren Forderungen zur Öffnung der Ehe soweit gehen. Ungefähr gleichzeitig mit der Erweiterung des piratigen Grundsatzprogramms um dieses Konzept, stellten die Jungen Liberalen eine ähnliche (etwas moderatere) Forderung auf nach einer so genannten Verantwortungsgemeinschaft, aber ihre „Elternpartei“, die FDP war nicht einmal in der Lage, die viel konservativere Forderung nach der Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben durchzusetzen, obwohl sie diese – im Gegensatz zur Verantwortungsgemeinschaft – auf ihrem Parteitag beschlossen hatte.
Die Forderung der Piraten geht jedoch noch weiter: Ehen bzw. Lebensgemeinschaften (in diesem Konzept soll ja die traditionelle Ehe aufgehen) sollen nicht mehr vom Staat geschlossen werden: Der standesamtliche Akt soll durch einen notariellen Vertrag abgelöst werden, denn der Staat hat sich aus der privaten Lebensführung herauszuhalten. Zwar kann er Lebensgemeinschaften, die ihn entlasten, finanziell privilegieren, sofern in ihnen Verantwortung für Schwächere übernommen wird, aber Schließung und Auflösung solcher Verträge sollen nach Vorbild des französischen Pacte civil de solidarité (PACS, ziviler, d.h. bürgerlicher Solidarpakt) nicht Angelegenheit des Staates sein.
Den Staat hat auch das Geschlecht der Menschen, die in ihm leben, nicht zu interessieren, denn auch das ist eine Privatangelegenheit. Früher war die Speicherung des Geschlechts eines Menschen für den Staat wichtig, weil nur in einer bestimmten Geschlechterkonstellation geheiratet werden durfte und weil das Geschlecht für die Rekrutierung von Soldaten relevant war. Der Wehrdienst und das heterosexuelle Eheprivileg gehören aber der Vergangenheit an, so dass keine Notwendigkeit mehr besteht, das Geschlecht staatlich erfassen zu lassen.
Die hier erläuterten Vorschläge aus dem Grundsatzprogramm der Piratenpartei Deutschland tragen dazu bei, eine wirklich freie Gesellschaft zu schaffen, die auf der Diversität von individuellen Lebensentwürfen beruht.
Dem Artikel stimme ich so umumwunden zu, aber er geht noch nicht weit genug. Mit der Ehe verlagert der Staat in Deutschland seine Verantwortung auf die Ehepartner ab. Ehe bedeutet in Deutschland das „Für-einander-einstehen“ und das bedeutet, dass ein gesunder Partner mit all seinem Vermögen und Verdienst für einen kranken, evtl. pflegebedürftigen Partner einsteht. Das kann und darf so nicht sein!
Ich mache das mal an (m)einen Beispiel fest: Ich bin 46 Jahre, verheiratet und habe ein Kind. Aufgrund meiner Ausbildung verdiene ich auch nicht ganz schlecht; ich verdiene 3500 Euro brutto; das macht ca. 2300 Euro netto. Meine Frau ist vor 10 Jahren an Schizophrenie erkrankt (90% Schwerbehinderung; Pflegestufe 1), so schwer und anhaltend, dass ich vor über 2 Jahren so viel Unterstützung bei der Pflege brauchte, dass sie in ein Pflegeheim geben musste. Aufgrund der Schwere der Erkrankung erhält sie 100%ige Erwerbsunfähigkeitsrente von 500 Euro. Mein Sohn studiert und weil mein Bruttogehalt so hoch, ist hat er keinen Anspruch auf BAFÖG und wird von mir mit 600 Euro monatlich plus Kindergeld unterstützt.
Kurze Rechnung: 2300 Euro von mir plus die 500 Euro Rente meiner Frau macht 2800 Euro. Davon gehen jeden Monat 600 Euro an meinen Sohn und 1600 Euro Eigenanteil an das Pflegeheim. Bleiben mir also 600 Euro zum Leben, von denen ich aber 500 Euro Warmmiete zahle. Weiterhin muss ich, um arbeiten zu können, ein Auto finanzieren. Ja, wennn man mitrechnet bin ich an dieser Stelle schon bei 0 Euro in der Haushaltskasse angekommen, obwohl ich noch nichts gegessen und getrunken habe, keine Versicherung bezahlt habe. Das Sozialamt meint, dass das auch so korrekt ist, weil mein Sohn nicht unterhaltsberechtigt ist und ja arbeiten könnte und mir dann ja genug zum Leben bliebe… Ohne Unterstützung aus der Verwandschaft wäre ich schon lange nicht mehr lebensfähig!
Nur: Was kann ich für die Erkrankung meiner Frau? Warum muss ich mein Leben lang auf Hartz4-Niveau leben, nur weil wir das Pech hatten, dass wir vor einer Heirat nicht aufgeklärt wurden, was dieses „Für-einander-einstehen“ auch in einem solchen Fall bedeutet? Warum zieht sich die Allgemeinheit bzw. deren Organ, der Staat, hier so aus der Verantwortung bzw. schiebt sie mir, dem Partner der eingetragenen Partnerschaft, alleinig in die Schuhe? Ohne diese staatlich anerkannte Partnerschaft ginge hier nämlich alleinig der Staat in in Pflegeleistung.
Hier dehne ich die Forderungen aus dem Artikel soweit aus, dass ein gesundheitliches Unglück nicht alleinig auf den/die Partner einer eingetragenen Partnetrschaft ausgedehnt werden dürfen, sondern hier eine sinnvolle Deckelung des finanziellen „Für-einander-einstehen“ gegeben werden muss!