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Peira

Frieden und Gerechtigkeit sind möglich – Wir müssen es nur wollen!

Ein Gespräch mit Dr. Gregor Gysi, Mitglied des Deutschen Bundestages, Mitglied der Partei Die Linke am 17. April 2016, im Cum Laude das Restaurant, Humboldt-Universität zu Berlin.

Die Debatte darüber, ob der Einsatz von Waffen ein Mittel zur Lösung von Konflikten zwischen Staaten ist, spaltet die Öffentlichkeit seit eh und je. In der Regel setzten sich bei der Suche nach Konfliktlösungen allerdings diejenigen Kräfte durch, die nicht diplomatische Lösungen, sondern den Einsatz von Waffen favorisierten. Das Resümee über alle weltweiten Konflikte des 20 Jahrhunderts, denen mit militärischen Mitteln begegnet worden ist, ist entsprechend katastrophal: 54 Kriege mit 185 Millionen Todesopfern.

Setzen sich auch im neuen Jahrhundert weiterhin diejenigen durch, die den Einsatz militärischer Gewalt und damit Krieg als „ultima ratio“ zur Lösung von Konflikten präferieren, wird die Bilanz noch katastrophaler ausfallen. Die Frage, was gegen Menschenrechtsverletzungen und Massaker an der Zivilbevölkerung in den Kriegen unserer Tage zu tun ist, darf nicht weiterhin auf das Maß der militärischen Intervention reduziert werden.

Und schließlich haben die Kriege des Westens, die begonnen wurden mit dem Ziel, den Terrorismus zu bekämpfen, sich in ihrem Verlauf zu einem wahren Terrorzuchtprogramm entwickelt. Wir müssen stärker als bisher die militärische Ultima Ratio in Frage stellen und die Ursachen des Terrorismus überwinden.

Prominente und einflussreiche Politikerinnen und Politiker, die das herrschende Wirtschaftssystem und die damit verbundene Barbarei anprangern, gibt es wenige.

Wir freuen uns sehr deshalb darüber, dass wir mit Gregor Gysi in der 23. Peira-Matinée über Wege zum Frieden und den Kampf für mehr Gerechtigkeit reden konnten und zwar deshalb, weil er zu den wenigen prominenten Politikern der Republik gehört, die seit vielen Jahren für mehr Frieden und soziale Gerechtigkeit kämpfen. Wir sind sehr gespannt darauf, wie seine Bestandsaufnahme zum Thema Frieden aussieht aus und wie und wann wir zu einer globalen Friedenordnung und mehr Gerechtigkeit kommen.

Arbeit und Muße. Ein Plädoyer für den Abschied vom Arbeitskult

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Hans-Jürgen Arlt, Publizist und Kommunikationswissenschaftler, Universität der Künste und Prof. Dr. Rainer Zech, Sozialwissenschaftler und Geschäftsführer der ArtSet Forschung Bildung Beratung GmbH, am 20. März 2016, im Cum Laude das Restaurant, Humboldt-Universität zu Berlin.

„Muße, nicht Arbeit, ist das Ziel des Menschen.“ so Oscar Wilde in seinem leider viel zu unbekannten Essay „Der Sozialismus und die Seele des Menschen“ aus dem Jahr 1891. Doch von diesem Ziel haben sich diejenigen, die immer vorgaben, die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter zu vertreten, kaum leiten lassen. Selbst jetzt in Zeiten von Industrie 4.0, der beginnenden Epoche der abnehmenden Arbeit durch die digitale Transformationen in allen gesellschaftlichen Bereichen, erheben Gewerkschafter und Sozialdemokraten weiterhin die Forderung auf ein Recht auf Arbeit. Dies ist kein Fortschritt und nicht menschenwürdig: Es ist daher an der Zeit ein „Recht auf Arbeitslosigkeit“ nicht nur zu denken, sondern auch gesellschaftlich durchzusetzen.

Unsere Gäste, Hans-Jürgen Arlt und Rainer Zech legen dar, wie moderne Gesellschaften die Arbeitstätigkeit einerseits zum Lebensmittelpunkt der Menschen und andererseits zum Kostenfaktor der Wirtschaft machen, und thematisieren die soziale Frage, die aus dieser Spannung erwächst. Eine kurze Begriffsarchäologie von Arbeit und Muße lässt deutlich werden, wie eigenartig und einzigartig dieses Weltbild ist, aus dem Leistungsexplosionen und Zerstörungen in vorher unvorstellbaren Ausmaßen entspringen. Hans-Jürgen Arlt und Rainer Zech, die Autoren des Buchs, „Arbeit und Muße“ stellen Alternativen vor: Arbeit in die Schranken des Not-Wendigen verweisen, Tätigkeiten in bunter Vielfalt am selbstbestimmten Bedarf orientieren, der Muße als Ausdruck idealer Humanität Geltung und die Lebensführung verschaffen.


