Die Ökosoziale Marktwirtschaft – ein Kompromiss zwischen Kapitalismus und Kommunismus
Die Ökosoziale Marktwirtschaft – ein Kompromiss zwischen Kapitalismus und Kommunismus

Die Ökosoziale Marktwirtschaft – ein Kompromiss zwischen Kapitalismus und Kommunismus

Ein Beitrag von Heiko Schröder, PhD

Viele charakterisieren den Kapitalismus mit „Profit ist alles“. Das war aber mit Sicherheit nicht die Idee des Vaters des Kapitalismus Adam Smith; denn der war auch Philosoph und Humanist. Adam Smith sagte, dass eine Gesellschaft ohne Gerechtigkeit nicht überlebensfähig ist. Er war davon überzeugt, dass Menschen niemals ihr Eigeninteresse über das Interesse vieler stellen würden – das war ein fataler Irrtum.

Vielleicht machen vor allem Eigeninitiative und die Möglichkeit, sich im Rahmen vorgegebener Regeln Vorteile zu verschaffen, ein kapitalistisches System erfolgreich. Kapitalismus sollte, und so hat es auch schon Adam Smith gesehen, immer als das Paar aus freiem egoistischen Handeln und den dazugehörigen Regeln, dem Rahmen, verstanden werden. Der Staat muss den Rahmen setzen und muss verhindern, dass der freie Markt (viele, zu viele, irgendwelche) negative Effekte auf die Gemeinschaft ausübt. Wenn der Rahmen des Kapitalismus durch eine Demokratie gesetzt wird, dann nenne ich ihn den Demokratischen Kapitalismus.

Adam Smith war davon überzeugt, dass Kapitalismus zu Gerechtigkeit führt. Ob Kapitalismus wirklich zu Gerechtigkeit führt, wird aber durch seinen Rahmen bestimmt. Ich werde im Folgenden deshalb stets den Demokratischen Kapitalismus betrachten. Kapitalismus ohne einen starken regelnden Rahmen – und das ist sehr wichtig – führt nicht zu Gerechtigkeit und einen solchen Kapitalismus hat Adam Smith nicht gewollt.

Der Professor für Demokratie, Menschenrechte und Journalismus, Ian Buruma schreibt in “Kapitalismus – Russland und China versuchen es ohne Demokratie”: “Ohne Demokratie kann Kapitalismus zu einem destruktiven System werden”. Kevin Albertson schreibt in Makronom, einem Online-Magazin für Wirtschaftspolitik in dem Essay

“Ist eine kapitalistische Demokratie überhaupt möglich?”: “Weil der Kapitalismus genauso destruktiv wie konstruktiv sein kann, muss er von moralischen und demokratischen Prinzipien begrenzt werden”.

Streminger zitiert Smith mit: “Menschen sind mehrdimensionale Wesen, die sich nicht nur an der eigenen Besserstellung erfreuen, sondern auch persönlichen Gefallen daran finden, wenn es anderen gut geht und der Tausch von Gütern gerecht und fair erfolgt.” Nach Streminger galt für Smith außerdem: “Eine Gesellschaft ohne starken Staat kann genauso wenig funktionieren wie eine Gesellschaft ohne freien Markt”. Wenn wir also den Demokratischen Kapitalismus wollen, so heißt das, dass die demokratisch gewählte Regierung mit starken Maßnahmen einen Rahmen definieren muss, der Ungerechtigkeit beschränkt. Die Demokratie muss stark sein.

Der Kommunismus musste kommen

Gerade in der Anfangszeit des Kapitalismus, war dieser Rahmen aber sehr schwach, was oft zur Ausbeutung der Arbeiter führte. Mit seinem Hauptwerk Das Kapital formulierte Marx eine umfassende Kritik der politischen Ökonomie (Untertitel). Er analysierte hier die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus, die auf der grundlegenden Spaltung der Gesellschaft in Kapitaleigner (Kapitalisten) und Lohnarbeiter beruhe.

Die Grundbedeutung (von Kommunismus) war, … die Gesellschaften dem “Gesetz des Profits” zu entziehen. Zu seiner Zeit – Marx lebte von 1818 bis 1883 und schrieb “Das Kapital” 1867 – galt beschrieben in der Geschichte der Gewerkschaften unter dem Titel “Ausbeutung und Massenelend”: “Schutzlos sind Arbeiterinnen, Arbeiter und Kinder den Fabrikherren ausgeliefert. Sie leben mit ihren Familien in viel zu kleinen Wohnungen. Sie sind unterernährt, die hygienischen Bedingungen verheerend. Krankheiten wie Tuberkulose breiten sich rasant aus. … Schnell gibt es in den industriellen Ballungszentren mehr Arbeitssuchende als Stellen, die Konkurrenz unter Arbeiterinnen und Arbeitern wächst.

Eine bequeme Situation für die Fabrikherren: Sie diktieren Arbeitszeit und Löhne: 14 bis 16 Stunden an sechs Tagen pro Woche sind bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Regel. Die Bruttoreallöhne sinken in den 1870er Jahren unter das Niveau der frühen Jahre des 19. Jahrhunderts.”

Die Erwartung von Adam Smith, dass Kapitalismus zu Gerechtigkeit führt, hatte sich zu dieser Zeit nicht bewahrheitet. Zu dieser Zeit war es überzeugend, dass die Gesellschaft dem Gesetz des Profits entzogen werden musste. Es erschien geradezu notwendig, den Kapitalismus abzuschaffen und durch ein besseres/gerechteres System, den Kommunismus, zu ersetzen, wie Karl Marx es in “Das Kapital” beschrieb. Die Grundidee des Kommunismus war, Gerechtigkeit anzustreben in einem System, in dem jeder Mensch nach seiner Befähigung arbeiten und nach seinen Notwendigkeiten vom gemeinsam „Gesammelten und Erarbeiteten“ nehmen kann.

