Die Sache mit der Souveränität …
Die Sache mit der Souveränität …

Die Sache mit der Souveränität …

Ein Gastbeitrag von Joachim Paul

Herrje, schon wieder so was Abgehobenes! Wird’s jetzt womöglich wieder philosophisch? Kannst du, könnt ihr Piraten euch nicht mal zu konkreten politischen Problemen äußern? Solchen, die die Menschen auch berühren?

Ganz genau. Es verhält sich nur so, dass Kompliziertheit da nicht immer herauszuhalten ist. Das Universum ist halt keine einfache Angelegenheit. Und Politik schon gar nicht. Vor allem dann nicht, wenn die Kompliziertheit von Sachverhalten geradezu dazu benutzt wird, den Großteil der Bevölkerung hinter die sprichwörtliche Fichte zu führen.

Joseph Vogl kann das nicht nachgesagt werden, er ist eher im Dienste der Aufklärung unterwegs, und zwar genau dann, wenn’s kompliziert wird. Ende Februar 2015 erschien ein neues Werk des Literatur-, Kultur-, Medienwissenschaftlers und Philosophen, der aktuell an der Humboldt-Universität zu Berlin lehrt: „Der Souveränitätseffekt“. Hinter dem zunächst unspektakulär erscheinenden Titel verbirgt sich aber so etwas wie die Fortsetzung seines 2010 erschienenen und vielbeachteten Buchs „Das Gespenst des Kapitals“. Schon der Klappentext des neuen Buches verrät eine zentrale Schlussfolgerung:

„Souverän ist, wer eigene Risiken in Gefahren für andere zu verwandeln vermag und sich als Gläubiger letzter Instanz platziert.“

Wem jetzt die aktuelle Beziehung zwischen Deutschland und der EU-Administration auf der einen und der jungen griechischen Regierung Tsipras auf der anderen Seite einfällt, der liegt nicht so ganz falsch. Es geht nämlich um Finanzkapitalismus, genauer, um die Geschichte der Beziehung und der Verflechtungen von Politik und Wirtschaft. Von den Fuggern bis zur EZB. Dabei lässt Vogl den historischen Blick walten, er schreibt gewissermaßen eine Kulturgeschichte der Finanzmärkte und Banken als der eigentlichen Mächte, die jenseits der politischen Entscheidungsfindung Wege gefunden haben und immer noch finden, politisches Handeln nach ihren Interessen auszugestalten und zu formen – ohne demokratische Kontrolle.

„Gerade seine kulturwissenschaftliche Kompetenz“, so Birger Priddat im Berliner Tagesspiegel, öffne „den Blick auf das Jenseits rein funktionalistischer Behauptungen.“ Bei ihm (Vogl) kämen „zwei Qualitäten zur Geltung, die die Ökonomie nur noch selten aufbietet: historische Methode und Kontextsensibilität.“ „Der Souveränitätseffekt“ …. zeige, „wie sich Ökonomie und Politik zu einem oligarchischen System entfalten konnten, das zwar demokratische Systeme formal nutzt, aber letztlich die Märkte die entscheidenden Konstellationen generieren lässt, auf die Politik nur noch antworten kann.“ Vogl beschreibt das Entstehen einer neuen Form der Souveränität, die sich als „parademokratische Ausnahme positioniert“ und durch „Schulden und Schuldigkeit … soziale und politische Ordnungen an finanzökonomische Risikolagen“ anpasst.[Vogl]

In den Feuilletons der großen Printmedien lässt sich eine interessante Beobachtung machen. Auf der einen Seite, im schon erwähnten Tagesspiegel, in der Frankfurter Rundschau sowie im SWR-Radio folgen die Autoren den Analysen Vogls weitestgehend bestätigend. In der Süddeutschen vom 10.03.15 feiert Jens Bisky den Wissenschaftler geradezu ab.

Auf der anderen Seite stehen hier vornehmlich drei Zeitungen. In der FAZ wirft Werner Plumpe Vogl vor, das Pferd von hinten aufzuzäumen. „Die Lage“ sei „keineswegs ausweglos“ und es käme „vielmehr darauf an, politischer Vernunft das Wort zu reden.“ Also Unvernunft bei Vogl?

Vogl liefere dem konkreten staatlichen Handeln sogar noch die Argumente, hinter denen es sich verstecken könne, lautet der Vorwurf. Denn gerade von dort aus der Politik kämen immer lautere Forderungen nach einem Ende der vermeintlichen Austeritätspolitik, also nach einem Weiterdrehen an der Schuldenschraube, das ja erst die Lage geschaffen habe, in der die Weltwirtschaft sich derzeit befinde.

Der Ausdruck „vermeintliche Austeritätspolitik“ wirkt hier nicht nur zynisch, er ist auch eine journalistische Klitterung ersten Grades.

Und in DIE ZEIT Nr. 10/2015 fährt Alexander Cammann ganz schweres Geschütz gegen den Wissenschaftler auf. Die „gefährliche Brisanz“ dieses Buches ergebe sich dadurch, dass „Vogls Engführung von Finanzmacht, Politik und Souveränität“ … „in der Konsequenz auf nichts anderes als die Delegitimierung der Neuzeit hinaus“ laufe. „Denn wenn Vogl recht hätte“, so Cammann, „dann hätten die modernen westlichen Gesellschaften zwischen 1600 und 1700 einen zunächst kaum sichtbaren Irrweg eingeschlagen, der heute in der totalitären Macht der Finanzökonomie kulminierte.“

Ja und? Was will der Rezensent? Historisch geleitete Betrachtungen von möglicherweise tieferen Zusammenhängen unterbinden? Ohne dem Kritiker des Buches Böses zu wollen, aber das grenzt schon an ein Denkverbot.