Eine Mitschrift von der Matinée

(Erstellt von Prof. Martin Haase)

Arbeit und Muße – Ein Plädoyer für den Abschied vom | Hans-Jürgen Arlt | Springer

Dr. phil. Hans-Jürgen Arlt – GWK (Berlin)

Rainer Zech, Autor auf Carta, perspektive:blau – Rainer Zech (Hannover): Peira – Ausbeutung 4.0 – Kapitalismus im Kopf

Einleitung

Kapitalismus ist Arbeit ohne Ende
Unterscheidung Arbeit/Freizeit vs. Muße Arbeit
Was ist Arbeit?
Was ist Muße?
Wie verändert Digitalisierung die Arbeit?
Gibt es eine neue Chance für die Muße?

Poster
  • Es ist, verdammt noch mal, Arbeit.
  • Wer gut leben will, arbeitet am besten weniger.
Referate
  • Wie wird man reich? (Kapitalist Konrad)
  • mehr nehmen als geben
  • Profitmaximierung
  • dazu müssen manche mehr geben als nehmen
  • Wachstum: Wohlstand der Nationen
  • Wir leisten mehr, also können wir mehr leisten.
  • Wirtschaftswunder
  • Recht auf Arbeit?
  • Wer immer mehr zu brauchen glaubt, muss immer mehr arbeiten.
  • Kaufen, kaufen, kaufen ➡ Arbeit, Arbeit, Arbeit
  • Arbeitsgesellschaft ~ Konsumgesellschaft
  • Zivilisation hat keinen Platz für Müßiggänger (Henry Ford)
  • Müßiggang ~ Paradies
  • Pilot, Priester reden über Himmel (Himmel-Erde, Himmel-Hölle), vgl. Arbeit-Freizeit, Muße-Arbeit
  • Unter Arbeit wird alles Mögliche gefasst.
  • griechisch: πόνος, πρᾶξις, ποίησις, Muße: σχολή [Gegenteil: άσχολΐα oder πόνος]
  • lateinisch: laborare, das Humanum entfaltet sich in der Muße
  • Paulus: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Wichtig für den Protestantismus.
  • anderer Arbeitsbegriff: Arbeit als soziale Beziehung
  • Bedarf
  • Leistung
  • Gebrauch
  • Wie halten wir es mit der Knappheit? Was geschieht, wo man Dinge nicht verknappen kann? Potenziale der Digitalisierung
  • Ökonomisierung aller zwischenmenschlichen Beziehungen (auch auf dem Weg der Digitalisierung): Alles muss kaufbar und verkaufbar sein.
  • The Burnout Society | Byung-Chul Han
  • neue Arbeitsformen durch Digitalisierung: Zunahme an immaterieller Arbeit?
  • Commons
  • Bertrand Russell
  • Abschaffung sozialer Sicherheit wird kompensiert?
  • Problem der sozialen Integration (geschieht nicht durch Arbeit): Ohne soziale Integration zerbricht die Gesellschaft, hier ist Muße nötig.
  • Arbeitsgesellschaft muss verändert werden.
Diskussion
  • Wie kommen wir dahin?
  • Nicht dumm machen lassen durch die Macht der anderen oder die eigene Ohnmacht.
  • profit ~ non-profit-Organisationen, Alternativen sind schon da.
  • Maul aufmachen.
  • Schule: wichtige und musische Fächer, Schule/Fachhochschule: Berufsvorbereitung
  • arbeitsfreie Gesellschaft ist praktisch schon da, teleologisches Geschichtsbild (Teleologie)?, politische Parteien: Ideen von gestern (arbeitsorientiert)
  • Arbeitsgesellschaft ≠ arbeitende Gesellschaft
  • Geschichte evolutionär
  • Konzept des Grundeinkommens: Entkoppelung Arbeit, Gesellschaft
  • Dann arbeitet keiner mehr?
  • Angst: Woher kommt dann der Wohlstand?
  • Wie bekomme ich das Konzept in die Köpfe rein?
  • Grundeinkommen verändert die Gesellschaft
  • Neiddebatte weniger wichtig
  • Kriminalität nimmt ab
  • Notwendigkeit des Wachstums fällt weg

Zukunft denken – wenn nicht jetzt, wann dann?