Lenin unterschied anknüpfend an Marx zwischen einer niederen und höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, wobei die erste als Sozialismus (Diktatur des Proletariats), die zweite als Kommunismus (klassenlose Gesellschaft) bezeichnet wurde. Der sozialistischen Phase wird die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und Entlohnung nach Leistung zugeordnet, der kommunistischen das Bedürfnisprinzip.

Sozialismus kann definiert werden als Gegenmodell zum Kapitalismus entwickelte politische Lehre, die bestehende gesellschaftliche Verhältnisse mit dem Ziel sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit verändern will, und eine nach diesen Prinzipien organisierte Gesellschaftsordnung sowie eine politische Bewegung, die diese Gesellschaftsordnung anstrebt.

Zuerst Kommunismus dann Kapitalismus

Real-sozialistische Systeme wie die Sowjetunion, China und die DDR hinkten obigen Idealen aber weit hinterher und so entstand das Zitat: “Wer mit 20 Jahren kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer mit 30 Jahren noch Kommunist ist, hat keinen Verstand!” Dieses Zitat gibt es in verschiedenen Versionen, wobei das Wort Kommunist mal durch Sozialist, durch Liberaler oder auch durch Revolutionär ersetzt wird. Und die Gegenseite wird mal als konservativ bezeichnet. Auch die Jahreszahlen in diesen Zitaten sind nicht immer 20 und 30, sie sind auch mal mit 20 und 40, mal 19 und 40, mal 16 und 40 und einmal mit jung und mittleres Alter angegeben. In jedem Fall ist die Idee, dass wir im Alter konservativer, vorsichtiger und etwas weiser werden. Und die Idee ist auch, dass beide Seiten Verständnis füreinander haben sollten, denn natürlich sollten wir alle sowohl mit Herz als auch mit Verstand an politische Entscheidungen herangehen.

Unser “Herz” will Gerechtigkeit

Sowohl Marx und Engels, die Väter des Kommunismus, als auch Smith, der dem Kapitalismus eine theoretische Grundlage verschaffte, hatten die Vorstellung und Absicht, ein System zu schaffen, dass zu Gerechtigkeit führt. Es ist eigentlich erstaunlich, dass sich diese beiden Ideen zu total unterschiedlichen Lagern entwickelt haben, die sich gegenseitig bekämpfen und kaum miteinander reden können.

Es wird gemeinhin als gerecht empfunden, wenn unterschiedliche Leistungen unterschiedlich honoriert werden – Leistungsgerechtigkeit. Das bedeutet umgekehrt, gleicher Lohn für gleiche Leistung.

Eine Gesellschaft hat dann Chancengleichheit oder Chancengerechtigkeit realisiert, wenn unabhängig von den differenzierten Merkmalen von Gruppen oder Individuen alle die gleichen Möglichkeiten haben, gesellschaftliches Ansehen, oder Einkommen zu erzielen und ein sozialer Aufstieg grundsätzlich möglich ist.

Der Staat hat zur Sicherung des sozialen Friedens die Aufgabe, denjenigen, die unter Leistungsgesichtspunkten keine auskömmliche gesellschaftliche Anerkennung erzielen können, die minimalen Mittel zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zur Verfügung zu stellen – Bedarfsgerechtigkeit. Die sozial Schwachen sollen zur Erhaltung des sozialen Friedens durch den Staat aufgefangen werden.

Bei der Verteilungsgerechtigkeit sollen weit auseinanderklaffende gesellschaftliche Bezüge oder soziale Unterschiede zugunsten der Schwächeren umgeschichtet werden. Dies ist zum Beispiel die Grundlage für die Diskussion über unmoralisch hohe Managervergütungen aber auch bei der Kritik an der Bündelung von enormen Vermögen bei wenigen Leuten.

Diese vier Arten der Gerechtigkeit stehen im Konflikt zueinander. Wer Gleichheit anstrebt, möchte zwar Bedarfsgerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit aber Leistungsgerechtigkeit und auch Chancengerechtigkeit erlauben/fördern Ungleichheit. Somit erfühlen wir absolute Gleichheit oft nicht als Gerechtigkeit, aber wir wollen ein Mindestmaß an Gleichheit. Stefan Hradil schreibt: “So dient ein Mindestmaß an Bedarfsbefriedigung und sozialer Gleichheit – Ralf Dahrendorf nannte dies einmal den Fußboden und die Decke, die jede Gesellschaft benötigt – der Realisierung von Chancen- und Leistungsgerechtigkeit.”

Welche Gerechtigkeit ist besonders wichtig?

Alle diese Formen der Gerechtigkeit werden sowohl im Real-sozialismus als auch im Demokratischen Kapitalismus angestrebt – und in beiden nicht erreicht. Die Leistungsgerechtigkeit ist zentral im sozialistischen System, kann aber nicht erreicht werden, zum Teil weil wir nicht in der Lage sind verschiedenste Leistungen fair zu vergleichen. Wir können zwar Arbeitszeiten vergleichen, aber ist die Leistung eines Läufers dieselbe, wie die eines Musikers oder eines Büroangestellten? Wann bringt ein Schweißer die gleiche Leistung wie ein Blumenverkäufer. Ist der Verkauf von Blumen überhaupt wichtig für die Gesellschaft? Ist Kunst wichtig? Ist Leistungssport wichtig? Wie groß ist die Leistung eines Unternehmers, der sein Kapital investiert, um eine Fabrik aufzubauen? Wie groß ist die Leistung des Unternehmers, der in andere Unternehmen investiert, oder mit dem Handel von Aktien reich wird? Wie können diese Leistungen verglichen werden? Leistung muss anerkannt werden und immer wieder neu diskutiert werden.

