Faschismus – auch eine psychische Störung?
Faschismus – auch eine psychische Störung?

Faschismus – auch eine psychische Störung?

Der rechtsnationalistische Höhenflug tiefenpsychologisch und herrschaftskritisch betrachtet

Ein Gastbeitrag von Emilio Weinberg

Finstere Zeiten: Brexit, Trumpismus, fast die Hälfte der österreichischen WählerInnen stimmten im Dezember 2016 für Norbert Hofer von der faschistoiden FPÖ. In Deutschland erreichte die rassistische AfD schon bei den Landtagswahlen 2016 zweistellige Ergebnisse. Der Höhenflug der Rechtsaußen ist bedrohlich. In den letzten Ausgaben der Graswurzelrevolution wurde das ausgiebig analysiert (1). Daran knüpft der folgende Beitrag an, der auch psychologische Aspekte des gerne als „Rechtspopulismus“ verharmlosten Rechtsnationalismus und Neofaschismus beleuchtet. (GWR-Red.)

Um die gefährliche europaweite faschistoide Entwicklung zu verstehen, ist aus meiner Sicht die Einbeziehung einer tiefenpsychologischen, herrschaftskritischen Perspektive in die Erklärungsversuche notwendig.

Politologische bzw. sozioökonomische Erklärungen sind nicht ausreichend.

Eine fundierte psychoanalytische Sozialpsychologie fragt auf der Ebene des Subjekts: „Worin besteht die psychische Attraktivität einer Identifikation mit bestimmten Aspekten der Gesellschaft? Also, warum übernehmen Individuen etwa antisemitische, rassistische, homophobe oder sexistische Ressentiments, welcher Konflikt, welche inneren Widersprüche, werden mit diesen Ideologemen, diesen gesellschaftlichen Angeboten, schiefgeheilt? Aus einer gesellschaftstheoretischen Perspektive auf die Einzelnen wiederum fragen wir, welche objektiven gesellschaftlichen Strukturen das Subjekt auf eine Position werfen, in welcher die Regression in etwa faschistische Ideologien subjektiv attraktiver wird als das Streiten um eine bessere Gesellschaft, welche weniger schmerzhafte Konflikte produziert.“ (1)

Diese gesellschaftskritische, teils herrschaftskritische, psychoanalytische Perspektive gibt es schon lange. Drei Meilensteine dieser Perspektive seien hier genannt: Wilhelm Reichs Analyse aus dem Jahre 1933: „Die Massenpsychologie des Faschismus“, Erich Fromms Untersuchung (1973): „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ und das von Emilio Modena 1998 herausgegebene Buch „Das Faschismus-Syndrom. Zur Psychoanalyse der Neuen Rechten in Europa“. Zurzeit ist leider eine „umgekehrte Psychoanalyse“ im Aufschwung begriffen und feiert in einem großen Maße ihre Triumphe. Statt das dumpf im psychischen Untergrund Schwelende und die frei flottierenden Ängste der Menschen zu klären und ins Bewusstsein zu heben, eignet sich der faschistische Agitator beziehungsweise „Rechtspopulist“ diesen „Rohstoff“ so an, wie er bereit liegt, und setzt ihn für seine Zwecke in Gang. Tiefenpsychologisch und herrschaftskritisch betrachtet, wird sich zeigen, wie es die ProtagonistInnen der FPÖ und AFD schaffen, „total verschiedene Ebenen unserer psychischen Konflikte zu mobilisieren und zu kanalisieren, sich zugleich unserer realen Konflikte bedienen, alles miteinander vermischen und mit einem explosiven Gemisch aus Realangst, Gewissensangst (Schuld-Angst) und neurotischer Angst Politik machen.“ (2)

Der Psychologie-Professor Peter Brückner (1922 – 1982), der wegen seines politischen Engagements in den 1970er Jahren zu einer Symbolfigur der emanzipatorischen Neuen Sozialen Bewegungen in Westdeutschland wurde, spricht grundlegend von einem „Faschismus der Gefühle – weit weg vom Kopf“. Mitunter wird auch heute ein – anarchistisch gewaltfreies – Erwachsenenbewusstsein von Regungen überrascht und manchmal auch überrumpelt, die plötzlich aus den Tiefenschichten der Psyche aufsteigen, in denen oft auch noch jede Menge „faschistoides Gerümpel“ herumliegt, das die Nazi-Vorfahren durch „transgenerationale Transmission“ dort hinterlassen haben.