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Martin Haase, Dr. Joachim Paul und Rainer Thiem am 14. Februar 2016, im Cum Laude, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Welt ist wie nie zuvor aus den Fugen geraten. Der globale Wettkampf der Nationen, der keine Werte kennt, dessen einziges Ziel ökonomisches Wachstum ist, hat uns riesige Probleme beschert: Kriege um Ressourcen und Einflusssphären, Raubbau an der Natur, Klimawandel, Flucht und Vertreibung, extreme Ungleichheit zwischen arm und reich im Norden und erst recht in den Ländern des Südens.

Weltweit wachsen Angst und Verunsicherung, weil es offensichtlich keinen globalen politischen Konsens darüber gibt, wie diesen existenziellen Problemen zu begegnen ist. Nahezu alle politischen Systeme sind nicht mehr Herr des Handelns, sie werden regelmäßig von Skandalen erschüttert und stecken in einer strukturellen Legitimitätskrise. Sie sind abhängig von den in den Gesellschaften jeweils vorherrschenden Systemen der Medienberichterstattung sowie personalisierten Führungsformen in Politik und Mediensystemen. Die Konsequenz ist eine zunehmende Isolation der politischen Sphäre von den Bürgern.

Die zunehmende Verunsicherung befeuert politische Konservatismen und die Sehnsucht nach einfach zu treffende Lösungen bis hin zur weltweiten Wiederbelebung des Rassismus. Damit sind die Errungenschaften der Aufklärung, Freiheit und Demokratie erneut gefährdet. Sollen sie Bestand haben, es ist höchste Zeit über Zukünfte nachzudenken, die diesen sichern.

Hier der Link zum Netzpolitischen Manifest

Nicht der Klassenkampf, sondern das Klima und die ausgehenden Rohstoffe werden den Kapitalismus zu Fall bringen!

Ein Gespräch mit Ulrike Herrmann und Rainer Thiem am 13. Dezember 2015 im Cum Laude, Humboldt-Universität zu Berlin

Der Kapitalismus hat seit jeher viele Gesichter. Eins davon ist besonders hässlich: Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weltweit immer weiter und bringt großes Leid über die Menschen. Die Hoffnung vieler, dass der Kapitalismus an seinen inneren Widersprüchen – den Finanz- und Wirtschaftskrisen – zu Grunde geht, ist bisher nicht aufgegangen.

Auf den ersten Blick ist ein Ende des Kapitalismus nicht in Sicht, da die Möglichkeiten, als System auf dieser Welt zu expandieren, noch immer unbegrenzt sind. Doch wie uns die letzte Bankenkrise zeigte, könnte der Kapitalismus an seinem Geldüberfluss, der durch die Mechanismen des Finanzkapitalismus entstehen kann, zugrunde gehen. Diese Art Crash, durch Regulierung der Banken durch den Staat zu vermeiden, hat die Politik bisher nicht geschafft. Offen ist auch, ob beim Platzen der nächsten Blase härter reguliert werden würde. „Schließlich führe“, so nach Meinung unseres Gastes, Ulrike Herrmann, „ein massiver Eingriff in das System des Finanzkapitalismus zu seinem Einbruch – und Chaos und Panik folgten.“

Doch für Herrmann scheint es ausgemacht, „dass der Kapitalismus im Prinzip nicht zu retten ist. Die These von Karl Marx, dass der Kapitalismus an seinen Finanzkrisen und Wirtschaftskrisen untergehen würde, findet sie falsch, weil wir nach 250 Jahren Kapitalismus wissen, dass der Kapitalismus als Wirtschaftsform jede Finanzkrise übersteht. Das Ende des Kapitalismus wird anders kommen, nämlich dadurch, dass einfach die Rohstoffe ausgehen und die Umwelt verbraucht ist. Doch einen Plan, wie der und von wem durch Sachzwänge erzwungenen Ausstieg aus dem Kapitalismus zu organisieren ist, gibt es noch nicht.“

Notizen und weiterführende Links zur Matinée mit Ulrike Hermann von Prof. Martin Haase

19. Peira-Matinée: Europa steht am Scheideweg – Europa muss umgestülpt werden

Ein Gespräch mit Dr. Ulrike Guérot und Rainer Thiem am 13. Dezember 2015 im Cum Laude, Humboldt-Universität zu Berlin