Auch im Demokratischen Kapitalismus wird Leistungsgerechtigkeit viel diskutiert. Gerade jetzt in der Corona-Krise wird auf die schlechte Bezahlung von Pflegepersonal hingewiesen. Die Berufe wie Müllabfuhr und Zugführer haben es verhältnismäßig leicht Lohnforderungen durchzusetzen, aber weniger wegen ihrer Leistung, sondern eher, weil viele von ihren Diensten abhängen. Die Sparten mit geringerem Einkommen, können oft nach erfolgreichen Tarifabschlüssen einer anderen Sparte mit ähnlichen Steigerungsraten nachziehen, insbesondere, weil andernfalls es naheliegend ist, dass Arbeitnehmer aus geringer bezahlten Berufen, in die besser bezahlten wechseln.

Wir ordnen uns alle in dem weiten Spektrum zwischen diesen verschiedenen Formen der Gerechtigkeit ein. Für die einen sind Bedarfsgerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit wichtiger als Leistungsgerechtigkeit und Chancengleichheit und andere sehen es eher umgekehrt?  Wir alle wollen Gerechtigkeit und haben verschiedene Vorstellungen davon, was gerecht ist.

Wollen wir Kommunismus oder Kapitalismus?

Die jetzt existierenden Systeme Demokratischer Kapitalismus und Real-Sozialismus haben alle einen hohen Grad an Ungerechtigkeit. Diese Ungerechtigkeit zeigt sich unter anderem durch den Gini-Index (Gini-Koeffizient 0 bedeutet Gleichverteilung, Gini-Koeffizient 1 bedeutet aller Besitz ist in einer Hand. Multipliziert man den Gini-Koeffizienten mit 100, erhält man den Gini-Index). Dazu sollte man wissen, dass auch bei gleichem Gini-Index zweier Staaten der Grad der Gerechtigkeit etwas unterschiedlich sein kann.

Gemessen am Gini-Index hat China eine wesentlich ungerechtere Einkommensverteilung als alle europäischen Staaten. So ist das Verhältnis der Einkommen der 10 % Reichsten zu der 10 % Ärmsten in Deutschland 6,9 (Gini-Index 31,1) während es in China 16,4 (Gini-Index 42,2) ist. In der Ukraine ist es zurzeit mit 4,9 (Gini-Index 26,1) am kleinsten weltweit. Damit ist natürlich gar nicht gesagt, dass es viele Menschen gibt, die lieber aus Deutschland in die Ukraine ziehen würden, denn für diese Entscheidung ist auch das Durchschnittseinkommen wichtig. Das Durchschnittsjahreseinkommen in der Ukraine beträgt 3.010 €, in China 9.299 € und in Deutschland 43.394 € pro Jahr. Für Deutsche wäre Norwegen ein interessantes Einwanderungsland mit den Werten 6,4 und 27,5 und einem Durchschnittseinkommen von 73.694 €. Den meisten von uns erscheint Norwegen wesentlich gerechter als die Ukraine. Weitere kapitalistische Demokratien mit niedrigem Gini-Index sind Finnland (5,7 und 27,1) und Belgien (7,5 und 25,7).

Ob es in einem Staat gerecht zugeht, hängt nicht nur von Einkommensverhältnissen und dem Wirtschaftssystem ab, sondern auch ganz stark (oder vermutlich sogar stärker) von der Verteilung der Arbeitsbelastung, der Chancengleichheit bei der Ausbildung und Berufswahl und vor allem von der persönlichen Freiheit und einem guten Rechtssystem ab. Ein funktionierendes Rechtssystem und persönliche Freiheit und alles, was man Fairness nennt, wollten vermutlich sowohl Adam Smith als auch Karl Marx. Aber die real-sozialistischen Systeme, wie China heute, und 1980 die DDR und die UDSSR gewährten ihren Bürgern deutlich weniger Freiheiten und die Chancen auf eine gute Berufslaufbahn hängen heute in China und hingen 1980 in der DDR und der UDSSR sehr von der eigenen politischen Einstellung ab, was die Freiheit für kritische Bürger stark einschränkte.

Mehr Gerechtigkeit im Kapitalismus und im Real-Sozialismus

Der Weg vom Real-Sozialismus zum Kommunismus ist beschwerlich; denn alle Produktionsmittel und Erzeugnisse müssen in das gemeinsame Eigentum der Staatsbürger übergehen und alle Klassengegensätze müssen überwunden werden. Es ist keineswegs klar, ob dieser Weg ohne Revolution begehbar ist; denn real-sozialistische Systeme sind nicht demokratisch und die jetzigen Machthaber wollen ihr Macht und Vorteile wohl eher nicht freiwillig abgeben. Die Revolution war ja auch das Mittel, welches zur Umwandlung kapitalistischer Länder in real-sozialistische Länder benutzt wurde. Die chinesische Kulturrevolution, die 10 Jahre dauerte und kaum die versprochenen Ziele erreichte und auch die Oktoberrevolution dauerte mehrere Jahre und endete 1922 mit der Gründung der Sowjetunion, einer Diktatur, der Kommunistischen Partei Russland.

Im demokratischen Kapitalismus kann auf friedlichem Wege wesentlich mehr Verteilungsgerechtigkeit (Reduktion des Gini-Koeffizienten) und sogar ein ökosozialer Staat geschaffen werden. Es geht also darum, dass Mehrheiten in einem demokratischen Staat sich darauf einigen, welche Gerechtigkeit sie wollen, wie viel Gerechtigkeit sie wollen, und wie sie sie erreichen wollen. Wenn die Mehrheit es will, kann in einer Demokratie der Übergang vom Raubtierkapitalismus, zur sozialen Marktwirtschaft und weiter zur Ökosozialen Marktwirtschaft gelingen.