In DIE WELT vom 07.03.15 schießt Alan Posener entgültig „den Vogl“ ab, bzw. versucht es zumindest. „Ausgerechnet ein Literaturwissenschaftler“ … der „behauptet, dass er den Schuldendurchblick hat“, doziere über Finanzmärkte. Das ist schon von den Formulierungen her starker Tobak und klingt nach „Schuster, bleib bei deinen Leisten“. Du sollst dich nicht kümmern, du sollst dort nicht denken, andere können das besser. Überlasse das uns.

„Nicht nur Banker und Wirtschaftslobbyisten haben sich Einfluss auf die Politik verschafft“, führt Posener an, „sondern auch Gewerkschaften, Sozialverbände und NGOs aller Art. Deren Einfluss“ schränke „die Souveränität moderner Staaten mindestens ebenso ein wie das Finanzkapital.“ Haha. Na dann. Er sollte mal nur die Kontenstände vergleichen.

DIE ZEIT, die FAZ und DIE WELT erklären sich hier durch ihre Rezensionen zu Verteidigern der neoliberalen Theologie der Märkte. Diese lebt davon, dass der Großteil der Bevölkerungen unserer demokratischen Nationen nicht wirklich nachvollziehen kann, was im Interferenzfeld von Politik und Ökonomie so alles getrieben wird. Die Rezensenten nehmen, koste es, was es wolle, eine Verteidigungshaltung für den schönen Schein ein. Das Bild des Staates, in dem es weitgehend demokratisch zugehe, soll um jeden Preis aufrecht erhalten werden, auch um den Preis rhetorischer Unflätigkeiten einem renommierten und vor allem unabhängigen Denker gegenüber.

Du kannst es nicht Vogl, also lass es doch.

Schon Henry Ford, der Begründer der Ford Motor Company, wusste: „Eigentlich ist es gut, dass die Menschen der Nation unser Banken- und Geldsystem nicht verstehen. Würden sie es nämlich, so hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh.”

Ein hübscher Seiteneffekt, die Kritiker der drei großen Blätter werfen Vogl auch noch irgendwie Einseitigkeit vor, jedoch an verschiedenen thematischen Stellen! Somit löst sich in der Gesamtschau der Kritiken der vielfältige Vorwurf der Einseitigkeit sogleich in ein Logikwölkchen auf.

Vogl hat ins Schwarze getroffen. Als Literaturwissenschaftler. Die Reaktionen in den drei genannten Blättern zeugen von dem Wirkungstreffer, es sind die Reaktionen Angeschossener. Gut so.

Da ließen sich noch weitere Treffer draufsetzen. Z.B. die des Naturwissenschaftlers, der den 2. Hauptsatz der Thermodynamik kennt und mit Staunen bemerkt, dass in den neoklassischen Wirtschaftsmodellen, d.h. in der neoliberalen Marktrationalität, Energie eine beliebig kapitalisierbare Größe ist. Und wenn ein Rohstoff nicht mehr oder nur knapp verfügbar ist, wie z.B. Lanthan, dann wird in den Modellen irgendwann „substituiert“. Substitution ist das Zauberwort, und zwar, um weiterzurechnen. Wohin bitte?

Jüngst hielt der Jurist Axel Flessner einen Vortrag vor der Max-Planck-Gesellschaft und brachte einen weiteren dritten Aspekt in die Diskussion um Freihandelsabkommen und Investitionsschutz ein, den der Verfassungsmäßigkeit. Er belegt Vogls Thesen, durch ein konkretes und aktuelles juristisches Beispiel, das zeigt, wie Demokratie unterlaufen wird.

Und was heißt das jetzt für Netzpolitiker, für die Frage nach der netzpolitischen Souveränität sowie der des individuellen Mitglieds einer „demokratischen“ Gesellschaft? Es heißt, dass ökonomische Effekte sowie Effekte der ökonomischen Macht immer mit zu berücksichtigen sind.

Also Schluss mit netzpolitischen Sandkastenspielchen.

Weitere Kandidaten für Wirkungstreffer:

Dieter Claessens: Kapitalismus und demokratische Kultur
Günter Dux: Demokratie als Lebensform
Oskar Negt: Nur noch Utopien sind realistisch
Thilo Bode: TTIP, Die Freihandelslüge

 

2 Kommentare

  1. Chriz

    Alles nichts Neues. Im Grunde wird die Wahrheit schon im Film „Wall Street“ von 1987 erzählt. Geld regiert die Welt.

    Hätten, wären, würden die Kritiker am System nicht ständig als Verschwörungstheoretiker verunglimpft vor allem auch innerhalb der Piratenpartei, hätte wäre würde eine Chance bestanden haben.

    Nun bleibt nur noch hinsetzen und zuschauen wie die letzte Schlacht reich gegen arm geführt wird.

  2. globelix

    Die Geldordnung legt die maßgeblichen Rahmenbedingungen und Möglichkeiten für die Wirtschafts- Steuer- und Sozialsysteme einer Gesellschaft fest.
    Wir müssen das endlich realisieren.
    Wir müssen genau dort ansetzen statt uns zu wundern wieso es Arbeitslose, Staatsschulden und Migrationen gibt.

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