Europa schaut spätestens seit der Finanz-, Ukraine-, Griechenland- und nun auch noch Flüchtlingskrise in einen immer tiefer werdenden Abgrund. Ein solidarisches Europa der Gleichheit und Demokratie rückt immer weiter in die Ferne. Ein Ende des vereinigten Europas mit gravierenden Erschütterungen des wirtschaftlichen und politischen Gleichgewichts des gesamten Westens, scheint nicht mehr ausgeschlossen. Es zeigt sich immer mehr, dass die Entscheidung über die weitere Entwicklung Europas nicht alleine den europäischen Regierungschefs überlassen bleiben darf. Die Zivilgesellschaften in den europäischen Ländern müssen sich stärker als in der Vergangenheit einbringen in die Diskussion für ein neues Europa, ein Europa, das die nationalen Egoismen überwindet.
„Europa muss umgestülpt werden“, sagt unser Gast, Ulrike Guérot, „das ist der – friedliche – revolutionäre Akt Europas im 21. Jahrhundert: Politische Gleichheit würde bedeuten, dass die europäischen Bürger gleich sind bei europäischen Wahlen, bei den bürgerlichen Steuern und bei ihrem Zugang zu sozialen Rechten – genau das wäre eine Europäische Republik! Das kann selbstverständlich nicht über Nacht, nicht einmal in wenigen Jahren passieren. Aber es kann als politisches Ziel formuliert werden, damit das europäische Projekt wieder einen Fingerzeig in Richtung Zukunft sieht.“

Matinéebezogenes Literaturverzeichnis:

  1. Rodrik, Dani: Das Globalisierungs-Paradox – Die Demokratie und die Zukunft der Weltwirtschaft, C.H.Beck, 2011
  2. Wittgenstein, Ludwig: Aphorismen: Satz 4.116; „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“
  3. Müller, Jan-Werner: Anläufe zu einer politischen Theorie des Populismus, Transit, Heft 44, 62-71, Institut für die Wissenschaft von Menschen, 2013
  4. Michéa, Jean-Claude: Das Reich des kleineren Übels – Über die liberale Gesellschaft, Matthes & Seitz Berlin, 2014
  5. Wüllenweber, Walther: Die Asozialen – Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren – und wer davon profitiert, Sarrazin Verlag DVA, 2012
  6. Herrmann, Ulrike: Hurra, wir dürfen zahlen: Der Selbstbetrug der Mittelschicht, Westendverlag, 2010

18. Peira-Matinée: Anarchie. Gelebte Utopie im 21. Jahrhundert

Ein Gespräch mit Dr. Bernd Drücke und Rainer Thiem am 8. November 2015 im Cum Laude, Humboldt-Universität zu Berlin.

Anarchie ist Chaos und Terror? Unsinn! Anarchie ist eine egalitäre, solidarische Gesellschaft ohne Chef und Staat. Anarchistinnen und Anarchisten wollen den freiheitlichen Sozialismus realisieren.
Die Vielfalt des Anarchismus auch in Deutschland lässt sich gut anhand seiner Mediengeschichte aufzeigen. In den letzten 150 Jahren sind unzählige schwarz-rote Sternschnuppen, aber auch langlebige und einflussreiche libertär-sozialistische Zeitschriften entstanden.
Seit 1968 gibt es in der Bundesrepublik einen „neuen Anarchismus“. Und auch in der DDR gab es eine anarchistisch inspirierte Bewegung.
Anhand von Anschauungsmaterial wird in die Geschichte und Gegenwart des Anarchismus und seiner Presse eingeführt, mögliche Perspektiven einer Gesellschaft ohne Chef und Staat werden zur Diskussion gestellt.

 

Ankündigung und Umsetzung der Kündigung eines taz-Abos
Hier übernommen, weil unser Matinée-Gast Dr. Bernd Drücke, die beabsichtigte Kündigung des Abos gleich zu Beginn der Matinée ankündigte. Nachfolgend die Korrespondenz mit der taz und der Kommentar, in dem die Gründe für die Kündigung dargelegt werden.

taz-Abokündigung und Leserbrief per Email
Date:    Fri, 27 Nov 2015 18:09:22 +0100
From:   „Dr. Bernd Drücke“

Sehr geehrte taz-Redaktion,

hiermit kündige ich ab sofort mein taz-Abo und entziehe Euch die Einzugsermächtigung für mein Konto bei der Sparkasse Münsterland Ost. Ich war (mit kurzen Unterbrechungen) seit 1986 Abonnent der taz. Dass Ihr aber nun auch fette Bundeswehrwerbung abdruckt, ist für mich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Wenn Ihr wissen möchtet, warum ich mein taz-Abo kündige, lest bitte meinen hier angehängten Kommentar aus der Graswurzelrevolution, Monatszeitschrift für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, Nr. 404 (Dezember 2015). Ich würde mich sehr über eine Stellungnahme von Euch und eine Dokumentation meines Kommentars in der taz (unter der RubrikLeserbriefe?) freuen.

Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Bernd Drücke

Wes Lied ich sing, des Brot ich fress
Die taz ist ein anti-anarchistisches Organ der Militarisierung

Kommentar

Ich bin seit 1986 Abonnent der „tageszeitung“. Seitdem gab es immer wieder (verpasste) Gelegenheiten, mein Abo zu kündigen. Etwa als sich die taz 1999 zum Sprachrohr der Krieg führenden rot-grünen Bundesregierung gemacht hat.

Damals relativierte der grüne Bundesaußenminister Joseph Fischer unter dem Motto „Wir müssen ein zweites Auschwitz verhindern“ die Shoah, um auf so infame Weise den NATO-Angriffskrieg gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien zu rechtfertigen. Das dritte Mal im 20. Jahrhundert bombardierten deutsche Bomber 1999 Belgrad und andere Städte in Jugoslawien. Und die taz betrieb als schrille Kriegstreiberstimme im Fischer-Korps Kriegspropaganda, mehr noch als die meisten anderen Zeitungen des Mainstream. Schließlich war es „ihre“ Regierung, die (als Teil der NATO) diesen ersten deutschen Angriffskrieg seit 1945 vom Zaun gebrochen hatte und propagandistische Unterstützung benötigte, um das grün-rote Wahlvolk auf Kriegskurs zu bringen. Seitdem hat sich die taz nicht wirklich gebessert. Wenn es um Kriegstreiberei geht, sitzt sie in den publizistischen Schützengräben oft weit vorne. Und da ist es nur logisch, dass sie jetzt auch ganzseitige Anzeigen der Bundeswehr abdruckt. In Abwandlung eines bekannten Spruches: „Wes Lied ich sowieso schon singe, des Brot kann ich auch fressen“.

Dass die taz auch bei der plumpen Gleichsetzung von Anarchie mit Terror und Chaos ganz weit vorne liegt, habe ich hier zuletzt im September 2015 in der GWR 401 beschrieben. Wie viele bürgerliche Medien ist sich die taz nicht zu blöd, immer wieder „die Anarchie“ als Schreckensbild zu verwenden. So auch, wenn sie über vermeintliche „Anarchie in Libyen“ (taz, 30.1.2015) schreibt oder behauptet: „In Burundi gab es noch nie einen wirklich funktionierenden Rechtsstaat. Doch seitdem Präsident Nkurunziza durch sein Bestreben nach einer illegalen dritten Amtszeit die Verfassung aus den Angeln gehoben hat, rutscht das Land in die Anarchie ab.“ (taz, 30.7.2015)

Nun hat sie den Vogel abgeschossen. Auf Seite 1 der taz vom 7./8. November 2015 brachte das Grünen-nahe Blatt unter der fetten Rubrik „DER STÄRKSTE SATZ“ folgendes Zitat des Historikers Timothy Snyder: „Hitler war kein Staatsmann oder Nationalist, sondern ein in rassistischen Kategorien denkender Anarchist.“

Wie bitte?!!!

In diesem kurzen Satz sind drei unglaubliche Lügen versammelt. Wer sich mit der Geschichte auch nur ein bisschen auskennt, weiß, dass Hitler ein extremer Staatsmann und Nationalist war. Wer sich ein bisschen besser auskennt, weiß, dass er die in den 1920er Jahren in Deutschland zeitweise aus über 150.000 AktivistInnen bestehende anarchistische Bewegung gehasst hat. Anarchistinnen und Anarchisten wurden von Hitlers Schergen verfolgt und vernichtet. Der Anarchist Erich Mühsam, der 1933 verhaftet und 1934 im KZ Oranienburg auf bestialische Weise von SS-Männern ermordet wurde, wird verhöhnt durch die Geschichtsverdrehung, die die taz da fett gedruckt auf ihrer Titelseite platziert hat. Widerlich! „Krieg ist Frieden“ – Orwell lässt grüßen!

Wer das zum Titelzitat gehörende journalistisch armselige Interview mit Timothy Snyder in der taz vom 7./8.11.2015 liest, wird erkennen, dass der „stärkste Satz“ keineswegs ein Ausrutscher war. Snyder ist ein Überzeugungstäter. Er nennt Hitlers Ideologie einen „ökologischen Anarchismus“ (!) und diffamiert so die gesamte anarchistische Bewegung, die in der NS-Zeit in Deutschland im wahrsten Sinne des Wortes ausradiert wurde. Es ist empörend, dass die taz nicht in der Lage ist, dies als das zu erkennen, was es ist: eine Verleumdung, ein Hohn auf alle anarchistischen Opfer des Nationalsozialismus. Und das druckt eine Zeitung, die einst als Alternativblatt auch von AnarchistInnen mitgegründet wurde. Bitter.