Welche Schritte dies bewirken können, will ich im Folgenden skizzieren. Dabei interessiert mich die Frage, wie weit eine solche Entwicklung gehen kann, ob am Ende ein System stehen kann, mit dem auch Menschen kommunistischer Überzeugung zufrieden sein könnten, was bedeuten würde, dass Kapitalismus und Kommunismus in ihren Zielen recht nahe sind.

Das gute und schlechte am Kapitalismus

Kapitalismus wird von vielen etwa so beschrieben: Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht. Das drückt eine wesentliche Idee des Kapitalismus aus, nämlich dass das System auch und sogar gut funktioniert, wenn jeder aus Selbstinteresse heraus handelt. Manche glauben daran und andere sagen es zynisch, weil sie sehen, wie viel Unrecht es in kapitalistischen Systemen gibt. Was ist Kapitalismus denn eigentlich genau? Auf diese Frage hat fast jeder eine Antwort, aber die Antworten sind sehr verschieden.

Jean Ziegler schreibt: Der Kapitalismus ist als „kannibalische Weltordnung“ nicht reformierbar. Ziegler wird durch vieles bestätigt: Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich, die Gewerkschaften verlieren ihre Macht. Die Umwelt wird zerstört und der Klimawandel ist in vollem Gange.

Im Schwarzbuch Kapitalismus zieht Robert Kurz das Fazit, dass der Kapitalismus auf seine eigene Selbstvernichtung zulaufe, die auch in einer Zerstörung der menschlichen Gesellschaft enden könne. Um dieser Gefahr entgegenzutreten, müssten „radikale theoretische Kritik und Rebellion zusammenkommen“.

Alexander Neubacher aber schreibt: Mein Eindruck ist, dass die Kapitalismuskritik einem Missverständnis aufsitzt. Vie­le Kli­ma­schüt­zer glau­ben, der Ka­pi­ta­lis­mus be­ru­he auf Res­sour­cen­ver­schwen­dung. Das ist ein Irr­tum. Der Ka­pi­ta­lis­mus ist die Kunst des Man­gels. Wenn es dar­um geht, mit be­grenz­ten Mit­teln klug um­zu­ge­hen, ist der Ka­pi­ta­lis­mus un­schlag­bar. Wer binnen weniger Jahrzehnte 90 Prozent CO2 einsparen will, braucht neue Technologien. Man sollte nicht gegen den Kapitalismus demonstrieren, sondern dafür.

Es gibt mehrere Namen für verschiedene Formen des Kapitalismus, die nicht dem Bürger, sondern nur einer kleinen Elite dienen: Turbokapitalismus, Hyperkapitalismus, Raubtierkapitalismus, Killerkapitalismus, Neoliberalismus, Marktradikalismus. Sie dienen nicht der Mehrheit und stehen offensichtlich im Gegensatz zum demokratischen Kapitalismus. Sie alle sind Formen des Kapitalismus, die staatliche Eingriffe in die Wirtschaft nicht ganz ablehnen, aber auf ein Minimum beschränken – diese Formen des Kapitalismus entstehen, wenn der Staat keinen starken Rahmen setzt, wie Adam Smith es verlangt hat.

Ein gerechter Kapitalismus – geht das?

Wie gerecht oder wie ungerecht es in einem kapitalistischen System zugeht, wird durch ihren Rahmen bestimmt. Anselm Görres, Vorsitzender des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, sagt über Adam Smith: “Für mich bleibt er bis heute aktuell als Visionär einer Gesellschaft, in der ein aufgeklärter Eigennutz, gebändigt von vernünftigen Regeln und Institutionen (ein Rahmen), ein friedliches Zusammenleben in Freiheit und Wohlstand erlauben.”

In diesem Sinne, und das ist sicher auch im Sinne von Adam Smith, ist soziale Marktwirtschaft eine Variante des Kapitalismus. Der Rahmen, den die soziale Marktwirtschaft setzt, verbindet die Freiheit auf dem Markt mit dem sozialen Ausgleich, also mit dem Streben nach Gerechtigkeit. Die zurzeit existierenden kapitalistischen Demokratien sollte man vielleicht Real-Demokratien nennen (so wie wir von Real-Sozialismus reden), weil in beiden sehr viel geschieht, was die Mehrheit der Bevölkerung nicht beschließen würde. Insbesondere öffnet sich seit mehreren Dekaden die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter. Es gibt viele Milliardäre, was unter der Idee der Leistungsgerechtigkeit kaum zu rechtfertigen ist. In vielen westlichen Demokratien gibt es teure Privatschulen. Es gibt private Krankenversicherungen. Es gibt private Krankenbetten. Es ist also offensichtlich, dass die Kräfteverhältnisse in unseren Demokratien nicht nur durch Stimmenzahl bestimmt sind.

So ist es nicht verwunderlich, dass die soziale Marktwirtschaft noch wesentlich sozialer gestaltet werden kann und sollte, als sie zurzeit in Deutschland realisiert ist. Schon Ludwig Erhard propagierte das Konzept des Volkskapitalismus und versuchte damit eine freiere und gleichere Gesellschaft zu schaffen. Seine Vorstellung der breiten Vermögensbildung begründete Erhard wie folgt: „Wenn schon mit der Entfaltung der modernen Technik eine Konzentration der Produktionsmittel unvermeidlich ist, dann muss dieser Prozess ein bewusster und aktiver Wille zu einem breit gestreuten, aber echten Miteigentum an jenem volkswirtschaftlichen Produktivkapital entgegengesetzt werden.”