Peter Brückner schildert in seinem autobiographischen Buch „Das Abseits als sicherer Ort“ eine ähnlich ambivalente Szene. Er, der sich damals bereits als Antifaschist und Linker begriff, erschrak über eine Regung, die sich seiner angesichts eines elenden russischen Kriegsgefangenen bemächtigte, dem er 1943 begegnete.

Obwohl er wusste, wie brutal russische Kriegsgefangene in deutschen Lagern behandelt wurden, empfand er angesichts des zerlumpten Mannes Abscheu. Begriffe wie „asiatischer Untermensch“ schossen ihm durch den Kopf und färbten seine Wahrnehmung ein: „Obwohl ich – oder vielleicht gerade weil ich – glaubte, dergleichen Residuen des Faschismus bei mir nicht suchen zu müssen, hatten sie sich meiner Spontaneität bemächtigt.“

Der Gefangene sprach ihn an. „Er sprach fließend deutsch. Es stellte sich heraus, dass er ein Filmregisseur aus Leningrad war. Man kann wohl sagen, dass ich Glück gehabt habe: dass er mich ansprach, und wie er das tat, durchbrach schlagartig den spontanen ‚Sekunden-Mechanismus‘ der Wahrnehmung. Ich hatte Glück (…), weil man eine solche Lehre nicht wieder vergisst.“

Sozialisation und narzisstische Schädigung

Auch der Rebell, die Revoltierende oder der gewaltfreie Anarchist werden in dieser Gesellschaft sozialisiert. Alle, die ProtagonistInnen des Widerstandes, die „schweigende Mehrheit“ und auch die Herrschenden und ihre HelferInnen sind eingebunden in die permanente Sozialisation in ein destruktives Herrschaftssystem.

Die zwar „grobe“, aber tendenziell doch zutreffende Einteilung der sozialen Rollen bzw. Funktionen in den gegenwärtigen kapitalistischen Herrschaftssystemen:

1. in exekutive, ausführende Rollen – für ca. 88% der Menschen
2. in dispositive Rollen für ca. 11%
3. in strategische Rollen für ca. 1% bedingt eine entsprechend differenziert zu betrachtende Sozialisation.

Auch aufgrund der faktisch lebenslangen Sozialisation zum Ausführenden – nicht nur am Arbeitsplatz – dann zum Opportunismus, zur Unterwürfigkeit gegenüber Autoritäten, also zum „Untertanen“, leiden potentiell ca. 88% der Menschen in den gegenwärtigen Herrschaftssystemen an einer „narzisstischen Schädigung“, die sich in Minderwertigkeitsgefühlen bzw. in brüchigem Selbstwerterleben und starkem Ohnmachtserleben ausdrückt. (3)

Die narzisstische Schädigung der „Dispositiven“, derjenigen, die der sogenannten Zwischen-Schicht als AkademikerInnen mit einer gewissem Verfügungsgewalt und Entscheidungsspielraum angehören und auch der elitären „Strategen“ (z.B. Top-Manager) zeigt sich oft in einer arroganten Haltung und unrealistischen Selbstüberschätzung bzw. in ausgeprägten Größenphantasien, die aber fragil sind und in sich zusammenfallen können.

Narzisstische Schädigungen sind leider eine sehr fruchtbare Grundlage der Empfänglichkeit für rechte, nationalistische bzw. faschistoide Ideen, die einen Gruppen-Narzissmus mobilisieren: „Wir sind die fleißigen Deutschen“ („Wir sind Deutschland“). So wird nicht der Einzelne selbst, sondern die Gruppe, derer er angehört, Gegenstand seiner Libido bzw. seiner kompensatorischen Größenphantasien, durch die er dann selbst erhöht wird.

So kann gerade das „armseligste“ Mitglied der Gruppe durch dieses Erleben, ein Teil der „wundervollsten Gruppe der Welt“ zu sein, sich entschädigt fühlen.

Es findet also für alle eine permanente Verinnerlichung der Normen und der das bestehende System stabilisierenden Verhaltensweisen statt.

