Privatsphäre im Internet ist Einstellungssache
Privatsphäre im Internet ist Einstellungssache

Privatsphäre im Internet ist Einstellungssache

Team der Universität Regensburg entwickelt „digitalen Beipackzettel“

Ein Gastbeitrag von Alexander Unger

Urlaub, Party, Familienfeiern: Die Kamera ist immer dabei. Nutzer digitaler Plattformen teilen Bilder und Nachrichten aus dem Privatleben mit Fans, Freunden und Followern. Jahre später kommen diese Fotos und Meldungen manchmal wie ein digitaler Bumerang zurück und zerstören die Hoffnung auf den neuen Job oder eine Beziehung. Obwohl diese nur für Freunde sichtbar sind – vermeintlich.

Regensburg. Samstagabend, Partyzeit: Moni feiert mit Freundinnen den Schulabschluss. Einige Stunden und viele Cocktails später stecken die jungen Frauen die Köpfe zusammen, zücken die Smartphones und machen Bilder von sich und den anderen. Hochgeladen auf Facebook bekommen sie viele „Gefällt mir“ für die Fotos von der Party. Wie schon so oft vorher. Monate später ist die Feierlaune verschwunden. Auf Monis Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz hagelt es Absagen. Personalchefs haben die Bilder gesehen und wollen kein „Party-Mäuschen“ unter den Mitarbeitern haben.

Steigt die Zahl der Beiträge und Vernetzungen auf Plattformen wie Facebook, Twitter oder Google+, wird es zunehmend schwerer, den Überblick über Bilder, Beiträge und deren Privatsphäreneinstellungen zu behalten: Wer kann was sehen? Freunde, Familie oder alle? Die Plattformen bieten meist für jede preisgegebene Information die Möglichkeit festzulegen, welche Kontakte darauf Zugriff haben sollen, der bewusste Umgang damit bleibt aber häufig das ungeliebte Stiefkind für die Nutzer.

„Die Erwartungen an den Datenschutz sind hoch, das Handeln der Nutzer deckt sich allerdings nicht damit“, sagt Professor Dr. Günther Pernul. Der 53-jährige gebürtige Österreicher unterrichtet am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik an der Universität Regensburg. „Wir haben in einer Studie festgestellt, dass rund 50 Prozent der Nutzer die Sichtbarkeit der eigenen Beiträge falsch einschätzen.“ Ein Grund dafür ist, so Pernul, die Tatsache, dass bei diesen Plattformen die Funktionalität für den Nutzer dominiert und der selbstverantwortete Schutz der Daten in den Hintergrund rückt. „Die Einstellungen dafür sind meist tief im System versteckt. Die Betreiber nutzen ja diese Daten und haben wohl kein gesteigertes Interesse daran, diese ‚Werte‘ zu verlieren.“

Die Ergebnisse der Studie waren „dramatisch“ für die Macher: „Wir müssen etwas tun.“ Eine Arbeitsgruppe nahm sich des Themas an und veranstaltete ein Seminar, um sich der Herausforderung zu stellen. Die mehrjährige Forschungstätigkeit im Bereich Datenschutz und Privatsphäre, aus der auch zwei Dissertationen hervorgegangen sind, war das theoretische Fundament für die Entwicklung von „Friend Inspector“.

Dieses sogenannte „Serious Game“ zielt als Lernspiel darauf ab, das Bewusstsein für Privatsphäre beim Umgang mit digitalen Kommunikationsplattformen zu erhöhen. „Wir wollen Wissen transportieren und nicht als Oberlehrer auftreten“, beschreibt Pernul den spielerischen Ansatz des Programms. Der „Friend Inspector“ richtet sich vornehmlich an Jugendliche und junge Erwachsene. „Die Gruppe der 15- bis 25-Jährigen ist besonders von den Konsequenzen der Privatsphäreeinstellungen betroffen.“ Den Köpfen hinter dem „Serious Game“ war schnell klar, dass der eher spielerische Ansatz jungen Nutzern die Hemmschwelle nimmt, sich mit dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen. „Es gibt Punkte für das Wissen über eigene Inhalte und man kann die Ergebnisse teilen. Damit setzt auch ein Wettbewerb unter den Anwendern ein, besser zu sein als andere. Wir setzen damit auch auf den Ehrgeiz.“