Natürlich könnte der Staat die Rahmenbedingungen noch wesentlich weiter verändern, um mehr soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten, zum Beispiel durch wesentlich erhöhte stark progressive Erbschaftssteuer, durch Vermögenssteuer und durch progressivere Einkommensteuer. Eine Finanztransaktionssteuer wäre sicher sehr wirksam, um Spekulationen zu verringern. Es könnte durchgesetzt werden, dass Firmeneigner nur ein Gehalt von der eigenen Firma erhalten dürfen und dass Gewinne reinvestiert oder ausgeschüttet werden müssen. Es könnten die Einkommensunterschiede innerhalb von Firmen festgelegt, oder große Einkommensunterschiede könnten progressiv besteuert werden. Um aber aufrecht zu halten, dass es sich lohnt Hochleistungen zu erbringen und Risiken einzugehen, darf Steuer nicht so progressiv sein, dass die meisten ihren Einsatz nicht mehr für lohnenswert erachten.

Der Weg zu Einkommensgerechtigkeit

Christian Felber macht im Rahmen seiner Vorträge regelmäßig Umfragen: Wenn der Mindestlohn bei 12.000 € jährlich liegt, wie viel höher darf dann das höchste Gehalt in der Firma sein. Das Ergebnis dieser Umfragen ist meist recht ähnlich. Überwiegend halten die Befragten maximal einen Faktor 10 für gerecht. Ich nenne diesen Faktor den Ungerechtigkeitsfaktor, nicht Gerechtigkeitsfaktor, weil mit wachsendem Wert die Ungerechtigkeit wächst. Wenn der Firmeneigner auch Gehaltsempfänger der Firma ist, könnte sein Gehalt also 120.000 € nur überschreiten, wenn auch der Mindestlohn in der Firma entsprechend ansteigt.

Schaut man sich die Einkommensentwicklung der Jahre 1991 bis 2016 an, Abbildung 1, so sieht man, dass Deutschland 1991 dieser Bedingung recht nahe war. Die ersten 7 Jahre dieser Zeit war Helmut Kohl Kanzler, die nächsten 7 Jahre Gerhard Schröder und die letzten 11 Jahre regierte Angela Merkel. In der Zeit zwischen 1991 und 2016 ist der Quotient der Durchschnittseinkommen des oberen und unteren Dezils von 4,9 auf 7,3 geklettert. Dieser Quotient ist viel kleiner als der Ungerechtigkeitsfaktor, insbesondere weil die Einkommen im obersten Dezil weit auseinanderliegen. Der Anteil des unteren Dezils am Gesamteinkommen ist in diesem Zeitraum um 25 % gefallen. Dabei sind die Einkommen im unteren Dezil um 9 % gesunken, während sie im oberen Dezil um 26 % gestiegen sind.

Abbildung1: Durchschnittseinkommen der 10 Dezile zwischen 1991 und 2016. Untere blaue Linie ist das unterste Dezil, obere blaue Linie ist das oberste Dezil.

Hätte man 1991 allen Menschen im unteren und im oberen Dezil das Durchschnittseinkommen ihres Dezils gezahlt, so wäre der Ungerechtigkeitsfaktor nur 4,9 gewesen. Für das untere Dezil hätte man dies durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen erreichen können. Im oberen Dezil wären allerdings erhebliche Änderungen nötig gewesen, um alle Einkommen auf 42.000 € (oder auf 85.000 € um den Ungerechtigkeitsfaktor 10 nicht zu überschreiten) zu begrenzen; denn im oberen Dezil sind die Einkommensunterschiede erheblich. Aber sollte uns stören, dass es einige Menschen gibt, die mehr als das Hundertfache des Durchschnittseinkommens verdienen?

Solange diese zusätzliche Ungerechtigkeit nur im obersten Dezil besteht, solange sich das Durchschnittseinkommen im obersten Dezil nicht ändert, könnte es allen anderen Dezils doch egal sein, wie die Einkommen im obersten Dezil verteilt sind. Na ja, auch wenn es nur wenige Superreiche gibt, mag sich Neid und Missgunst bei uns einstellen, also so ganz egal ist es uns nicht. Also sollten wir “astronomische” Einkommen verhindern?

Es hätte viel besser werden können

Auf jeden Fall ist klar, dass wir dem von Felber genannten Ungerechtigkeitsfaktor 10 im Jahre 1991 recht nahe waren. Mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen und einer Begrenzung der Einkommen nach oben hätten wir es 1991 recht leicht erreichen können. Regierungen mit anderen Prioritäten (ich nenne sie die “Linken”) hätten zu ganz anderen Entwicklungen führen können.

In Abbildung 2 ist dargestellt, wie sich die Einkommen entwickelt hätten, wenn zum Beispiel der Einkommenszuwachs im obersten Dezil nicht 26 %, sondern nur 10 % gewesen wäre. Dieses Szenario wäre wohl durchsetzbar gewesen, da ja alle Dezile in absoluten Beträgen (aber nicht prozentual) etwa gleich viel dazugewonnen hätten. Das hierdurch im oberen Dezil eingesparte Geld habe ich auf die unteren Dezile verteilt und dabei das Gesamteinkommen für 2016 unverändert gelassen. Würden die unteren 10 % der Bevölkerung das Bedingungslose Grundeinkommen beanspruchen, so könnte dieses etwa 1250 € betragen.

So wäre von 1991 bis 2016 der Quotient der Durchschnittseinkommen des obersten und untersten Dezils von 4,9 auf 2,8 gesunken statt, auf 7,3 gestiegen.

Abbildung 2: Von 1991 bis 2016 10 % Wachstum im obersten Dezil, 25 % im untersten Dezil

Dieses Beispiel zeigt, dass ein Demokratischer Kapitalismus zu einem System führen kann, das als gerecht empfunden wird. Das kann auch in Zukunft noch geschehen, auch wenn wir jetzt von dem Ziel wesentlich weiter entfernt sind als wir es 1991 waren, aber dazu müssten wir eine “linke” Regierung wählen. Es ist verständlich, dass viele aus dem oberen Dezil versuchen, dem Rest der Bevölkerung Angst zu machen vor einer “linken” Regierung. Medien könnten dem entgegensteuern, indem sie dem Wähler die Zusammenhänge erklären und von sich aus herausfiltern, was wahr und was falsch ist.