Dabei entsteht auch ein Geflecht unbewusster Prozesse des „Gesellschaftlichen Unbewussten“: „Unbewusst muss (auch) all das werden, was die Stabilität der Kultur, vor allem aber ihre Herrschaftsstruktur bedroht“. (4)

Laut Mario Erdheim ist das gesellschaftliche Unbewusste gleichsam ein Behälter, „der all die Wahrnehmungen, Phantasien, Triebimpulse aufnehmen muss, die das Individuum in Opposition zu den Interessen der Herrschaft bringen könnte“.

Die Sozialisation im Rahmen herkömmlicher Familien führt zur Ausbildung einer „inneren Selbstzwangsapparatur“ (Norbert Elias), die dafür sorgt, dass sich die Menschen oft in ein trostloses Schicksal fügen und eher ein Leben in stiller Verzweiflung bzw. „Kollektiver Trance“ führen, als sich aufzulehnen. Diese haben, wie Heinrich Heine bemerkte, den Stock, mit dem man sie geschlagen hat, verschluckt.

Menschen im Widerstand, wie auch ich, haben eher versucht, den Stock wieder auszuspucken. Dies ist ein schwieriger Prozess der Befreiung, der nur durch eine umfangreiche Selbst-Erfahrung, Selbst-Analyse und -Reflexion mit anderen gemeinsam in der Gruppe, unbedingt auch in politischen Aktions-Gruppen, realisiert werden kann.

Real – Angst

Durch die neoliberale Globalisierung des Kapitalismus verursachte totale Ökonomisierung, zunehmende Privatisierung, Prekarisierung der Arbeitsbedingungen bzw. die reale ungerechte Umverteilung von unten nach oben, häufen sich aus meiner Sicht reale Ängste, vor Arbeitsplatz-Verlust, Abstiegsängste und auch Verlustängste für wohlhabendere Schichten, die sich auch auf Rollenverluste z.B. der „Definitionsmacht“ beziehen.

Darüberhinaus macht manchen Menschen die zunehmende Zerstörung unserer Lebensgrundlagen Angst, ebenso die Real-Angst vor der Klimakatastrophe oder vor einem atomaren Krieg.

Der Soziologe Armin Nassehi in der taz vom 31.12.2016: „Es gibt ganz ohne Zweifel ein Problem mit der ökonomischen Prekarisierung mancher Bevölkerungsgruppen, aber damit lässt sich der Erfolg rechtspopulistischen, fremdenfeindlichen und reaktionären Denkens nicht erklären. (…) Es gibt inzwischen ein Prekarität in den wohlsituierten Schichten. Diese sind Modernisierungsverlierer in dem Sinn, dass sie die Autorität verloren haben, widerspruchsfrei zu sagen, was das richtige Leben sei. (…) Der Rechtspopulismus in ganz Europa hat jedenfalls den Fokus von den Verteilungsfragen auf die kulturellen Definitionsfragen verlagert.“

Nassehi scheint sich dabei auf die Theorie der „Kulturellen Hegemonie“ von Antonio Gramsci zu beziehen. Er betont, dass die Fünfziger Jahre die Utopie der AfD verkörpern würden.

„Fünfziger Jahre“ meiner Erinnerung nach: Die Phase der Konformität, die kleinkarierte Zeit des beginnenden „Wirtschaftswunders“, die anhaltende bleierne Dominanz der „autoritären Charaktere“ in den Schaltstellen der Macht, u.a. die Kontinuität der Nazi-Richter, -Staatsanwälte in der Justiz.

Die Verleugnung und Verdrängung der Nazi-Verbrechen war bestimmend für diese Zeit, ebenfalls die erlaubte Prügelstrafe, der Rollenzwang „Heim und Herd“ für die Frau, die sexuellen Tabus, die Homophobie, die Paragraphen 218 oder 175, schließlich die kitschigen „Heile Welt – Filme“. Da will die AfD laut AfD-Grundsatzprogramm wieder hin.

Die Restaurierung der „Fünfziger Jahre“ als Angst-Bewältigung wäre eine erschreckende „Schiefheilung“.

