Ein Gastbeitrag von Maurice Conrad
Fridays For Future wird bald knapp zwei Jahre alt – fast pünktlich zu diesem – Jubiläum mag man fast nicht sagen – trafen sich zwei der prominentesten Gesichter der Bewegung, Luisa Neubauer und Greta Thunberg, mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das Treffen war in zweierlei Hinsicht bedeutend: Auf der einen Seite stehen zwei junge Frauen, sie stehen für eine ganze Bewegung, ein ganzes Selbstverständnis von Politik – den jungen, meist weiblichen und feministischen Klimaaktivismus. Kein Duo repräsentiert die Fridays For Future-Bewegung in der öffentlichen Wahrnehmung besser als Luisa Neubauer und Greta Thunberg – die beiden sind förmlich Figuren eines historischen Momentums, untrennbar verbunden mit einer ganzen Generation.
Betrachtet man das Treffen aber aus der Vogelperspektive, stellt sich eine ganz andere Frage. Warum erst jetzt? Man möchte fragen, wieso dieses Treffen, in seiner Zusammensetzung so logisch wie kaum ein anderes, erst so spät zustande kam. Peter Altmaier, die Spitzen der Grünen, CDU, SPD und zahlreiche Ministerpräsident*innen luden Vertreter*innen der Klimaschutzbewegung zu Genüge ein – teils mehrfach. Ich war selbst bei der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer als Klimaaktivist zu Gast – mehrfach.
Das Treffen dieser beiden Frauen mit der eigentlich selbstverständlichsten Politikerin dieses Landes, der Bundeskanzlerin, wirkt fast wie das Finale eines Fünfakters, der sich nostalgisch an seine Anfänge zurück erinnert und ein letztes Mal in seiner kitschigsten Form seine Ouvertüre spielt, bevor etwas Neues anfängt.
Es ist, als würde man die politische Strategie, die die Fridays For Future-Bewegung einst groß machte, ein letztes Mal in ihrer traditionellsten Form zelebrieren, bevor man andere Wege geht. Denn die Bewegung hat sich verändert. Aus einer politischen Kampagne, namentlich Fridays For Future ist eine organisierte Bewegung geworden, mit Strukturen, Gremien und einer ordentlichen Menge Subkultur. Dass Fridays For Future mal eine Kampagne und ganz früher mal nur ein Hashtag war, scheint heute nahezu vollständig historisiert. Der dem Erfolg zugrundeliegende Handlungsimperativ „Wir streiken, bis ihr handelt“ verkörpert in seiner Einfachheit genau jenes prominente Gespräch, das in den vergangenen Wochen die Medien dominierte: Wir, die Klimaaktivisten, wenden uns an euch, die Politik. Wir fordern, ihr handelt.
Das alles ist eine klare Trennung von Handlung und Verantwortung auf der einen, sowie Forderung und Mobilisierung auf der anderen Seite. Dass diese Trennung in ihrer ursprünglichen Radikalität bereits vor dem Treffen mit Angela Merkel weder in der Klimaschutzbewegung als Ganzes noch singulär auf FFF anwendbar war, sei hier einmal dahingestellt. Bewegungen wie Extinction Rebellion, Ende Gelände und auch FFF haben sich spätestens seit Ende letzten Jahres weit über dieses Narrativ hinaus organisiert. Im Übrigen mit großem Erfolg.
Es ist also Abschied und Loblied zugleich. Und es ist dazu strategisch äußerst klug, dieses Kapitel mit einem so prominenten Gastgeber wie der Bundeskanzlerin abzuschließen – einerseits Sinnbild der Macht, andererseits selbst bald historisiert. Angela Merkel ist die ideale Persönlichkeit, um das einstige Narrativ der Schulstreiks und die Geschichte Greta Thunbergs quasi „ein letztes Mal in altbewährter Tradition“ zu zelebrieren und strategisch auszukosten. Dass Luisa Neubauer als prominentes Gesicht heute eher eine hochtalentierte politische Campaignerin, Autorin und Organisatorin ist, spielt hier keine Rolle. Denn wir alle wissen um die begrenzte Wirkungsmacht eines solchen Treffens mit einer fast aus der Öffentlichkeit verschwundenen Bundeskanzlerin. Wir wissen aber auch um die strategischen Möglichkeiten dieses Treffens und wie wir es, auch als ganze Bewegung, nutzen können.
Aber was jetzt?
