Ein Gastbeitrag von Peggy Sylopp
Die Mauser 98 war das Standard-Repetiergewehr des einfachen Soldaten im ersten Weltkrieg. Ich will die Mauser 98 in ihrer Originalgröße von 1,11 m in 3D drucken. Sie soll ein Denkmal gegen den industrialisierten Krieg sein, der seinen Anfang im ersten Weltkrieg fand und eine bis dato unbekannte Vernichtungskraft freisetzte. Die erste Ausstellung ist zum Tag des Denkmals am 14. September 2014 auf dem Berliner Garnisonfriedhof geplant. Als „mobiles Denkmal“ will ich sie im Rahmen von Vorträgen und Ausstellungen in Kontext von Kunst, Technik und Politik zeigen.
Vor Hundert Jahren war der „Hurra-Patriotismus“ (übrigens war „Hurra“ bis 1918 ein Schlachtruf im kaiserlichen Österreich) in ganz Europa präsent. Anfang August meldeten sich in der Euphorie des „Augusterlebnis“ viele Männer zur Front. Schon wenige Wochen später waren die Verluste sehr hoch, so verloren die Franzosen allein zwischen 20. und 25. August 40.000 Männer, im September starben 260.000 Deutsche oder wurden verwundet. Weite Teile der Truppen waren schwer traumatisiert. Das „Kriegszittern“ machte sie Einsatz unfähig, es wurde erfolglos mit Elektroschocks zur Heilung experimentiert. Im Verlauf des Krieges starben 16 Millionen Menschen, davon 9 Millionen Zivilisten. Das scheint aus heutiger Sicht sehr lange her, die kommenden Generationen sprachen wenig bis gar nicht darüber. In der heutigen Deutschen Gesellschaft ist der erste Weltkrieg im Gegenteil zu unseren Nachbarn, die vom „Grande Guerre“ oder „Great War“ sprechen, kaum noch präsent.
Die Auseinandersetzung mit dem Vergessen und die Tabuisierung von Erinnerung war der Aufhänger meiner persönlichen Motivation für das Projekt. Meine Familiengeschichte ist, wie für viele Menschen in Europa, tief geprägt von der Erfahrung der Weltkriege. Mein Vater floh als drei-jähriger 1943 aus Ostpreußen und wuchs als Waise in Schleswig-Holstein auf. Es gibt keine Familienbücher und nur einzelne Fotos, die Vorfahren abbilden. Wie im Krieg üblich, wird die Kultur und die Geschichte von den Siegern weitgehend ausgelöscht. Meine Mutter wurde 1943 gezeugt, im Februar fiel ihr Vater irgendwo in Russland, Ort unbekannt. Die Kameraden, die mit meinen Großvater die letzten Stunden verbracht hatten, wurden niemals dazu von meiner Familie befragt.
Vieles aus der Geschichte ist noch unausgesprochen, blieb ungefragt.
Tabus sind noch nicht einmal als solche wahr genommen.
Insbesondere wir Deutsche sind es gewohnt, nicht zu fragen, „die Vergangenheit ruhen zu lassen.“
Krieg ist immer tief verbunden mit traumatischen Erfahrungen von Menschen.
Als Künstlerin will ich den Finger in die Wunde legen, das heißt für mich in diesem Zusammenhang die verschwiegene Kriegsrealität fassbarer machen. So modellierte ich das meist benutzte Gewehr des einfachen Soldaten des ersten Weltkriegs, die Mauser 98, in 3D. Ein Gewehr, das einen beeindruckenden Erfolg erzielte. Das Mauser 98 Verschlusssystem wurde 100 Millionen Mal hergestellt und ist damit das weltweit am meisten hergestellte. Die neueste Auflage entstand noch 2003, die sogenannte M03. Erst 2004 sind die Mauser-Werke (Oberndorf am Neckar) in Rheinmetall Defence aufgegangen. Heckler und Koch, ebenfalls in Oberndorf am Neckar, wurde 1949 von ehemaligen Mitarbeitern der Mauserwerke gegründet. Die Mauser98 war auch im zweiten Weltkrieg im Einsatz, die Oberndorfer Werke konnten sich 7000 Zwangsarbeiter bedienen. Noch heute ist der Nachfolger Mauser98k im Wachbataillon der Bundeswehr im Einsatz.