Gewissens-Angst bzw. Schuld-Angst:

„Gewissens-Angst ist Angst vor Schuld“, schreibt Horst-Eberhard Richter in seinem Buch „Umgang mit der Angst“ aus dem Jahr 1992. Im Kontext psychischer Störungen käme Gewissensangst in vielfältigen Varianten und Maskierungen zum Vorschein.

Sie könne sich im Selbsthass von Depressiven, in manchen Obsessionen von Zwangsneurotikern und Phobikern und in den Erscheinungsformen des moralischen Masochismus ausdrücken. Aber auch in vielen Alltagskonflikten spielt Gewissens-Angst bzw. Schuld-Angst eine erhebliche Rolle. In zahlreichen Paar-, Familien- und Gruppen-Konflikten gehen die Auseinandersetzungen im Grunde darum, dass Schuldige benötigt werden, um sich selbst rein und integer fühlen zu können. Ein Beispiel: Ein Paar hat sich nach jahrelang kompliziertem Zusammenleben auseinandergelebt. Im Grunde wünschen beide insgeheim die Trennung. Indessen erschreckt beide der Gedanke, sich mit der Schuld über die fällige Entscheidung zu belasten. Beide wollen eher Opfer sein, niemand als Täter aus dem Konflikt herauskommen.

Schuld-Angst ist gerade in Deutschland aufgrund der unfassbaren Verbrechen der Nationalsozialisten sehr verbreitet und über den Weg der „transgenerationalen Transmission“ auch in den Tiefenschichten der Psyche der Kindes- und Kindeskinder der Erwachsenen-Generation der Nazi-Zeit vorhanden, also auch bei uns. Diese tiefe Schuld-Angst wird aktuell durch faschistoide Politik instrumentalisiert und kanalisiert, findet sich in den Inszenierungen als Opfer der vermeintlichen „Flüchtlings-Flut“. Aufkommende Schuldgefühle – „Ich müsste eigentlich helfen – gerade wir Deutschen – , tue dies aber nicht“ – werden unbewusst abgewehrt und in Anklagen gewendet. Die ursprünglich leidenden Opfer werden zu Tätern umdefiniert. Zu Tätern, die „die fleißigen Deutschen überfluten und ausplündern wollen“.

Neurotische Ängste:

Versagens-Angst

Im Zusammenhang mit den oben beschriebenen narzisstischen Schädigungen, aufgrund des brüchigen Selbstwerterlebens und mangeldem Selbst-Vertrauens, treten häufig Ängste vor dem Versagen auf. Versagens-Angst ist auch immer eine Angst vor der Konkurrenz: Der Andere kann in der kapitalistischen Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft immer der Gewinner sein und ich der Verlierer, der versagt.

Durch den aktuell immer stärker werdenden Leistungs- und Konkurrenzdruck am Arbeitsplatz wird die durch die strukturelle Gewalt der fremdbestimmten bzw. entfremdeten Arbeitsbedingungen ständig erzeugte Versagens-Angst weiter verstärkt. Auch leiden schon immer mehr SchülerInnen in der auf die Arbeitswelt vorbereitenden Sozialisations-Agentur Schule an einer sich steigernden Versagens-Angst: „Angst, etwas nicht lernen oder leisten zu können, nicht zu begreifen, überfordert zu sein, in Prüfungen zu versagen.“

„Ich schaffe es nicht (mehr). Ich habe Angst, es nicht (mehr) zu schaffen. Andere schaffen es.“ Das drückt zunehmend die Befindlichkeit vieler Menschen aus. Versagens-Angst wird ebenfalls von Rechts-Außen bzw. Nationalisten instrumentalisiert und kanalisiert, indem ein abgeschottetes Deutschland als Lösung propagiert wird, wo kein Geflüchteter – als Konkurrent – mehr den Deutschen etwas wegnehmen könne.

Vernichtungs-Angst

Viele Menschen fragen sich, wie es sein kann, dass häufig gerade Opfer von massiver Gewalt und Vernichtung, von Krieg und Vertreibung oder anderen schrecklichen Bedrohungen, später selbst „vernichtende“ Tendenzen entwickeln. Die unbewusste Angst-Abwehr-Strategie der „Identifikation mit dem Aggressor“ bewirkt dies. Die überflutenden Vernichtung-Ängste sind kaum aushaltbar. Das traumatisierte Opfer und manchmal auch deren Kinder und Kindeskinder wechseln in ihrem unbewussten inneren Erleben gewissermaßen die Seiten. Ein unbewusster Rollen-Tausch findet statt. Nun sind die Vernichtungs-Ängste nicht mehr zu spüren, sie sind gebannt. Dann erleben sich die ursprünglichen Opfer eher als stark und mächtig.