Vermögens- und Generationengerechtigkeit

Die Einkommensungerechtigkeit (Gini-Index 29, 2017) ist allerdings wesentlich geringer als die Vermögensungerechtigkeit in Deutschland (Gini-Index 82, 2019, Gini-Index 100 bedeutet, dass alles Kapital in einer Hand liegt). Hier ein paar Veranschaulichungen der Vermögensungerechtigkeit:

Weltweit besitzen 0,001 % der Weltbevölkerung 30 % des Gesamtvermögens.

In Deutschland ist das durchschnittliche Vermögen innerhalb der obersten 1 % der Bevölkerung 1350 mal so groß wie das Durchschnittsvermögen der unteren Hälfte der Bevölkerung.

In Deutschland besitzt das oberste Prozent der Bevölkerung etwa gleich viel Vermögen wie die unteren 90 % und mehr als die Hälfte davon entfällt auf das oberste Promille.

In Deutschland besitzen die unteren 4 Dezile zusammen fast gar kein Vermögen. Im untersten Dezil haben die Menschen im Durchschnitt ein negatives Vermögen (Schulden).

Der Ungerechtigkeitsfaktor in Bezug auf Vermögen wäre unendlich (durch null teilen). Piketty erklärt in seinem Buch “Das Kapital im 21. Jahrhundert”, wie die großen Unterschiede im Vermögen entstehen und dass sie mit einer globalen Vermögenssteuer beschränkt werden sollten. Das würde die Ungerechtigkeit im obersten Dezil reduzieren würde aber nicht zu einem annehmbaren Ungerechtigkeitsfaktor für Vermögen führen. Um also in Bezug auf Vermögen auch unser Gerechtigkeitsverlangen zu befriedigen, bräuchten wir andere, für viele vielleicht radikal erscheinende, Veränderungen. Wir brauchen Vermögen für alle. Das kann durch ein bedingungsloses Grundvermögen erreicht werden, wie Piketty es in seinem Buch “Kapital und Ideologie” fordert: Im Alter von 25 Jahren werden jedem Bürger 120.000 € bedingungslos zur Verfügung gestellt. 

Damit hätte jeder (über 25 Jahre) ein Grundvermögen. Das würde auch die Generationengerechtigkeit und Bedarfsgerechtigkeit wesentlich verbessern; denn zurzeit haben junge Familien recht/zu wenig Geld, verglichen mit älteren Arbeitnehmern, obwohl gerade sie es dringend brauchen. Wir hätten damit eine Umverteilung von Alt nach Jung.

Man könnte befürchten, dass sich trotz der Zahlung der 120,000 € sehr schnell wieder maßlose Vermögensungerechtigkeit einstellen würde. Wenn man die Finanzdaten in Deutschland nach dem Krieg genau betrachtet, so kann man erkennen, dass das reichste Dezil seinen Anteil am Gesamtvermögen erst seit 1996 gesteigert hat, nachdem unter Kanzler Helmut Kohl die Vermögenssteuer (sie betrug 1 %) abgeschafft wurde. Das hatte dramatische Auswirkungen: denn 1996 besaß das reichste Dezil 41 % und jetzt besitzt es etwa 70 % des Gesamtvermögens aber nur 23 % des Einkommens. Daraus kann man wohl schließen, dass man Vermögensungerechtigkeit mit Hilfe einer Vermögenssteuer kontrollieren kann und dass es ein großer Fehler war, die Vermögenssteuer 1996 abzuschaffen. Piketty schlägt, wie oben erwähnt eine globale Vermögenssteuer vor, damit diese Steuer nicht zur Abwanderung führt.

Andere Möglichkeiten den wirtschaftlichen Rahmen so zu verändern, dass mehr Vermögensgerechtigkeit entsteht, sind die Erhöhung der Erbschaftssteuer und die Beteiligung der Arbeitskräfte am Kapital einer Firma. Mit diesen beiden Steuern muss vorsichtig umgegangen werden, um Unternehmern nicht die Motivation fürs Unternehmertum zu nehmen. Zurzeit zahlen Unternehmen typischerweise 36 % Steuern auf ihre Gewinne.

Spekulation ist eine gute Einnahmequelle für viele, trägt aber kaum zum Mehrwert bei und wird von vielen als ungerecht empfunden. Die Vermehrung von Kapital durch Spekulation könnte wesentlich durch die schon seit Jahren diskutierte EU-Finanztransaktionssteuer gebremst werden. Es ist leicht zu sehen, dass unser Demokratischer Kapitalismus die Möglichkeiten hat, eine soziale Marktwirtschaft zu schaffen.

Klimawandel erfordert neue Steuergesetze

Die oben beschriebenen Verfahren, mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen sind zwar sehr wichtig, aber jetzt ganz sicher nicht die dringlichsten Aufgaben, die erledigt werden müssen. In letzter Zeit, beschleunigt durch die Berichte des Club of Rome, durch Fridays for Future und viele andere Initiativen und durch wissenschaftliche Modellierung ist es uns klar geworden, dass die Zerstörung der Umwelt, die globale Erwärmung und Raubbau an unseren Ressourcen auch zu den negativen Effekten auf unsere Gesellschaft gehören, weil unser Wohlergehen von dem Wohlergehen unserer Umwelt abhängt. Das heißt, dass der Rahmen, in dem der Kapitalismus sich bewegen darf, jetzt zusätzlich sicherstellen muss, dass unsere Zukunft gesichert ist. Unser Ziel muss die Ökosoziale Marktwirtschaft sein.

