Eine Einstimmung zur PEIRA-Matinée am 17. April 2016 mit Dr. Gregor Gysi
Die Debatte darüber, ob der Einsatz von Waffen ein Mittel zur Lösung von Konflikten zwischen Staaten ist, spaltet die Öffentlichkeit seit eh und je. In der Regel setzten sich bei der Suche nach Konfliktlösungen allerdings diejenigen Kräfte durch, die nicht diplomatische Lösungen, sondern den Einsatz von Waffen favorisierten. Das Resümee über alle weltweiten Konflikte des 20 Jahrhunderts, denen mit militärischen Mitteln begegnet worden ist, ist entsprechend katastrophal: 54 Kriege mit 185 Millionen Todesopfern.
Setzen sich auch im neuen Jahrhundert weiterhin diejenigen durch, die den Einsatz militärischer Gewalt und damit Krieg als „ultima ratio“ zur Lösung von Konflikten präferieren, wird die Bilanz noch katastrophaler ausfallen. Die Frage, was gegen Menschenrechtsverletzungen und Massaker an der Zivilbevölkerung in den Kriegen unserer Tage zu tun ist, darf nicht weiterhin auf das Maß der militärischen Intervention reduziert werden.
Und schließlich haben die Kriege des Westens, die begonnen wurden mit dem Ziel, den Terrorismus zu bekämpfen, sich in ihrem Verlauf zu einem wahren Terrorzuchtprogramm entwickelt. Wir müssen stärker als bisher die militärische Ultima Ratio in Frage stellen und die Ursachen des Terrorismus überwinden.
Diejenigen, die Frieden wollen, haben prominente Mitstreiter auf ihrer Seite. Einer davon ist Papst Franziskus, der das globale Wirtschaftssystem immer wieder scharf kritisiert. In einem 2014 gegebenen Interview mit der spanischen Tageszeitung „La Vanguardia“ sagte er u.a. das derzeitige Wirtschaftssystem brauche ähnlich wie alle großen Reiche der Geschichte zum Überleben die Kriege. Da ein Weltkrieg unmöglich sei, führe man regionale Kriege. Durch die Produktion und die Herstellung von Waffen sanierten sich die großen Volkswirtschaften und opferten so Menschenleben zu Füßen des Götzen Geld.
Prominente und einflussreiche Politikerinnen und Politiker, die ebenso stark das herrschende Wirtschaftssystem und die damit verbundene Barbarei anprangern, gibt es wenige. Unser Gast Gregor Gysi, gehört unzweifelhaft zu denen, die immer wieder das Wort für eine Friedens- und andere Wirtschaftspolitik erheben.
Im Gespräch mit Gregor Gysi wollen wir danach suchen, wie Krieg, Hungertod, Armut und soziale Ungerechtigkeit überwunden werden können, bevor sie eines Tages unbeherrschbar werden.
Zur weiteren Einstimmung auf die Matinée nachfolgend Auszüge aus einer leidenschaftliche Anti-Kriegsrede, die Gregor Gysi anlässlich der Generaldebatte im Deutschen Bundestag am 09.09.2015 hielt:
„Ich glaube, die Situation ist sehr ernst. Wir stehen vor gewaltigen Problemen. Kriege und kriegsähnliche Auseinandersetzungen finden in Syrien, im Jemen, im Irak, in der Türkei, in der Ukraine und in anderen Ländern statt. Kriege töten, vernichten und zerstören, und die Menschen fliehen, um nicht getötet, nicht vernichtet zu werden.
Wie sehen die Staaten aus, in denen auch der Westen Krieg geführt hat? Afghanistan – eine einzige Katastrophe: Armut, undemokratische Verhältnisse, terroristische Selbstmordanschläge und zunehmend Flüchtlinge. Alle anderen Fraktionen waren für den Krieg in Afghanistan, nur die Linke war dagegen und hat vor den Folgen gewarnt.
Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen: Wir hatten recht.
Glücklicherweise hat sich Deutschland nicht unmittelbar an den Kriegen gegen den Irak und gegen Libyen beteiligt, aber die USA, Großbritannien, Frankreich und andere Länder. Hussein war schlimm und ist weg. Aber ist die Situation jetzt besser? Gaddafi war schlimm und ist weg. Aber ist die Situation jetzt besser? Krieg muss überwunden werden, wenn man ernsthaft will, dass Menschen diesbezüglich nicht gezwungen werden, zu fliehen.
Deutschland ist aber der drittgrößte Waffenexporteur der Welt und verdient an jedem Krieg. Waffen werden auch an Diktaturen wie Saudi-Arabien und Katar verkauft. Saudi-Arabien führt einen Krieg gegen Jemen, bezieht dennoch Waffen aus Deutschland. Diese unheilvolle Politik muss überwunden werden. Verhindern Sie doch wenigstens Waffenverkäufe an Diktaturen und in Krisengebiete.
Das ist doch nur ein Minimum. Wenigstens die Sozialdemokratische Partei Deutschlands müsste darauf bestehen.