Das erklärt u.a. möglicherweise auch, warum gerade im Raum Dresden PEGIDA einen solch großen Zulauf hat und dort Rassismus so sehr verbreitet ist. Nach meinem Erkenntnisstand wohnen in dieser Region überdurchschnittlich viele ehemals selbst Geflüchtete und Vertriebene bzw. deren Kinder und Kindeskinder.

Wenn nun die oben beschriebenen Real-Ängste raffiniert vermischt werden mit Schuld-Ängsten, Versagens-Ängsten oder Vernichtungs-Ängsten und mit dieser Mixtur auf dem rassistischen und faschistoiden Klavier gespielt wird, ist es für die von diesen Ängsten Betroffenen schwer, den Verführungen von Rechtsaußen zu widerstehen.

Anarchisten und Faschisten

Für Menschen mit anarchistischem Selbstverständnis ist folgende Einschätzung zur besonderen Beziehung von Faschisten und Anarchisten interessant.

„Der Anarchist ist im Inneren des Faschisten anwesend in Gestalt seiner verdrängten Begierden und unterdrückten Wünsche.“ Der Faschist hält in sich ein anarchistisches Double gefangen, das ins Freie möchte und lebendig sein will und dessen Gefangenschaft er verewigt, indem er gegen die Anarchisten draußen zu Felde zieht. „Äußeres weist innen auf Verschüttetes“, wie der Schweizer Schriftsteller Reto Hänny einmal geschrieben hat. Wenn sich bei anderen Menschen Wünsche nach einem Mehr an Autonomie und Lust regen, geraten das Anpassungsgefüge und die Festigkeit der Triebverdrängung des Faschisten in Gefahr. Überall sieht er die Kellerratten der Revolution „aus der Tiefe“ herausdrängen und das Land überfluten. Überall muss er „Sümpfe trockenlegen“ und „Sauställe ausmisten“. „Der Hass des Faschisten ist ein Hass auf Teile der eigenen Person, auf abgewehrte und mühsam in Schach gehaltene eigene Triebwünsche und Begierden.“ (5)

Wie nun mit all dem umgehen? Was tun?

Meine ersten Ideen: Wir können in Aktions-Gruppen der sozialen und ökologischen Bewegungen die „Selbsterfahrung“ und Bewusstmachung der Internalisierungen und des „Gesellschaftlichen Unbewussten“, wie es in der Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen (FöGA) gute Praxis war, wieder mehr beleben.

Ich wünsche mir, dass wir eine attraktive, lebensfreundliche, wohlwollende auch lustvolle, herrschaftskritische ko-kreative Kommunikations- und Organisations-Kultur des Widerstands entwickeln.

Als Vorgriff auf eine gewaltfreie und herrschaftslose Gesellschaft gilt es, noch mehr konstruktive Alternativen „eines guten Lebens“, Modelle bzw. „Inseln“ einer solidarischen und selbstorganisierten Arbeits- und Lebensweise zu schaffen. Den Diskurs können wir über den Zusammenhang von psychischer Befindlichkeit, Angstabwehrstrategien, „Schiefheilung“ und politischer Position fördern, indem wir den faschistoiden Kräften konsequent entgegentreten – mit direkten Aktionen des Zivilen Ungehorsams.

Sinnvoll ist aus meiner Sicht auch, den Dialog mit einzelnen Personen aus AfD, FPÖ, Pegida usw. zu suchen und zu versuchen, diese zum Ausstieg zu motivieren. Psychotherapie-Angebote z.B. für alle AfDler, besonders für Ausstiegswillige und ins Schwanken Gekommene, propagieren, denn „Rechtsaußen-Sein“ ist auch eine psychische Störung.

Der Gastbeitrag erschien erstmals in der Graswurzelrevolution Nr. 416, Februar 2017

Anmerkungen

(1) vgl. Wie ist der Nationalismus zu stoppen? Der faschistische AfD-Flügel, in: GWR 415, S. 3ff.