Ich frage mich, ob die taz-Redaktion und die taz-Interviewerinnen Tania Martini und Christiane Müller-Lobeck tatsächlich noch nie gehört haben, dass es der Staatsmann und Nationalist Hitler war, der auch den Anarchismus in Deutschland 1933 zerschlagen hat. Hitler wollte keine herrschaftsfreie, gewaltlose Gesellschaft. Er war kein Anarchist, sondern DER Vertreter der besonders grausamen deutschen Variante des Faschismus.

Die GWR-AutorInnen Isabel Lipthay und Martin Firgau haben ihr taz-Abo am 12.11.2015 gekündigt und das wie folgt begründet:

„…unter Protest kündigen wir hiermit ab sofort unser langjähriges Abo der taz.

Beim Lesen der heutigen Ausgabe sind wir nur bis Seite 7 gekommen. Eine ganzseitige Anzeige der Bundeswehr? Das geht wirklich zu weit! Mir wird schon schlecht, wenn ich die Werbekampagne zum 60. in der Stadt an (gefühlt) jeder zweiten Werbefläche ertragen muss. Das brauche ich nicht auch noch am Frühstückstisch. Und dann von einer Zeitung, die einmal aus der Bewegung entstanden ist und noch irgendwie den Anspruch hat, sich vom Mainstream zu unterscheiden. Die Bundeswehr wird für die Seite gut gezahlt haben. Der Imageverlust Eurerseits und sicher einige gekündigte Abos stehen dagegen.“

Daraufhin antwortete ihnen der taz-Anzeigenleiter Jan Kniggendorf: „Die Entscheidung, die taz als Werbemedium anzubieten (und damit Erlöse zu erzielen), ist schon vor vielen Jahren gefallen. Eine große Mehrheit unserer GenossInnen trägt diese Geschäftspraxis. (…) Der Anzeigenverkauf trägt etwa 10 % zum Gesamtumsatz bei und ist damit ein nicht ganz unwesentlicher Bestandteil unserer Finanzierung.

Die taz als Anzeigenmedium zu verkaufen ist mitunter eine sehr schwierige Aufgabe. Die taz hat die kleinste Leserschaft unter den überregionalen Tageszeitungen und ist deshalb für viele Werbetreibende einfach verzichtbar. So gesehen sind Anzeigen von Konzernen, großen Unternehmen oder eben auch von Bundesministerien für uns ein Erfolg. Die Kampagne vom Bundesministerium der Verteidigung wurde übrigens auch in anderen Tageszeitungen und Nachrichtenportalen (Spiegel Online, Zeit, Süddeutsche, Welt, FAZ…) geschaltet. So gesehen waren wir zumindest in diesem Fall im ‚relevant Set‘ des Tageszeitungsmix vertreten…“

Martin Firgaus Antwort: „Lieber Herr Kniggendorf, danke für Ihre ausführliche Antwort. Nun ist mir klar geworden, dass die Entscheidung der Abo-Kündigung genau richtig war. Sie freuen sich sichtlich, betrachten es als Erfolg, ein Bundesministerium als Anzeigenkunden gewonnen zu haben! Wie schön, mal im ‚relevant set‘ der Großen mitspielen zu dürfen!

Meiner Meinung nach sind Sie bei der falschen Zeitung. Oder wir eben … Natürlich ist es legitim, Anzeigen zu schalten und Anzeigen geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. Aber irgendwo gibt es doch Grenzen, nicht wahr? Ich z.B. bin nicht bereit, für Papier zu bezahlen, auf dem die olivgrüne Werbung des Kriegsministeriums gedruckt ist. Wo ist Ihre Schmerzgrenze? Sichern Rüstungsfirmen nicht auch Arbeitsplätze? So wie Sie das angehen, kriegen Sie die sicher auch noch als Kunden …“Bravo, lieber Martin, bravo, liebe Isabel! Sorgen wir dafür, dass es der taz auch finanziell weh tut, weiterhin Kriegspropaganda zu drucken. Ich jedenfalls kündige jetzt endlich – nach 29 Jahren – mein taz-Abo.