Um die 3D-Modellierung umsetzen zu können, musste ich zunächst ihre Funktionsweise und Handhabung verstehen. Also war ich erstmalig gezwungen, mich mit Waffentechnik auseinander zu setzen. Als ich das virtuelle Gewehr sah, dachte ich es wäre noch sinnvoller, aus dem virtuellen Modell ein Physikalisches zu generieren, und dadurch ein vergessenes Objekt real zu machen, eine fiktionale Erinnerung in Physik zu gießen. Die Idee, Geschichte zu un-archivieren und zur präsenten Realität mit aktueller Technik zu machen, faszinierte mich.
Der erste Test eines 3D-Drucks war enttäuschend, mit Löchern und ausgefranzten Rand. Mein 3D-Modell war nicht druck-geeignet. Es musste mit spezieller 3D-Druck-Modellingsoftware neu erarbeitet werden. So wurde gleich zu Anfang klar, dass sich der für jeden machbare 3D-Druck noch in der Experimentierphase befindet. So zerschlug sich auch der Plan, die Mauser 98 in Realgröße mit einem Consumer-3D-Drucker zu drucken, schnell. Zu viele Einzelteile wären dazu nötig, und jeder gelungene Druck ist erfahrungsgemäß von einigen Fehldrucken und Überarbeitungen der 3D-Datei begleitet. So habe ich mich entschlossen, das Modell professionell in Sand mit einem selektiven Schichtklebeverfahren drucken zu lassen.
Das Modell der Mauser 98 soll nicht funktional sein. Zum einen, weil dies nicht Sinn und Zweck eines Monuments ist und zum Anderen, weil es geeignetere Verfahrensweisen gibt als die des Druckens, um die notwendige Beschaffenheit des Materials zu gewährleisten. Das additive Verfahren, also das Auftragen von Schichten, um ein Objekt quasi aus dem Nichts etwas entstehen zu lassen, im Gegensatz beispielsweise des Fräsens, bei dem subtraktiv Material abgenommen wird, ist jedoch Bestandteil des Kunstkonzepts.
Im August plane ich bei der Versprechensbank www.de.pledgebank.com ein kleines #nomoreweapons Crowdfunding für die Finanzierung des 3D-Druckes. Ich plane, die 3D-Datei als Druckvorlage zum freien Download zur Verfügung zu stellen. Ich freue mich sehr über Unterstützung.
Erster Ausstellungsort: Garnisonfriedhof Mitte in der Kleinen Rosenthaler Straße, Tag des Denkmals 14.09.2014
Ausserdem bis jetzt geplant: Vortrag in der Medienwerkstatt des bbk, Ausstellung in der Galerie Walden in Berlin
Theoretisch wäre es keine schlechte Idee, das von Mauser entwickelte und von zahllosen Firmen in vielen Ländern hergestellte Gewehr 98 (G98) per 3D-Druck zu replizieren; zusätzlich sollte man dann allerdings auch zumindest das Amerikanische Springfield, das britische Lee-Enfield, das Österrreichisch-Ungarische Mannlicher M1895 „Ruck-Zuck“ (seit dem „Zündnadelschock“ 1866 waren die Österreicher immer versessen darauf, möglichst schnell schießen zu können), das russische Mosin-Nagant und das französische Ordonnanzgewehr Lebel 1886 zu drucken. Da das ein großer Aufwand wäre, reicht das G98 als immer noch verwendetes „Symbolgewehr“ wohl aus – wenn man es denn an einer Waffe festmachen wollte. (Ich würde allerdings das MG 08/15 wählen, Originale u.a. in Museen in Suhl.)
Die hier gezeigte Waffe ist allerdings ein Karabiner 98k, der in den späten 1930er-Jahren aus dem „Reichspostgewehr“ von Mauser entwickelt wurde; der Korntunnel zeigt eine spätere Kriegsfertigung. Damit zeigt man den „Käfer“ als Symbol des Wirtschaftswunders, druckt aber versehentlich einen Golf-I ab.