Das Spiel setzt laut Pernul damit „alles um, was wir selbst über den Datenschutz wissen. Wir selbst wissen nicht, welcher Nutzer spielt, wie oft er das macht oder wie das Ergebnis aussieht“. Um eine höchstmögliche Transparenz über die Anwendung herzustellen, ist der Quellcode des Programms „Opensource“. So können Entwickler überprüfen, ob eine Sicherheitslücke oder versteckte Hintertür eingebaut ist. Auch eine Weiterentwicklung durch weitere Programmierer ist damit möglich. „Wir sind an unserer Leistungsgrenze angekommen, was man bei einer wissenschaftlichen Arbeit leisten kann.“ Das Team hinter „Friend Inspector“ geht sogar noch einen ungewöhnlichen, aber konsequenten Schritt zum Thema „Teilen auf Facebook“ weiter. Obwohl auf der Startseite zum Spiel ein „Gefällt-mir-Knopf“ ist, muss dieser erst vom Nutzer mit einem Schalter aktiviert werden – bewusst im Sinne der Erfinder.

So funktioniert der „Friend Inspector“

Die Anwendung „Friend Inspector“ läuft im Internetprogramm (Browser) der Nutzer. Dies soll sicherstellen, dass keine Daten den Computer während des Spiels verlassen. In mehreren Runden ermittelt „Friend Inspector“ im Frage-Antwort-Modus die wichtigsten Aspekte für den Anwender. Dafür ist eine Mindestanzahl an verfügbaren Bildern oder Statusmeldungen erforderlich. „Die Barriere liegt derzeit bei 20 sogenannten Items.“ Für Fünf dieser Einträge geht es in der Hauptrunde um die gefühlte und tatsächliche Sichtbarkeit für Personengruppen. Der Anwender startet mit einer vorgegebenen Punktezahl und verliert bei „falschen“ Antworten sowie mit fortschreitender Spieldauer einen Teil davon. Anschließend gibt es zum Gesamtergebnis eine Zusammenfassung und personalisierte Handlungsempfehlungen. „Wir sind ja nicht gegen sogenannte soziale Netzwerke“, betont Professor Pernul. „Der Friend Inspektor ist eher ein Beipackzettel. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie …“

„Friend Inspector“ hat den Wolfgang-Heilmann-Preis der Integrata-Stiftung erhalten. Die Stiftung setzt sich für humane Nutzung der Informationstechnologie ein und unterstützt Forschungsvorhaben, Bildungseinrichtungen und Realisierungsprojekte, die einen Beitrag dazu leisten. Die Auszeichnung ist mit 10.000 Euro dotiert. Die Preisübergabe war am 25. September an der Universität Stuttgart – am 44. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik.

Der öffentliche Mensch – Utopie von einer Gesellschaft ohne Diskriminierung

Datenschutz als Überbleibsel aus der Zeit vor dem Internet? Einige Menschen haben sich entschlossen, „öffentlich“ zu sein. Sie verzichten im Internet freiwillig auf Privatsphäre – in unterschiedlichem Umfang. Die einen posten alle Meldungen beispielsweise bei Facebook öffentlich, andere gehen einen großen Schritt weiter und veröffentlichen sogar Einnahmen und Ausgaben. „Wenn ein erwachsener Mensch für sich die Entscheidung trifft, alles öffentlich und transparent zu machen, ist nichts dagegen einzuwenden. Er gehört aber nicht zur Zielgruppe des Spiels“, sagt Professor Pernul.

