Skulpturen des Ostgiebels des Zeustempels von Olympia. Archäologisches Museum Olympia
Von Rainer Thiem
Ein Rettungsprogramm, das die, die gerettet werden sollen, so nicht haben wollen
Mit einer Rekordmehrheit stimmten am 27.2.2015 die Mitglieder des Deutschen Bundestages fraktionsübergreifend für die Verlängerung des Rettungsprogramms für Griechenland. Die Regierung in Athen hat damit nun bis Ende Juni Zeit, das seit 2012 bestehende Programm zu Ende zu führen. In einem leidenschaftlichen Plädoyer erinnerte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vor der Abstimmung an die Verantwortung, die Deutschland angesichts seiner Geschichte für Europa habe: „Wir Deutsche sollten alles daran tun, dass wir Europa zusammenhalten, soweit wir es können, und zusammenführen, wieder und wieder.“ Mit der Entscheidung wird jedoch ein umstrittener Weg fortgesetzt. Umstritten deshalb, weil die durch die mit dem Programm auferlegten Maßnahmen die Wirtschaft geschwächt, die Schulden exorbitant in die Höhe getrieben und viele Menschen ins Elend gestürzt haben. Es ist mehr als zynisch, ein Programm, das zu einer humanitären Katastrophe führte, Rettungsprogramm zu nennen.
Dieser Beitrag widmet sich nicht den Hilfskrediten für Griechenland und den neuen Ideen der Regierung von Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis. Er beleuchtet viel mehr die materiellen und seelischen Schulden, die Deutschland im letzten Jahrhundert auch in Griechenland auf sich lud. Das durch den Regierungswechsel in Athen neu ausgelöste Ringen um Rettungsprogramme für Griechenland ist einem kommenden Artikel vorbehalten.
Schulden, die noch offen sind
Im Zentrum dieses Artikels geht es um die Weigerung der Bundesregierung, den Zwangskredit, zu dem die griechische Zentralbank 1942-44 von Nazi-Deutschland genötigt wurde, zurück zu zahlen. Doch wer die Rückzahlung dauerhaft mit juristisch umstrittenen Ansichten verweigert, lädt neue Schuld auf sich und befreit die Griechen, Europa und sich selbst nicht, von den Schatten der Vergangenheit. Denn Hitler und seine Entourage konnten die enormen Kriegskosten nur durch eine rücksichtslose Ausplünderung der eroberten und besetzten Länder Europas, insbesondere von Griechenland finanzieren.
Schuld, die eingestanden ist und für die um Vergebung gebeten wurde
Neben dem materiellen Schaden erlitt das griechische Volk durch die Gräueltaten der nationalsozialistischen Gewalttäter zusätzlich zu den unfassbaren menschlichen Verlusten schwere seelische Schäden. Das Ausmaß der Schäden können wir erahnen durch den offenen Brief von Manolis Glezios an den Bundespräsidenten Joachim Gauck, den er anlässlich des Besuchs des Bundespräsidenten in Griechenland am 3. März 2014 überreichte. Dort heißt es u.a. „Mehr als einhundert Massenmorde, denen Zehntausende von Zivilisten zum Opfer gefallen sind, hat die Nazi-Wehrmacht in Griechenland begangen. 1770 Dörfer wurden in unserem Land niedergebrannt, mehr als 400.000 Wohnhäuser in Schutt und Asche gelegt. So ist unser Land zum Schauplatz einer niemals zuvor gesehenen Tragödie geworden; kein anderes Land hat sie in diesem Umfang und in dieser Gestalt erlitten. Das führte dazu, dass Griechenland nach dem Ende der deutschen Besatzung weniger Einwohner zählte als vor deren Beginn: Bombardierungen, Massenhinrichtungen, Hungertote, Opfer von Epidemien und der Rückgang der Geburtenrate bewirkten einen dramatischen Bevölkerungsrückgang von 13,7%. Demgegenüber betrug der Bevölkerungsverlust der Sowjetunion 10%, von Polen 8% und der von Jugoslawien 6%. Gleichzeitig erlitt Griechenland eine unsagbare ökonomische Katastrophe: das Land wurde restlos ausgeplündert und seiner Reichtümer beraubt. Archäologische Altertümer und Kunstschätze wurden gestohlen und ins Deutsche Reich abtransportiert.