Bernd Drücke

PS: In dieser GWR drucken wir übrigens ebenfalls „Bundeswehr-Werbung“ Siehe Gerhard Seyfrieds Fotomontage auf dieser Seite und die Findus-Zeichnung auf Seite 12.
Kommentar aus: Graswurzelrevolution Nr. 404, Dezember 2015, 44. Jahrgang, www.graswurzel.net <http://www.graswurzel.net>

 

 

 

 

 

 

 

14. PEIRA Matinee: Krypto Kriege 3.0 – Der Kampf um unsere Demokratie

Krypto Kriege 3.0 – Der Kampf um unsere Demokratie
Ein Gespräch von Rainer Thiem mit Angelika Beer und vielen Gästen

Nichts hat unser Leben so verändert wie die Digitale Revolution. Leider hat sich die Gesellschaft bis heute nur mit den technologischen Aspekten der Digitalen Revolution beschäftigt, und nicht so sehr mit ihren ethischen und soziologischen Folgen. Aber diese Revolution wird unsere Gesellschaft vollständig verändern – unsere Sicherheitspolitik genauso, wie den Kampf gegen den Terrorismus. Wir als Politiker müssen schnell handeln, wenn wir diesen Wandel noch beeinflussen wollen. Tun wir es nicht, werden Geheimdienste und große Konzerne die einzigen sein, die künftig noch wirkliche Entscheidungen treffen können. Der erneute Ruf nach der Vorratsdatenspeicherung und die Forderung, den Schutz durch Verschlüsselung zu schwächen sind alarmierend. Sie sie sind nichts anderes als ein weiterer Angriff der Geheimdienste, die nach Vorherrschaft streben und digitale Kriege vorbereiten

Die Kernfrage in der Sicherheitsdebatte nach den Morden von Paris lautet: Welche Instrumente wollen wir den Geheimdiensten und der Polizei an die Hand geben? Und wie groß – oder wie gering – ist unser Vertrauen darin, dass diese Instrumente nicht missbraucht werden? Unbestritten ist: Der Staat muss seine Bürger schützen. Aber die Mittel dazu müssen angemessen und erträglich sein. Sind sie es nicht, bedeutet das die Zerstörung unserer Demokratie – und die Terroristen haben gewonnen. Unser Vertrauen in die Behörden ist nach den Skandalen um NSA und NSU – um es freundlich auszudrücken – gestört. Dass die entsprechenden Behörden das notwendige Wissen über die Täter frühzeitig zur Verfügung hatten, ist der Beweis, dass es nicht der Mangel an Daten war, der die Aufklärung verhindert hat.

Die Debatte um einen wirkungsvollen Kampf gegen den Terrorismus muss in einer rationalen, am Ergebnis und am Grundgesetz orientierte Politik ihren Ausgangspunkt haben. Traum und Wunsch der Überwachungsindustrie ist, dass nur eine totale Überwachung absolute Sicherheit garantieren kann. Effektiv wurde diese Technologie aber bisher nur in Kriegsgebieten gegen Terroristen eingesetzt. Baut man auf diesem Schema auf, werden Metadaten dazu dienen, Menschen aufzuspüren und zu unterdrücken, die den politischen Ansichten der Regierung widersprechen. Was für ein Horrorszenario!

So lange die Behörden nicht willens sind, Vertrauen aufzubauen, und uns und unseren Argumenten zuhören, kann es keine Unterstützung für ihre Mittel geben, die auch zur Unterdrückung eingesetzt werden können. Und so lange es keinen Nachweis gibt, welche Mittel wirklich mehr Sicherheit und Schutz für Menschenrechte bieten, sind es nur weitere Angriffe gegen die Bürger und unsere Grundrechte, die wir nicht hinnehmen können.

Piratenpartei…kommt da noch was? Ein Gespräch mit Stefan Körner

Piratenpartei – grandios aufgestiegen, kläglich abgestiegen – kommt da noch was?
Ein Gespräch von Rainer Thiem mit Stefan Körner und vielen Pirat*innen

