Die an der Universität Regensburg verfasste Masterarbeit Niemals offline. Lebensstil und Identitätskonstruktion von Mitgliedern der „Piratenpartei Deutschland“ in kulturwissenschaftlicher Perspektive von Tanja Bartsch, alias Kniepert, beleuchtet Piraten aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive. Der Fokus liegt hierbei auf dem individuellen Empfinden Einzelner, die nicht als repräsentativ betrachtet werden, sondern es erlauben, auf vorhandene Typen und Typologien bei Piraten zu schließen. Daher wird ein Methodenmix angewendet, der neben qualitativen Interviews sowie der in der Feldforschung verwendeten Methode der teilnehmenden Beobachtung auch Blogbeiträge der Interviewpartner u.ä. berücksichtigt. Aus den Ergebnissen im Hinblick auf Lebensstil und der Identitätskonstruktion der Interviewpartner können so Schlussfolgerungen über allgemeine kulturelle Prozesse gezogen werden.
Zunächst werden in der Arbeit die Interviewpartner vorgestellt, um dem Leser Hintergrundinformationen zu geben, und das Forschungsdesign wird erläutert. Als Grundlage werden daraufhin die Themen Lebensstil und Identitätskonstruktion in ihrer wissenschaftlichen Bedeutung – einschließlich ihrer speziellen Rolle in der Kulturwissenschaft – erläutert und anschließend auf den konkreten Fall der Piraten angewendet. Dafür werden theoretische Annahmen gemacht und mit den in qualitativen Interviews gewonnenen Aussage verglichen.
Wie anzunehmen war, haben das Internet und internetfähige Geräte eine große Bedeutung für das Leben der Interviewpartner. Es wird dabei untersucht, welche Inhalte die Befragten ins Internet stellen und wie viel Zeit sie im Netz verbringen. Auch wie sie soziale Netzwerke aufbauen, dass sie neben analogen Gesprächen auch viel digital kommunizieren und beide Bereiche meist als zusammengehörige Kommunikationsformen betrachten, ist für den Lebensstil von Interesse. Dabei zeigt sich, dass die Raum- und Zeitwahrnehmung der untersuchten Piraten ebenfalls von IT-Technologien beeinflusst wird, da sie nicht an fixe Grenzen gebunden sind, um sich zu informieren oder miteinander in Kontakt zu treten.
Im Bereich der Identitätskonstruktion wird deutlich, dass sich die Hälfte der Interviewpartner als „Nerd“ betrachtet, die andere Hälfte jedoch nicht. Solche Selbsteinschätzungen scheinen auch vom sozialen Umfeld abzuhängen, wie etwa von der Nähe zum Chaos Computer Club. Gemeinsam ist jedoch allen Interviewpartnern, dass sie das Internet als einen „Schutzraum“ sehen, in dem man Gleichgesinnte finden kann und der vor Einschränkungen durch die Politik unbedingt bewahrt werden muss. Darüber hinaus nehmen sie alle das Internet als Möglichkeit wahr, die Welt zu verbessern. Sei es weil durch Anonymität Diskriminierung entgegen gewirkt wird, es grenzenlose Kommunikation erlaubt oder weil man im Internet einen Einblick in die Lebenswelt anderer Menschen erhalten kann.
Mit ihrem Aufbau und ihrer identitätsstiftenden Wirkung, kann man die Piratenpartei auch als Szene betrachten, der man nicht einfach beitritt wie einem Verein. Vielmehr haben alle Interviewpartner die Erfahrung gemacht, dass sie sich in diesem Umfeld aufgrund gemeinsamer Ansichten und Lebensweisen gut aufgehoben fühlen und auch ohne Mitgliedsausweis teilhaben können. Das Zusammengehörigkeitsgefühl gründet daher auch nicht einfach auf der Mitgliedschaft, sondern auf gemeinsamen Identifikationssymbolen und einer begrenzten Anzahl von Deutungsmusterangeboten. Es ist auch mit den geteilten Interessen zu begründen, dass es viele personelle Überschneidungen zu anderen Gruppierungen einer gemeinsamen „Internet-Szene“ gibt.
Bei den befragen Piraten lassen sich insgesamt mehrere Indikatoren für kulturelle Prozesse, die unsere Gesellschaft heutzutage prägen, feststellen: Zunächst weist die Piratenpartei als Szene auf die schwindende Bedeutung von Tradition hin, da man nicht mehr einfach in feste Strukturen hineingeboren wird oder ein Leben lang in einem Berufsstand oder einem Verein Mitglied wird. Stattdessen sucht man Gleichgesinnte – gerne auch in verschiedenen Gruppierungen – und arbeitet zusammen, solange man gemeinsame Interessen und Ziele sieht. Dank des Internets werden bei dieser Zusammenarbeit auch räumliche Grenzen überwunden und das Internet wird als chancenreiche Alltagswelt wahrgenommen, die jeder individuell nutzen kann. Der hierarchische Aufbau und die Kommunikationsformen, die in der Piratenpartei üblich sind, zeugen zudem von einer voranschreitenden Demokratisierung, da Teilhabe und Entscheidungsmöglichkeiten nicht auf klar definierte Eliten beschränkt sind.
Die Masterarbeit liefert zahlreiche Anknüpfungspunkte für weiterreichende Forschung. Dabei sollte die Forschung – etwa im Feld der Politikwissenschaft oder der Sozialwissenschaften allgemein – die Entwicklung der Piratenpartei im Auge behalten. Darüber hinaus ist es aber auch weiterhin eine Aufgabe der Kulturwissenschaft, die Rolle des Internets in der Lebenswelt des Einzelnen tiefergehend zu erforschen und hier stattfindende kulturelle Prozesse zu beobachten.
Masterarbeit von Tanja Bartsch: Niemals offline. Lebensstil und Identitätskonstruktion von Mitgliedern der Piratenpartei Deutschland