Unter dem Begriff „Post-Privacy“ (wörtlich: „Nach-Datenschutz“) entstand eine Bewegung, die durchaus schon mal postuliert: „Datenschutz hat ausgedient“. In einem vieldiskutiertem Interview mit Spiegel Online erklärt Julia Schramm, eine der Mitbegründerinnen der „datenschutzkritischen Spackeria“ : „Im Internet ist es eben vorbei mit der Privatsphäre, darüber sollte man sich klar sein. Schon der Begriff Datenschutz gaukelt eine falsche Sicherheit vor, die es praktisch nicht mehr gibt.“ Als Konsequenz aus der „Flucht nach vorn“ in die „Post-Privacy“ wünscht sie sich eine „Gesellschaft, die Privatsphäre nicht mehr nötig hat, weil es keine Diskriminierung mehr gibt.“

Auch Blogger Christian Heller beschäftigt sich mit dem „Anti-Datenschutz“. Heller experimentiert damit, in seinem „PlomWiki“ Teile seines Lebens öffentlich zu machen – inklusive persönlicher Finanzen und Tagesablauf. Als Begründung für die offensive Art mit eigenen Daten umzugehen, schreibt Heller: „Als bürgerliche Institution hat Privatsphäre eine ambivalente Geschichte, und viel berechtigte politische Kritik erfahren. Ich sehe Chancen im breiten Teilen von Daten über alles, einem Mehr an Kommunikation, Transparenz und Offenheit.“

Es gibt aber auch kritische Stimmen zum „öffentlichen Menschen“ im scheinbaren Konflikt zwischen Privatsphäre und dem Verzicht darauf. In einem Gastbeitrag für peira.org, der Internetseite der „Gesellschaft für politisches Wagnis“, schreibt Thomas Köhler: „Das Verneinen von Privatsphäre oder auch die Forderung nach der Abschaffung dieser schränkt meine Freiheit ein.“ Für Thomas Köhler, der seit 2013 Mitglied der als internetaffin geltenden Piratenpartei ist, geht es nicht darum, ob er selbst Privatsphäre haben will. Es geht darum, anderen diese zuzugestehen.

Dank: Wir bedanken uns bei Oberpfalznetz.de für die Zustimmung zur Zweitverwertung. Der Beitrag erschien dort am 28.09.2014

Ein Kommentar

  1. Rainer Thiem

    Neubestimmung der Privatheit in der digitalen Welt
    Das Spannungsfeld „Privatheit und/oder öffentlicher Mensch“ wird uns noch lange begleiten weil es kein technisches sondern ein gesellschaftliches Thema ist. Insofern ist das am 20.10.2014 gestartete „BMBF – Forum Privatheit und selbstbestimmtes Leben in der digitalen Welt“ ein guter Anfang, um neue Konzepte und Lösungen zur Gewährleistung von Privatheit und informationeller Selbstbestimmung im digitalen Zeitalter interdisziplinär zu erforschen. Zusätzlich zum „Forum Privatheit und selbstbestimmtes Leben in der digitalen Welt“ verstärkt das BMBF seine Forschungsförderung und bildet den neuen Schwerpunkt „Selbstdatenschutz“. In neuen Forschungsprojekten sollen zentrale Fragestellungen bearbeitet werden: Wie kann zum Beispiel der Schutz persönlicher Daten durch Vermeidung von Datenspuren nutzerfreundlich möglich gemacht werden? Wie können künftig auch Laien ganz selbstverständlich Verschlüsselungstechniken für vertrauliche Kommunikation anwenden? Und welche alltagstauglichen Werkzeuge erlauben es uns, Transparenz bei der Erfassung von personenbezogenen Daten herzustellen? Die Projekte werden mit bis zu 6,5 Millionen Euro gefördert. Ich frage mich gerade, ob wir diese neuen Aktivitäten nicht auch Edward Snowden zu verdanken haben?

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