Wir erleben darüber hinaus eine Entstaatlichung von Staaten. Wir haben zunehmend Länder, in denen Regierung, Polizei, Justiz, Bildung und Gesundheitswesen nicht funktionieren. Oft ist es die Folge der vom Westen geführten Kriege. Wenn es keine funktionierenden Regierungen gibt, gibt es auch keine Verhandlungspartner, die etwas durchsetzen können. Die Bürgerinnen und Bürger können so nicht geschützt werden. Entstaatlichte Staaten sind Syrien, Libyen, Irak, Jemen, Somalia. In den ersten vier Ländern sind inzwischen 9 000 Schulen geschlossen worden. Lehrerinnen und Lehrer fliehen, und auch die Eltern mit ihren Kindern fliehen, weil diese ohne Schulbildung in ihrem Leben chancenlos wären. Was tut die Bundesregierung dagegen? Ich bin gespannt auf Ihre Antwort, Frau Bundeskanzlerin. Und warum erfahren wir eigentlich in den Medien so wenig über die mörderischen Auseinandersetzungen in diesen Ländern? Ich finde, dass Information wichtig ist.
Ich wiederhole mich: Jährlich sterben auf der Erde etwa 70 Millionen Menschen. Die häufigste Todesursache ist der Hunger. Jährlich sterben etwa 18 Millionen Menschen auf der Erde an Hunger. Wir haben aber weltweit eine Landwirtschaft, die die Menschheit zweimal ernähren könnte. Menschen, die Angst haben, zu verhungern, fliehen. Was tut die Bundesregierung dagegen, dass der Profit von Konzernen Vorrang vor dem Überleben von Menschen hat? Auch darauf, Frau Bundeskanzlerin, müssten Sie eine Antwort geben.
Not, Elend, also Armut, nehmen weltweit ebenso zu, wie der Reichtum anwächst. Nur ganz wenige Zahlen:
Seit 2008 hat sich die Zahl der Milliardäre auf der Erde verdoppelt. Die reichsten 80 Personen auf der Erde besitzen genauso viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit, das heißt wie 3,5 Milliarden Menschen. 80 Menschen besitzen genauso viel wie 3,5 Milliarden Menschen! Vor fünf Jahren waren es noch 388 Personen. Interessant ist: Aus 388 Personen werden nicht 400, 500 und dann 600, sondern daraus werden 80, weil der Reichtum sich ganz anders konzentriert. 1 Milliarde Menschen haben ein Einkommen von 1 Dollar pro Tag. Armut, bittere Armut führt ebenso zur Flucht.
Dagegen unternimmt die Bundesregierung nichts. Denn auf wesentlich höherem Niveau passiert in Europa und Deutschland das Gleiche. Die OECD stellte jetzt fest, dass die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland sich deutlich vergrößert hat, übrigens immer mit einer SPD in der Regierung; ich kann es doch nicht ändern.
Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung verdienten Mitte der 80er-Jahre fünfmal so viel wie die ärmsten 10 Prozent unserer Bevölkerung. Inzwischen verdienen sie siebenmal so viel.
1 Prozent der Bevölkerung in Deutschland besitzt 32 Prozent des gesamten Vermögens, und die finanziell schwächere Hälfte der Haushalte, also 50 Prozent unserer Haushalte, besitzt 1 Prozent des Vermögens. 50 Prozent besitzen 1 Prozent des Vermögens! Das Interessante ist: 1998 besaß diese Hälfte noch 4 Prozent des Vermögens. Aus 4 Prozent werden nicht 5 Prozent und dann 6 Prozent und 7 Prozent, sondern aus 4 Prozent wird 1 Prozent. Das ist eine Katastrophe. Damit machen Sie die Gesellschaft kaputt.
Ein Staat, der selbst so ungerecht verteilt, kann sich auch nicht weltweit wirksam gegen Armut einsetzen und organisiert mithin schon wieder Flüchtlinge.
Nachgewiesen wird von der OECD übrigens auch, wie schädlich für die Binnenwirtschaft die Schwächung der Kaufkraft eines großen Teils unserer Bevölkerung ist. Der Generalsekretär der OECD sagte – ich zitiere wörtlich -:
Der Kampf gegen Ungleichheit muss in das Zentrum der politischen Debatte rücken. Die Linke wird genau das versuchen.
Weltweit muss auch ein entschiedener Kampf gegen Rassismus geführt werden. Sinti und Roma sind zum Beispiel die in vielen europäischen Ländern erheblich benachteiligten Teile der Bevölkerung.
Sie fliehen in der Hoffnung, endlich irgendwo hinzukommen, wo sie gleichberechtigt behandelt werden. Gerade in diesen viel diskutierten westlichen Balkanländern findet eine menschenrechtsverletzende und menschenrechtsverachtende Politik gegenüber Sinti und Roma statt. Außerdem ist die Politik von Orban in Ungarn schlicht indiskutabel. Dagegen muss ganz entschieden Stellung genommen werden.
Wenn die Bundesregierung nicht ernsthaft beginnt, die Fluchtursachen wirksam zu bekämpfen, die Weltprobleme ernsthaft anzugehen, werden sie täglich verschärfter zu uns kommen, bis sie unbeherrschbar sind. Natürlich, Frau Bundeskanzlerin, können Sie das nicht allein. Das erwartet auch niemand. Aber was bereden Sie eigentlich auf den G-7-, G-8- oder G-20-Gipfeln? Warum drängen Sie nicht darauf, wirksam gegen Krieg, Hunger, Not, Elend, Armut und Rassismus vorzugehen? Das wäre doch wohl das Mindeste.“
Daten und Fakten
Frieden und Gerechtigkeit sind möglich – Wir müssen es nur wollen!
Ein Gespräch mit
Dr. Gregor Gysi, Mitglied des Deutschen Bundestages, Mitglied der Partei Die Linke
Moderation Rainer Thiem
Peira – Gesellschaft für politisches Wagnis
17. April 2016, 11:00 – 13:00 Uhr
Cum Laude das RestaurantHumboldt-Universität zu Berlin
Am Festungsgraben
10117 Berlin