Am 10. September 2006 gründete sich in der Berliner c-base die Piratenpartei Deutschland. Erstmalig in der Geschichte Deutschlands spielte sich die Vorbereitung einer Parteigründung vorwiegend im Internet unter den Augen der Öffentlichkeit ab. Die Pirat*innen weckten Hoffnungen, sie versprachen, dem System eine neue Richtung zu geben.
Menschen, die sich längst vom Wahlzirkus und den Parteien abgewandt hatten, machten plötzlich wieder mit. Die Medien applaudierten und der netzaffine Schwarm zog zur eigenen Überraschung 2011 mit einer beachtlichen Anzahl von Mandaten erstmals ins Abgeordnetenhaus von Berlin ein. Das war mehr als sexy und führte 2012 zu weiteren Wahlerfolgen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen. Doch schon 2013 entzogen enttäuschte Wähler*innen und Wähler bei den Wahlen in Niedersachsen den Piraten*innen ihre Stimme, weil Pirat*innen auf der Bundesebene nicht dass einlösten, was sie versprachen, mehr Transparenz u.v.m. Seither verzweifeln Pirat*innen an sich selbst. Hässliche, zwischenmenschliche Kämpfe auf allen Ebenen der Partei brachen aus und verhinderten die Suche nach Gemeinsamkeiten und effizienten Strukturen. Der Glanz, die Anziehungskraft ist seither dahin. Die Mitgliederzahlen sanken rapide.
Kann eine Marke, die so beschädigt ist, ihr Profil wieder schärfen, die inneren Werte, Grundsätze und Überzeugungen, die eine hohe Anziehungskraft besaßen, im Schaufenster wieder zum Leuchten bringen?
These 1: Ja, es geht dann, wenn die Pirat*innen ihre Ideale nicht verraten und in der Umsetzung dieser, nicht versagen. These 2: Es geht nicht mehr, weil die Menschen, die noch da sind, nichts von den bisherigen Idealen halten.

Offener Brief an die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland Dr. Angela Merkel aus Anlass der offenen Schulden bei den Griechen

Bildmotiv: Griechenland 2. Juni 1941, Deutsche Fallschirmjäger ermorden auf Kreta in Kondomari griechische Zivilisten. Insgesamt wurden in Griechenland während der Besatzungszeit von 1941 – 1944 …

Gewaltvolle Internetkommunikation – Ein Gespräch mit Antje Schrupp

Gewaltvolle Internetkommunikation – wie können wir uns dagegen politisch und juristisch wehren? Ein Gespräch von Christina Dinar mit Antje Schrupp

Am 8. März ist „Frauentag“, immer ein Anlass danach zu fragen, wie es um die Gleichberechtigung in der Geschlechterfrage steht und erst recht ein Grund danach zu fragen, wie es um die Geschlechterfrage im Netz steht?
Viele, besonders aktive Feminist*innen im Netz beklagen, dass sie kommunikative Gewalterfahrungen machen, wenn sie sich als Frauen identifizieren lassen und besonders dann, wenn sie auf Missstände im Geschlechterverhältnis aufmerksam machen. Der preisgekrönte Hashtag #aufschrei, hat den alltäglichen Sexismus, den Frauen im Netz erfahren, besonders sichtbar gemacht. Aber solche Hashtags können auch das Gegenteilige bewirken. Unter dem Hashtag #gamergate sammelte sich nicht nur Emanzipatorisches, sondern vor allem Hass und Wut gegen die Kritik von Spieleentwickler*innen, die sich auf die Darstellung von Frauen in Computerspielen bezog. Die Initiator*innen und Kritiker*innen wurden sehr systematisch bedroht, ihre privaten Wohnadressen wurden auf Twitter veröffentlicht, sie erhielten dort und auf ihren Blogs Morddrohungen.
Auch ich konnte in meiner Arbeit mit der Wikipediacommunity immer wieder beobachten wie Aktive, die als weiblich erkennbar wurden, besonders wenn sie die Zustände von (geschlechtlicher) Ungleichheit kritisierten, immer wieder besonders umfassender Kritik und Diskussion in teilweise einem sehr rauem Ton ausgesetzt wurden. Neu ist allerdings, dass sich inzwischen auch Plattformbetreiber ihrer Verantwortungen im Umgang mit Trollen stellen. So erklärte Twitter-CEO Dick Costolo im Februar, dass zukünftig gegen diskriminierende Accounts stärker vorgegangen werden soll. Und auch Wikipedia Gründer Jimmy Wales rief bereits 2014 dazu auf, dass sich das Projekt und vor allem die Community von dem „nerving Benutzer“ mit seinem toxischen und auch intoleranten Verhalten zur Not trennen müsse.
Das Ausmaß, in dem vor allem die kommunikative Gewalt im Online Bereich annimmt, wird erst langsam sichtbar, und ruft nicht nur die Plattformen und Verwalter dieser auf, sondern auch die Frage nach juristischen Regulierungsinstanzen auf den Plan. Doch es ist nicht nur eine Frage von Regeln und Gesetzen. Gewaltsame Kommunikation im Internet, wie sie viele erfahren ist nicht allein eine Aufgabe, die sich auf das Geschlecht bezieht, sie macht diese nur deutlich in ihrer Dringlichkeit, sich umfassender mit ihr zu beschäftigen und vor allem gemeinsam mit allen Akteuren zivil- und bildungspolitisch verschiedene Lösungen dieses Problems zu entwerfen.