Gleichwohl hat unser Land bis heute, also 70 Jahre nach Ende der Besatzung, immer noch keine Wiedergutmachung erhalten. Und dies obwohl von Deutschland an alle anderen zerstörten Länder bereits Kriegsentschädigungen gezahlt wurden: an alle anderen – nur nicht an Griechenland! Warum? Auch der Besatzungszwangskredit wurde an Griechenland nicht zurückgezahlt – anders als an Polen und an Jugoslawien. Ebenso wenig wurden die geraubten archäologischen Güter und Kunstgegenstände von unschätzbarem Wert zurückgegeben. Warum? Wie erklärt sich diese nicht nachvollziehbare Haltung gegenüber unserem Land?“
Was mit den seelischen Schäden gemeint ist, hat auch Eleni Athanassiou, die als 9 jähriges Kind am 10. Juni 1944 das Massaker von Distomo überlebte, aufgeschrieben und 2013 unter der Titel „Der Tag, an dem es Nacht wurde“ als Buch veröffentlicht. Hierin beschreibt sie aus ihrer heutigen Sicht die Erinnerungen an das Massaker sowie ihre lebenslange Auseinandersetzung und Trauer. Dank des Buchs hören wir die Schreie derer, die mit ansehen mussten, wie ihre Kinder vor ihren Augen abgeschlachtet und ihnen ihre Gedärme um den Hals gewickelt wurden. Wir sehen, wie Säuglinge in den Armen ihrer Mutter erschossen wurden, und ihr Hirn ihnen ins Gesicht spritzte. Es sind Stunden des Terrors und des Schmerzes, die die kleinen Kinder erleben mussten, die die ganze Nacht neben ihren toten Eltern verweilt haben, in einem verlassenen Dorf voller Leichen. „Alles, was ich am 10. Juni 1044 sah und erlebte und was mein Leben gezeichnet hat, so Eleni Athanassiou, kehrt jedes Jahr am 10. Juni zurück und ich erlebe es erneut. Und obwohl ich die Hoffnung hegte, dass ich mit dem Vergehen der Zeit, die Geschehnisse vergessen würde, werden die Erinnerungen lebendiger. Jetzt verstehe ich die Ereignisse besser. Verstehe das Leid meiner Mutter und meiner Großmutter Vassiliki, die ihr Enkelchen die ganze Nacht umher trug, bis es in ihren Armen seine Seele aushauchte. Jetzt, wo auch ich Mutter und Großmutter geworden bin, kenne ich den Schmerz um das Kind und das Enkelkind. Dies alles sind Ereignisse, die einen plötzlich und zur falschen Zeit reifen lassen und deren schwere Last du bis ans Ende deines Lebens mit dir trägst.“
Der verantwortliche des Massakers in Distimo war Leutnant Heinz Zabel. Nach der Kapitulation der Deutschen, wurde er in Frankreich gefangen genommen und nach Griechenland ausgeliefert. Die zuständigen griechischen Stellen schickten ihn nach Deutschland, damit er auch für andere Kriegsverbrechen, verurteilt würde. Er wurde freigesprochen, mit der Begründung, dass er, nur Befehle befolgt hätte!