Als Weiterentwicklung der Protestbewegung im Bereich Klimaschutz sehe ich keineswegs eine Dystopie aus irrelevant gewordenen radikalisierten Klimaaktivist*innen, die wenig mobilisieren und dafür viele Autos anzünden. Im Gegenteil: Der 25.09.2020 ist das ideale Datum um die Klimaschutzbewegung in bekannter Größe zu mobilisieren und gleichzeitig klar zu machen: Wir sind nicht mehr die streikenden Schüler*innen aus dem Januar 2019. Wir sind dieselben Streikenden aus dem Januar 2019 – aber ebenso eine Bewegung aus Arbeitenden, Studierenden, Rentner*innen und Erwerbsuntätigen. Wir können politisch mobilisieren und wir können Einfluss nehmen. Und wir werden viele Wege gehen, ob es das parlamentarische Engagement Einzelner oder eine Radikalisierung von Protestformen ist: Die Klimaschutzbewegung wird diverser. Dass diese Entwicklung nichts Neues ist, ist auch klar – so offensichtlich wie jetzt war es aber noch nie.
Wenn wir für den 25.09. mobilisieren, müssen wir im Auge behalten, was das für ein Datum ist. Nach einer fast zehnmonatigen Pause tritt eine Protestbewegung wieder ans Licht der Öffentlichkeit. Die Erwartungen an dieses Comeback sind größer denn je, gleichzeitig wird der politische Klimastreik nicht durch den Ausbau bisheriger Teilnehmerrekorde plötzlich zum politischen Erfolg – Streikzahlen sind nicht das einzige Ziel, sondern vielmehr die Fähigkeit, mit dieser Zahl eine Kampagne zu unterstreichen. Wir dürfen nicht vergessen, dass auch 50.000 Menschen eine beachtliche Zahl an Demonstrierenden sind; wenn es ihnen aber nicht gelingt, eine Kampagne in ausreichender Dringlichkeit zu artikulieren, wird es mit 500.000 Demonstrierenden ebenso wenig nützen. Denn die Corona-Pandemie hat unsere gesellschaftlichen Perspektiven stark verändert. Alte Probleme und neue Konflikte treffen auf eine gesellschaftspolitische Gemengelage, die vielleicht traurig im Einzelnen, in Hinblick auf Veränderung aber durchaus hoffnungstiftend sein kann. Noch nie wurde so viel bewegt – in so kurzer Zeit. Noch nie war der Kampf der Black People of Color so präsent und so real wie durch die Proteste von Black Lives Matter. Noch nie haben wir so im Konsens gehandelt wie heute.
Für den 25.09. werden wir eine viel größere Dimension vor Augen haben, als es streikende Schüler*innen sind. Wir benötigen eine Gesellschaft, die gemeinsam, über alle Altersschnitte hinweg, eine gemeinsame politische Kampagne erschafft.
Klimagerechtigkeit ist ebenso der Kampf indigener Völker, wie es der Kampf der Black People of Color ist und wie es feministischer Kampf ist. Diese Kämpfe zu verbinden, war schon immer unser Anliegen – ob diese Verbindung aber bisher ihr volles Potential entfaltet hat, bezweifle ich. Dieses Potential können und müssen wir ausschöpfen. Wir müssen den Drahtseilakt aus der Hybridisierung des gesamten Protestes und der Beibehaltung eines einfachen Narrativs schaffen. Denn Klimagerechtigkeit ist nicht Fridays For Alles und Fridays For Future ist nicht nur Energiewende. Ich sehe den 25.09. als ideale Plattform dieser noch größeren Protestbewegung.
Dass sich Narrative wie die vom Anfang 2019 nicht in derselben Dimension und vor allem in derselben Sichtbarkeit über Jahre aufrechterhalten lassen, war uns immer klar. Dass Fridays For Future sich dieses Umstands bewusst ist und darüber hinausdenkt, ist politikstrategisch so bemerkenswert wie notwendig. Eine Protestbewegung entwickelt sich weiter – ohne sich dabei untreu zu werden.
Wir werden einen globalen Klimastreik schaffen, wir werden globale Kampagnen schaffen, wir werden radikale Proteste organisieren und wir werden die Parlamente hacken – all das, um die Zukunft aller Menschen auf diesem Planeten lebenswert zu erhalten. Wir haben noch nicht einmal richtig angefangen, freut euch drauf!