Piratenpartei – Das Experiment kann beginnen
Piratenpartei – Das Experiment kann beginnen

Piratenpartei – Das Experiment kann beginnen

Ein Gastbeitrag von Friedhelm Greis

Die Piraten müssen ihre bundes- und landespolitischen Ambitionen vorerst begraben. Ein Comeback ist nicht ausgeschlossen, aber nach Ansicht von Parteiforschern „sehr, sehr schwer“.

Was im Unfragehoch vor anderthalb Jahren noch sehr unwahrscheinlich schien, ist mit dem 22. September 2013 Wirklichkeit geworden: Die Piratenpartei ist bei der Bundestagswahl und sämtlichen Landtagswahlen dieses Jahres bei den Wählern durchgefallen und muss sich vorerst von dem Gedanken verabschieden, als neue bundespolitische Kraft neben den etablierten sechs Parteien wahrgenommen zu werden. Das Politikmärchen, das mit dem Wahlerfolg in Berlin am 18. September 2011 begann, ist damit zu Ende. Ob sich die Piraten wieder neu aufstellen können und in vier Jahren mehr Erfolg haben, hängt davon ab, ob sie ihre strukturellen Probleme in den Griff bekommen.

Für den Absturz der Piraten in der Wählergunst sind viele Faktoren verantwortlich. Der wichtigste dürfte sein, dass es die Partei nicht geschafft hat, die Erwartungen der Bürger in eine neue Art von Politik zu erfüllen. Von dem frischen Wind in der Politik, den sich viele erhofft hatten, ist nichts mehr geblieben. Die internetaffine Kernwählerschaft der Piraten schätzen Politologen auf etwa 2,5 Prozent ein. Die übrigen fünf bis sechs Prozent, die bei den Landtagswahlen in Berlin, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und im Saarland erzielt wurden, stammten vor allem von Protest- oder früheren Nichtwählern. Dass diese Klientel nicht bei der Stange gehalten werden konnte, liegt im Konzept der Piratenpartei selbst begründet. Sie wirbt mit dem Charme des Dilettantischen, Direkten und Undisziplinierten. Doch genau das ist es, was viele Bürger nach einer ganzen Reihe von Skandalen und Skandälchen sowie der Querelen um Exvorstandsmitglied Johannes Ponader wieder hat auf Distanz gehen lassen. „Sehr viele in der Bevölkerung halten die Partei schlicht für einen Chaosclub“, sagt der Berliner Politikforscher Oskar Niedermayer zu Golem.de. Zudem sei der anfängliche Medienhype sehr rasch in eine negative Berichterstattung umgeschlagen. Gerade für eine kleinere Partei sei die Medienaufmerksamkeit jedoch sehr wichtig.

Sammelbecken für Politikferne

Auffallend bei den Piraten ist die Tatsache, dass sie viele politikferne Menschen angezogen hat. Die Aussage: „Ich wollte nie was mit Politik zu tun haben, bis ich die Piraten kennenlernte“, ist häufig von Parteimitgliedern zu hören. Politikroutiniers wie der Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg, die zuvor schon bei den Grünen Mitglied war, wird eher mit Skepsis begegnet und zunächst Karrierismus unterstellt. Typisch für die Partei ist daher das Kandidaten-Mikado: Wer zuerst seine Ambitionen erklärt, hat schon verloren.

Es geht dabei nicht darum, als Pirat die Regeln des durchaus kritikwürdigen Politikbetriebs abzulehnen. Gerade auf Bundesparteitagen ist bei vielen Teilnehmern häufig der Wille zu spüren, sich einem politischen Denken und Handeln komplett zu verweigern. Versammlungsleiter beklagen eine fehlende politische Bildung und aggressive Grundhaltung. Der Blick fürs Ganze ist nicht einmal für die eigene Partei gegeben. Dies ist umso gravierender, weil wegen des bewussten Verzichts auf ein Delegiertensystem jedem Piraten der immer noch mehr als 30.000 Piraten möglich ist, durch Geschäftsordnungsschlachten konstruktive Sitzungen zu verhindern. Die Partei sei nicht in der Lage, „Meinungsfreiheitsarschgeigen, Rechtsauslegern, Technokraten, Herrenrechtlern, Schreihälsen und Klugscheißern eine nachvollziehbare und verbindlich abgestimmte Mehrheitsposition um die Ohren zu hauen“, benannte die Piratin Katja Dathe das Problem vor einigen Monaten.

Neuanfang kann sehr schwer werden

Die Piraten erscheinen somit von außen wie ein Fußballverein, bei dem jedes Mitglied nicht nur über die Mannschaftsaufstellung entscheidet, sondern sich auch noch selbst ins Spiel einwechseln kann, um dann möglichst viele Eigentore zu schießen. Das wirkt auf den ersten Blick sympathisch und amüsant, doch auf die Dauer ist ein politischer Erfolg damit eher unwahrscheinlich. Auch im DFB-Pokal schlagen die Underdogs in den ersten Runden häufig die Profimannschaften. Ins Finale hat es bislang aber nur eine Amateurmannschaft je geschafft. Dieses strukturelle Defizit, die politische Macht der Unpolitischen, ist jedoch nur eines von vielen der Partei. Nach Ansicht von Niedermayer zählen dazu noch die vollkommene Ablehnung von Personalisierung, die Tatsache, dass Führungskräfte nicht führen, sondern nur verwalten sollen, sowie die unstrukturierte Art und Weise, wie inhaltliche Beschlüsse gefasst werden können.