Ein Problem dabei ist allerdings: Ein Kar. 98k, vorgestellt als G98, zum Anlaß des 1. Weltkrieges greift zu kurz. Der 1. Weltkrieg war mitnichten der „1. industrialisierte Krieg“; dies waren der am. Sezessionskrieg 1861-1865 und der Deutsch-Französische Krieg 1870-71. Erster „Ausgeuferter“ Industriekrieg war der Sezessionskrieg.
Und selbst an den Waffen war nichts wirklich „neu“; das (echte!) G98 enthielt noch viele Elemente des Charleville-Modèle 1777 corrigé en l’an IX. Das „neue“ Gewehr, das die Gewehrleistung „an das Industriezeitalter“ brachte, war das berühmte Chassepot-1866, das Deutschland 1870 zu seinem Leidwesen „abbekam“. Genau wie Österreich nach Königgrätz 1866 durch das Dreyse Zündnadelgewehr M41 die Feuerrate seiner Gewehre unbedingt steigern wollte, was zum Geradezugrepetierer M1895 führte, ist die Leistung des G98 auch eine direkte Folge der Erfahrung mit dem Chassepot-1866.
„Wirklich neue“ Waffen waren die Pistole 08 Parabellum, die US-Pistole M1911A1 (die noch bis in die 90er eingeführt war), vor allem die Maxim-, Vickers- und daraus abgeleitete Maschinengewehre wie das dt. MG08 oder – eine „echte deutsche“ Erfindung – das tragbare MG08/15. Die Italiener erfanden im 1. Weltkrieg die erste Maschinenpistole.
Der ECHTE industrielle Fortschritt war – neben dem Maschinengewehr – aber die Weiterentwicklung der Artillerie. (Zugegebenermaßen schwierig, eine „Dicke Bertha“ oder ein Parisgeschütz 1:1 auszudrucken…)
Sehr kritikwürdig ist allerdings, sich „erst beim Ausdruck“ mit „Waffentechnik“ zu beschäftigen (…und dann noch ein viel zu neues Gewehr zu wählen). Eine Waffe als Symbol für den technisierten Krieg überhaupt auszuwählen, erfordert, daß man zumindest ihre Anwendung kennt, /warum/ ausgerechnet sie für den Krieg stehen soll, und warum sie überhaupt entwickelt und eingeführt wurde.
Das (echte) Gewehr 98 (…das mit typischem Bajonett eine Länge von um die 1,70m erreichte!) kann als Symbol für den Massenkrieg stehen, an dem jetzt eine ganze Generation auf allen Seiten über mehrere Jahre teilnahm. Das hat aber nicht mal was mit der Industriellen Revolution oder Technik zu tun.
Vielen Dank für den wirklich sehr informativen und interessanten Beitrag. Ich bin wirklich sehr angetan von der Idee, ob es nur genau so umgesetzt werden kann wage ich zu bedenken. Lasse mich da aber gerne umstimmen.
Hallo Dingo,
danke für Ihren ambitionierten Beitrag und die Richtigstellung, die ihre tiefe Kenntnis von Waffentechnik aus dieser Zeit aufzeigt.
Wie sie schon vermuteten, habe ich den Beitrag nicht vordergründig aus Interesse an historischen Waffenmodellen verfasst. Zweck war auch nicht eine museale Waffenschau.
Vielmehr ist die Motivation des Kunstprojekts, als Laie sich den gesellschaftlichen Tabus des Kriegsalltags anzunähern und anhand einer viel benutzten Waffe in unseren Alltag zu transportieren.
Das sollte jedoch nicht davon abhalten, möglichst nah an den Tatsachen zu bleiben. Daher danke ich nochmals für Ihre Information.
Das Gewehr ist inzwischen gedruckt, ich habe es für verschiedene Kunstaktionen eingesetzt, wie mein Blog dazu dokumentiert, ich freue mich über Ihren Kommentar.
https://pegxposts.tumblr.com/
Ab heute wird der 3D-Druck in der Factory Berlin ausgestellt, gerne lade ich Sie zur Betrachtung und Diskussion ein.
Peggy Sylopp