Das vordringlichste aber nicht das einzige Problem, dass gelöst werden muss, um unseren ökologischen Fußabdruck auf die Größe unserer Erde – also auf 1 denn wir haben nur eine Erde – zu reduzieren besteht darin, das Verbrennen fossiler Brennstoffe durch alternative Energien zu ersetzen. Das wird besonders erschwert durch das noch zu erwartende Bevölkerungswachstum und durch die berechtigte Forderung aller Länder, die noch einen ökologischen Fußabdruck  unter 1 haben, auch so schnell wie möglich wenigstens den Wert 1 zu erreichen. Während die USA etwa fünfmal so viel verbrauchen, wie sie verbrauchen dürften, liegen die europäischen Staaten nahe an dem Faktor 3. Durch den viel zu hohen Verbrauch der hoch industrialisierten Länder liegt der Gesamtverbrauch der Menschheit jetzt bei 1,75 Erden. Schnelles Handeln ist dringend erforderlich.

Um die Marktwirtschaft aber zu einer Ökosozialen Marktwirtschaft zu machen, muss der Staat noch eine Reihe weiterer Regeln einführen, die dafür sorgen, dass unsere Gesellschaft unsere Umwelt nicht zerstört.

Ein Rahmen der Umweltschutz profitabel macht

Die Rahmenbedingungen können und müssen so gesetzt werden, dass sie Umweltverträglichkeit rentabel machen. Wenn die Parameter richtig gesetzt werden, muss es finanziellen Gewinn für jeden bedeuten, wenn weniger Ressourcen verbraucht werden, wenn die Umweltfreundlichkeit der Fertigung erhöht wird. Solche Anreize werden tatsächlich schon gegeben. Ein wesentlicher Schritt in dieser Richtung ist die Einführung einer CO2 Steuer, die so hoch sein muss, dass sie die Nutzung fossiler Brennstoffe unrentabel macht.

Auch die Entsorgung von Nebenprodukten kann genauso entsprechend besteuert werden, wie auch der Einkauf knapper oder giftiger Rohstoffe. Stattdessen kann auch über die Mehrwertsteuer geregelt werden, dass Produkte, die nicht umweltfreundlich sind, entsprechend höher besteuert werden. Auch Recycling kann steuerlich so begünstigt werden, dass sich Recycling lohnt. Um Zersiedelung und die damit verbundene Zerstörung von Natur, zu verhindern, sollte man dafür sorgen, dass es sich für alle Bürger lohnt, in Wohnungen, statt in Einzelhäusern zu wohnen. Das kann mit Bebauungsplänen durchgesetzt werden.

So entsteht ein starker Rahmen für den Kapitalismus, ein Rahmen, der wenig verbietet, es auch für Unternehmer lohnend macht, dem Gemeinwohl zu dienen, ein Rahmen, in dem unternehmerische Freiheit und Kreativität gebraucht und belohnt werden.

Demokratie stärken

Viele der oben vorgeschlagenen Maßnahmen auf dem Weg zu einer Ökosozialen Marktwirtschaft werden wohl von manchen konservativen Bürgern als zu radikal angesehen. Sie dienen aber alle dem Gemeinwohl und somit hat die Mehrheit ein Interesse daran, sie durchzusetzen. Wie schnell wir uns in dieser Richtung bewegen, wird durch solche finanzstarken Interessenverbände erheblich behindert, die an den alten Technologien und in dem existierenden Steuersystem gut verdienen und deshalb das System nicht ändern wollen.

Unsere Gesellschaften sind aber nur real-demokratisch – nicht demokratisch in dem Sinne, dass tatsächlich nur passiert, was die Mehrheit will. Es besteht ein Machtkampf, in dem viele finanzstarke Persönlichkeiten und Interessenverbände in unserer Gesellschaft versuchen, ihre Interessen durchzusetzen. Sie versuchen die Wähler zu manipulieren, indem sie verbreiten, dass es keine Alternativen zum jetzigen System gibt, dass riesige Managergehälter notwendig sind, dass der Reichtum der Superreichen mit Hilfe des “Trickle-down-Effekts” an alle weitergegeben wird, dass Umverteilung von Reichtum die Wirtschaft in den Ruin treibt. Die Einflussnahme kleiner Interessenverbände, die es schaffen mit Hilfe von Manipulation, uns Wähler von Falschem zu überzeugen, ist die größte, vielleicht sogar die einzige Hürde auf dem Weg von unserer Real-Demokratie hin zu einer Gesellschaft, in der umgesetzt wird, was die Mehrheit will.

Um die Manipulation der Gesellschaft durch Interessenverbände zu verhindern, spielen insbesondere die Medien (auch die Schulen) eine entscheidende Rolle. Die Medien müssen helfen, richtig zu informieren, klar zu machen, was richtig und was falsch ist. “Fake News” ist gefährlich für die Demokratie – Fake News müssen, so weit es geht, verdrängt werden. Die Wähler müssen in die Lage versetzt werden, faktenbasiert zu entscheiden, wen sie wählen. Faktenbasiert heißt, dass man das Wahlprogramm der Politiker kennen muss, sich überlegen muss, mit welchen der Ziele und vorgeschlagenen Maßnahmen man übereinstimmt und welche man für realistisch hält. Das erfordert Argumente und kritisches Denken. Fake News sind Gift in diesem Prozess der Meinungsfindung, sie sind Gift für die Demokratie.

Medien, Meinungsfindung, Wahrheit

Es ist möglich, die Wähler besser zu informieren, Fake News kenntlich zu machen, die ganze Gesellschaft mehr zu befähigen, kritisch zu denken, Politik und Wissenschaft näher zusammenzubringen und zu erkennen, dass der politische Gegner auch starke Argumente hat und auch das Adam Smith und Karl Marx beide Gerechtigkeit herbeiführen wollten. Dass also Kommunisten, Sozialisten und auch Anhänger des kapitalistischen Systems sich darauf einigen können, Gerechtigkeit anzustreben. Die Medien spielen auf dem Weg dahin eine Hauptrolle.