Es ist allerdings gar nicht so einfach, diese Defizite abzustellen. „Die Partei darf nicht ihren Anspruch aufgeben, eine Politik 2.0 zu machen, sonst wird sie eine Partei wie jede andere“, sagte Niedermayer. „Sie muss also versuchen, dieses Alleinstellungsmerkmal zu behalten und sich gleichzeitig an die Gepflogenheiten der Mediendemokratie und der parlamentarischen Demokratie so weit anzupassen, dass sie mitspielen kann und nicht ausgegrenzt wird.“ Das sei „sehr, sehr schwer.“ Innovative Ansätze, wie die Einführung verbindlicher Onlineabstimmungen, scheiterten bislang an der fehlenden Mehrheit. Eine dezentrale Kandidatenkür wurde jüngst vom niedersächsischen Landeswahlausschuss für ungültig erklärt. Ein Delegiertensystem ist weiterhin nicht mit dem Selbstverständnis der Partei vereinbar. Die offene Kommunikation und die Lust am gegenseitigen Niedermachen sorgen weiterhin für reichlich Popcorn.

Wähler haben Experiment beendet

Für Niedermayer ist das Scheitern der Piraten im Bund und bei den Landtagswahlen zwar ein „Rückschlag, aber noch lange nicht das Ende“. Wobei sich an dieser Stelle auch die Grundsatzfrage stellt, ob sich die netzpolitische Bewegung mit der Gründung einer politischen Partei nicht das falsche Gefäß gesucht hat. Inzwischen mag es eine Hypothek für netzpolitische Themen sein, dass sie am lautesten von einer Partei vorgetragen werden, die in der Öffentlichkeit vor allem durch interne Querelen von sich reden macht. Allerdings hat der vorübergehende Erfolg der Piraten dafür gesorgt, dass auch die übrigen Parteien das Thema Internet prominenter ins Schaufenster stellen. Der Druck, sich inhaltlich breiter aufzustellen, hat jedoch das Thema Internet fast zur Nebensache werden lassen. In der NSA-Debatte glänzten die Piraten in ihren Statements nicht durch kompetente inhaltliche Analysen, sondern versuchten, die anderen Oppositionsparteien mit schrillem Alarmismus noch zu übertreffen. Für Niedermayer hätte ein Verzicht der Piraten auf eine Parteiorganisation den Vorteil, dass sie „befreit wären von Dingen, in denen sie jetzt drin sind“, sagt Niedermayer. Doch da es nun mal schon viele Funktionäre der Piraten gebe, die beispielsweise in den Ländern von ihren Mandaten lebten, sei es ganz schwierig, „das Rad zurückzudrehen“.

Die jetzige Entwicklung kommt für die Piraten alles andere als überraschend und war schon mit dem Berliner Erfolg erwartet worden. „Wir bieten zu 30 Prozent unsere Inhalte und zu 70 Prozent unser Verfahren an, unser Betriebssystem“, sagte die damalige Politische Geschäftsführerin Marina Weisband im Dezember 2011. Weil dieses Betriebssystem offensichtlich permanent abstürzt oder gar nicht erst bootet, bleiben genau diese 70 Prozent an Wählern inzwischen aus. Weisband war schon damals klar, dass es mit dem Höhenflug der Partei bald vorbei sein könnte: „Wir sind ein Experiment. Und wir machen dieses Experiment nicht. Die deutschen Wähler machen dieses Experiment.“ Die deutschen Wähler haben dieses Experiment mit dem heutigen Sonntag vorerst für beendet erklärt. Nun ist es an den Piraten selbst, neue Experimente mit digitaler Demokratie zu wagen und den Bürgern zu zeigen, wie politische Transparenz und Teilhabe im 21. Jahrhundert wirklich erfolgreich umgesetzt werden kann.

 

Kurzbiografie des Autors:

Friedhelm Greis ist seit Juni 2013 Redakteur für Netzpolitik bei Golem.de. Der gelernte Energieanlagenelektroniker studierte Elektrotechnik, Theologie, Spanisch, Philosophie und Journalistik in Trier, Mainz und Bolivien. Er arbeitete bei der Netzeitung, als Journalist und freier Autor in New York und Berlin und als Herausgeber und Redakteur bei der Nachrichtenagentur ddp/dapd. Er betreibt das Tucholsky-Blog Sudelblog.de und schreibt für die Wikipedia.

Nachtrag: Der Artikel ist zuerst bei Golem erschien. Wir danken der Golem Redaktion für die Übertragung der Abdruckrechte.

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