(1) Tom David Uhlig in: Jungle World, 22.11.2016. Er ist freier Mitarbeiter der Bildungsstätte Anne Frank und Mitherausgeber der „Freien Assoziation. Zeitschrift für psychoanalytische Sozialpsychologie“. Gemeinsam mit Charlotte Busch und Martin Gehrlein veröffentlichte er u.a. den Sammelband „Schiefheilungen. Zeitgenössische Betrachtungen über Antisemitismus“ (2016. VS-Verlag).

(2) Klaus Ottomeyer. Rechtstrend und Haider-Faszination in Österreich, in: Emilio Modena (Hg.) Das Faschismus-Syndrom. Zur Psychoanalyse der neuen Rechten in Europa. Psychosozial-Verlag. Gießen. 1998. S.99

(3) vgl. Milgram-Experiment. Stanley Milgram kommentierte selbst die Ergebnisse seines nach ihm benannten Experiments: „Ich habe ein einfaches Experiment an der Yale-Universität durchgeführt, um herauszufinden, wie viel Schmerz ein gewöhnlicher Mitbürger einem anderen zufügen würde, einfach weil ihn ein Wissenschaftler dazu aufforderte. Starre Autorität stand gegen die stärksten moralischen Grundsätze der Teilnehmer, andere Menschen nicht zu verletzen, und obwohl den Testpersonen die Schmerzensschreie der Opfer in den Ohren klangen, gewann in der Mehrzahl der Fälle die Autorität. Die extreme Bereitschaft von erwachsenen Menschen, einer Autorität fast beliebig weit zu folgen, ist das Hauptergebnis der Studie, und eine Tatsache, die dringendster Erklärung bedarf.“ Siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Milgram-Experiment

(4) Mario Erdheim. Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtheit, Frankfurt a. M. 1984.

(5) Götz Eisenberg. „Der Hass auf das Lebendige. Anmerkungen zur Sozialpsychologie des Faschismus – einst und jetzt“, in: www.theoriekritik.ch/?p=3111. Götz Eisenberg, geb. 1951, ist Sozialwissenschaftler und Publizist. Er lebt in Gießen und arbeitete mehr als drei Jahrzehnte lang als Gefängnispsychologe im Erwachsenenstrafvollzug. In der Edition Georg Büchner-Club erschien im Juli 2016 unter dem Titel „Zwischen Arbeitswut und Überfremdungsangst“ der zweite Band seiner Sozialpsychologie des entfesselten Kapitalismus. Dort hat er soeben unter dem Titel „Es ist besser, stehend zu sterben als kniend zu leben! No pasarán!“ auch ein Bändchen zum Spanischen Bürgerkrieg veröffentlicht.