Ein Schuldner kann sich nicht einseitig von seinen Schulden befreien – auch Deutschland nicht
Kommen wir zurück zur Frage von Manolis Glezios: „Warum zahlt Deutschland insbesondere die aus dem Zwangskredit resultieren Schulden nicht an Griechenland zurück?“ Für das Bundesfinanzministerium sind mit dem Reparationsvertrag von 1960 und dem Zwei-plus-vier-Vertrag, der nach der deutschen Wiedervereinigung geschlossen wurde, abgegolten. Die Ansicht der Bundesregierung ist juristisch jedoch umstritten. So kommt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zu der klaren Aussage, dass die Auffassung der Bundesregierung nicht zwingend ist. Ein anderer Einspruch kommt vom deutsch-griechischen Historiker Hagen Fleischer. Seiner Ansicht nach falle der „Besatzungskredit“, den die deutschen Besatzer Griechenland 1942-44 abpressten, nicht unter die Reparationen. Berlin rechne ihn „wider besseres Wissen“ dazu. Die Reparationsforderungen wiederum habe Griechenland durchaus mehrfach vorgebracht. Nur war dies bis 1990 erfolglos, weil das Londoner Schuldenabkommen von 1953 die Bundesrepublik schützte. Um das neue demokratische Deutschland als „Bollwerk gegen die sowjetische Bedrohung“ aufbauen zu können, kappte der Haircut von London nicht nur die deutschen Vor- und Nachkriegsschulden. Es bestimmte zugleich, dass die Ansprüche aus dem Krieg selbst „bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage“ vertagt würden, nach alliierter Lesart unter anderem für den Fall der deutschen Wiedervereinigung – seither bemüht Berlin das umstrittene „Argument“, sie seien verjährt.
Der heutige Wert der Zwangsanleihe von 1942 wird von Fachleuten sehr unterschiedlich eingeschätzt: Die Berechnungen liegen zwischen drei und 64 Milliarden Euro. Nach einem vertraulichen Bericht einer Expertenkommission des griechischen Rechnungshofs sollen die griechischen Experten, wie die Zeitung To Vima berichtete, auf eine Zahl von elf Milliarden Euro kommen.[8][9] Andere Experten beziffern die Gesamtschulden Deutschlands gegenüber Griechenland mittlerweile auf bis zu 160 Milliarden [10] oder sogar auf 575 Milliarden Euro.[11]
Schuld und Schulden
Vor diesem Hintergrund war es vorherzusehen, dass sich der Bundespräsident bei seiner griechischen Reise nicht aus dem Spannungsfeld von Schuld und Begleichung der Schulden befreien konnte. Während Joachim Gauck von „moralischer Schuld“ sprach, erinnerte sein Gastgeber, der damalige griechische Präsident Karolos Papoulias, den Bundespräsidenten immer wieder daran, dass noch andere Schulden offen seien.
Fazit
Versöhnung kann der, der Schuld auf sich lud und Schulden machte, nur dann erwarten, wenn Schuld und Schulden einvernehmlich, also nicht durch einseitige Erklärungen, eingestanden und getilgt worden sind. Die Schuld wurde durch den Bundespräsidenten in seiner Rede mit „Scham und Schmerz“ beim Besuch des nordgriechischen Bergdorfs Lyngiades, das 1943 von Soldaten der Wehrmacht in einer Vergeltungsaktion zerstört worden war, eingestanden. Die Schulden sind allerdings noch zu tilgen, damit die Frage, „Warum zahlt Deutschland seine Schulden bei den Griechen nicht?“ in Zukunft nicht mehr gestellt werden kann.
Den Anfang für die Wiedergutmachung gegenüber dem griechischen Volk hat Bundespräsident Joachim Gauck gemacht. Die Bundesregierung darf sich nicht länger weigern, die offenen Schulden zu begleichen und Deutschland damit von den letzten Erblasten des nationalsozialistischen Terror-/Unrechtsstaates gegenüber den Griechen befreien.
Ich finde auch, dass die Fragen von Reparationsleistungen bzw. Rückzahlung des Zwangskredits politisch in Deutschland diskutiert werden müssten.
Allerdings stört mich die Vermengung dieses Themas mit der derzeitigen Schuldenkrise in Griechenland und den Problemen der europäischen Krisenpolitik. Selbst wenn Deutschland die griechischen Forderungen erfüllen würde, hätte das Land noch keine nachhaltige Perspektive.
Die Deutschen schulden vieles. Unser Geld, die Seelen, die gestorben sind, ohne jegliche Schuld, unsere Schätze und vieles mehr. Die Deutschen haben angefangen, nicht die Griechen!