Wie das erreicht werden kann, habe ich schon an anderer Stelle geschrieben – und möchte es hier nochmal erläutern: Wir brauchen Qualitätsstandards für die Medien, wie wir sie für Konsumgüter schon lange haben. Wenn die Waschmaschine mit einem Gütesiegel versehen ist, dass sie als energieeffizient auszeichnet, wird sie besser verkauft und wenn Stiftung Warentest ein Waschmittel als “sehr gut” einstuft, wird es ebenfalls besser verkauft. Viele Menschen vertrauen Wikiwand. Was dort steht, ist mit großer Wahrscheinlichkeit auch richtig. Solche Labels brauchen und haben Vertrauen, sie verändern das Kaufverhalten erheblich.

Es muss uns Bürgern leichter gemacht werden, zu erkennen, welche Meinung, die irgendwo im Internet erscheint, richtig ist, welcher Meinung im Internet viel widersprochen wird und welche Meinung eindeutig falsch ist. Wir brauchen ein Gütesiegel für Meinungsäußerungen. Wikipedia, aber auch Facebook und Twitter zeigen, dass es machbar ist und hat es bei von Donald Trump geäußerten Meldungen schon durchgeführt. So wie Gütesiegel unser Kaufverhalten entscheidend beeinflussen, würden sie auch unser Wahlverhalten beeinflussen.

Es ist aber auch sehr viel Arbeit, denn die Anzahl der Meinungsäußerungen im Internet ist gewaltig. Zu einem großen Teil kann diese Arbeit von Supercomputern mit Hilfe künstlicher Intelligenz durchgeführt werden. Dabei kann jede Meinungsäußerung mit Quellen verglichen werden, die als zuverlässig gelten, wie Wikipedia und führende Zeitungen und Zeitschriften, wie in Deutschland der Spiegel, Die Zeit, taz und der Freitag – Quellen, die sich der wahrheitsgetreuen Darstellung verpflichtet fühlen.

Ein Wahrheitssiegel fürs Internet

Künstliche Intelligenz hat nur begrenzte Fähigkeiten, deshalb benötigen wir zusätzlich eine international besetzte Agentur, in die alle Regierungen interessierte Journalisten delegieren. Journalisten dieser Agentur könnten per Recherche besonders wichtige und viel beachtete Meinungsäußerungen überprüfen. Es würde ein “Wikipinion” – ein Wikipedia der Meinungen – geschaffen. Diese Agentur könnte der UN unterstehen und von den entsendenden Regierungen bezahlt werden. Dann könnte jede Meinungsäußerung mit einem “Wahrheitssiegel” versehen werden.

Klickt man auf dieses Siegel, erhält man eine Liste von Links, die die Meinungsäußerung unterstützen, ergänzen oder sie infrage stellen und ihr widersprechen. Ich vermute, dass es den Journalismus auf eine höhere Stufe stellen würde, dass es den Journalismus selbst versachlichen würde, dass es von Politikern in ihren Reden genutzt würde und es Querdenkern schwerer machen würde, große Bevölkerungskreise in ihren Bann zu ziehen.

Ein solches Wahrheitssiegel würde schnell das Vertrauen der meisten Internetnutzer gewinnen, wie es andere Gütesiegel auch geschafft haben. In Diskussionen unter Freunden und Bekannten würde es üblich werden, darauf hinzuweisen, dass diese spezielle Meinung auch im Internet als richtig gilt. Dadurch wären Autoren in den sozialen Medien außerdem dazu angehalten, sich mehr auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu beziehen und diese zu zitieren, um ihre eigene Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Es würde auch dazu führen, dass Politiker und Journalisten sich mehr auf wissenschaftliche Ergebnisse beziehen.

Fake News hätten es viel schwerer Gehör zu finden. Internetblasen würden dazu gebracht, sich selbst mehr zu hinterfragen, kritisches Denken würde geübt und mehr praktiziert. Politische Auseinandersetzungen würden weitgehend von Subjektivität und Emotionalität befreit. Insgesamt wäre die Bevölkerung demokratiefähiger, weil politische Diskussion mehr objektiviert würde.

Es ist klar, dass ein solches Wahrheitssiegel nicht alle Fake News vernichten kann, auch wird es nicht alle AFD Wähler davon abhalten der AFD auch bei der nächsten Wahl ihre Stimme zu geben, aber ein paar Prozentpunkte sind genug, um große Unterschiede zu machen. Vermutlich hätte ein solches System Donald Trump und den Brexit verhindert – vielleicht auch die Machtergreifung 1933. Aktuell würde ein Wahrheitssiegel dringend in der Klimadebatte und bei der Corona-Bekämpfung benötigt. Ein solches System würde vor allem die Bürger beeinflussen, die sich nicht sicher sind und deshalb auf das Wahrheitssiegel klicken, und das sind immer sehr viele.

Wenn wir den Weg von der Real-Demokratie zum Demokratischen Kapitalismus bis hin zur Ökosozialen Marktwirtschaft schaffen wollen, müssen wir lernen faktenbasiert zu entscheiden, müssen uns von Fake News befreien. Dann werden auch die, die heute schon aufgegeben haben, sich weiter zu engagieren, wieder den Mut finden, sich an der politischen Diskussion zu beteiligen und wir werden mehrheitlich entscheiden, dass die Umstellung auf alternative Energien beschleunigt wird, dass private Krankenversicherungen abgeschafft werden und dass eine Umverteilung von Vermögen durch Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer durchgeführt wird und das sowohl das Bedingungslose-Grundeinkommen als auch das bedingungslose Grundvermögen eingeführt werden. Dann hätten wir eine Ökosoziale Marktwirtschaft und einen Demokratischen Kapitalismus. Das wäre ein tragbarer Kompromiss zwischen Kommunismus und Kapitalismus.

 

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