2 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Weinberg,

    es ist mir schon seit langem ein Dorn im Auge, dass gerade aus der Reihe der Psychotherapeuten/Psychiater, aber auch von den üblichen Hobby-Psychologen, für die sich die meisten dieser Tage halten, ständig der Versuch gemacht wird, diese Thematiken zwanghaft zu pathologisieren. Nicht nur wird man der Thematik damit nicht gerecht, man schadet auch noch den wirklich Erkrankten, wenn man sie permanent in eine Schublade mit Menschen wie Trump oder gar Faschisten steckt. Ihren Erklärungsversuch in allen Ehren, aber gerade wenn Sie in diesem Feld beruflich tätig sind sollten Sie es besser wissen, als Ferndiagnosen zu wagen. Ein Arzt, der sich auf dieses dünne Eis begibt, nimmt seinen Job kaum ernst. Schon gar nicht seine Patienten. Eine Diagnose ohne persönliche Anamnese, ohne persönlichen Kontakt zum so Be- und Verurteilten, wird niemandem gerecht. Auch sind Sie Ihren Patienten verpflichtet die erwarten können, dass Sie sie nicht der, durch solche Beiträge (die dieser Tage fast schon üblich sind) immer weiter forcierten, zunehmenden Stigmatisierung preisgeben. Es hat, wie Sie wissen dürfen, Jahrzehnte gebraucht, als psychisch Erkrankter ein wenigstens halbwegs normales, doch immer noch vorurteilsbehaftetes, Leben führen zu können. Weder ist da ein Text wie dieser hilfreich, dies weiter zu verbessern oder gar beizubehalten, noch wird es dem Faschismus gerecht, der eben nur immer wieder aufzeigt, ganz egal wo er zu finden ist, dass man nicht „krank“ sein muss, um sadistische, autoritäre oder gar autoritätshörige Züge zu entwickeln. „Den Faschisten“ gibt es ebensowenig, wie „den Depressiven“, „den Narzissten“, „den Schizophrenen“. Diesen Teilbereich, wenn auch Randbereich, des Menschen zu pathologisieren ist eine Vereinfachung, die weder für Sie und Ihren Berufsstand, noch für psychisch erkrankte Menschen akzeptabel sein sollte. Es gibt Menschen mit Ängsten, auch Angststörungen, die für obiges nicht empfänglich sind, andere sind es. Dies gilt auch für Menschen, die Dank Wohlstand den Neoliberalismus z.b. gar nicht zu fürchten haben. Jede von Ihnen benannte Gruppe kann Menschen hervorbringen, die sich dem Faschismus zuwenden und solche, die es nicht tun. Zudem ist es auch wieder ein Versuch der Externalisierung, mit der man sich selber vormachen möchte, man selber sei gefeit, könne auch dem Nachbarn hinter die Stirn schauen und es gäbe ein mögliches Lösungsbild, also den „erlösten“ Menschen, der nur dank seiner Umgebung nicht mehr autoritären Ideen anheimfallen kann. Ich möchte einen lieben Freund, seines Zeichens Journalist, zitieren: „„Es ist offenbar auch für Journalisten zu viel verlangt zu begreifen, dass nicht psychische Krankheiten zu Gewalt führen, sondern Gewalttätigkeit. Und dass das nicht dasselbe ist.“ http://tonfarbe.us/2016/07/29/der-normale-irrsinn-von-der-zwanghaften-suche-nach-simplen-antworten/

    1. Sehr geehrte Frau Winter,
      ich danke ihnen für ihren Beitrag. Der Diskurs, das Gespräch, die gemeinsame Beschäftigung mit
      der von mir dargestellten Thematik ist notwendig. Ihre Sichtweise teilen auch andere (mir persönlich bekannte) Menschen. Zu ihrer Perspektive möchte ich folgendes antworten:
      Sie gehen davon aus, dass ich ihrem Verständnis nach „wirklich Erkrankte“ mit Faschisten
      in eine Schublade stecke. Wo in meinem Artikel ist dies zu lesen?
      Dann unterstellen sie mir Ferndiagnosen. Ich versichere ihnen hiermit, dass meine Einschätzungen
      auf unmittelbaren Erfahrungen und Begegnungen (auch in meiner psychotherapeutischen Praxis)
      mit rechtsnationalen und rechtsextremen Menschen beruhen.
      Ein Mensch mit sadistischen Tendenzen und Verhalten ist psychisch krank.
      Ihre Einschätzung, dass „man nicht krank sein muß, um sadistische, autoritäre oder gar autoritätshörige Züge zu entwickeln“ trifft auf autoritäre Züge zu, aber nicht auf sadistische und autoritätshörige Züge. Dann beziehen sie sich am Ende ihrer Ausführungen auf das Zitat:
      „„Es ist offenbar auch für Journalisten zu viel verlangt zu begreifen, dass nicht psychische Krankheiten zu Gewalt führen, sondern Gewalttätigkeit. Und dass das nicht dasselbe ist.“
      Dazu sage ich in aller Deutlichkeit, dass psychische Krankheiten zu Gewalt führen KÖNNEN.
      Zu dieser Aussage empfehle ich ihnen das Buch: „Schmerzgrenze. Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt.“ Autor: Prof. Dr. med. Joachim Bauer, Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut.
      „Gewalttätigkeit“ scheint für den von ihnen zitierten Journalisten ihren Ursprung im biologischen Erbe der Menschen zu haben bzw. eine „anthropologische Grundkonstante“ zu sein.
      Zu all ihren Einschätzungen kann ich in diesem Rahmen nicht angemessen antworten,
      Sie können mich gerne anrufen: 0049 (0) 172 4163 788

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