Ein Gastbeitrag von Wolfgang Dudda
Die sogenannte „Kennzeichnungspflicht“ für Polizeibeamte wird von der Polizei rundweg abgelehnt. Das liegt an der bisher dafür verwendeten Argumentation. Hier gilt einmal mehr der gute alte Satz: Der Empfänger bestimmt die Botschaft. Ins Feld geführt wird von den Befürwortern der Kennzeichnungspflicht der Anspruch, dass Polizisten, die körperliche Gewalt ausüben, identifizierbar sein müssen. Der von der Richtigkeit und Rechtmäßigkeit seines Handelns überzeugte Polizeibeamte versteht diesen Anspruch als Generalverdacht gegen sich und seine Kollegen. Er will wegen der Gewaltexzesse einzelner anderer Polizeibeamter nicht im Fahrwasser permanent unrechtmäßigen Handelns gesehen werden. Diese, seine Sichtweise wird vermutlich gerade von denen, die den Generalverdacht des Staates gegen seine Bürger im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung oder der Videoüberwachung nicht akzeptieren, gut verstanden. Mit einer anderen Begründung ist der Wunsch der Identifizierbarkeit von unmittelbarem Zwang ausübenden Polizisten auch von ihnen akzeptabel und übrigens auch rechtlich kaum widerlegbar.
Unmittelbarer Zwang (körperliche Gewalt, der Einsatz von Wasserwerfern, Pfefferspray, Schlagstöcken etc.) dient vom Rechtsgedanken her dazu, einen Verwaltungsakt durchzusetzen. Andere Verwaltungsakte wie Steuerbescheide, Bußgeldbescheide oder Baugenehmigungen enthalten den/die Namen des/der dafür Verantwortlichen und zusätzlich im Regelfall eine Rechtsbehelfsbelehrung, damit der Bürger ggf. das staatliche Handeln beklagen kann. Die Aufforderung der Polizei an Demonstrationsteilnehmer etwas zu unterlassen oder etwas zu tun (Sitzblockaden, Versammlungsauflösung etc.) ist ein mündlich bekannt gegebener Verwaltungsakt. Wer dem nicht nachkommt, wird mit Fristsetzung ultimativ dazu aufgefordert, der polizeilichen Aufforderung doch noch nachzukommen. Nach erfolglosem Fristablauf soll dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechend das Mittel zum Einsatz kommen, das das polizeiliche Gegenüber am wenigsten beeinträchtigt und dennoch den Verwaltungsakt durchsetzbar macht. Die Anordnungsbefugnis dazu ist dem polizeilich-hierarchischen Prinzip folgend dem Polizeiführer (Gesamtleiter des Einsatzes) und den Einsatzabschnittsleitern (Leiter der einzelnen Polizeieinheiten vor Ort) übertragen. Geregelt ist das in der Polizeidienstvorschrift 100, die dazu auch die interne Dokumentation zwingend vorschreibt.
Die Adressaten des Verwaltungsaktes als Demonstrationsteilnehmer erleben dies so, dass uniformierte Polizisten, deren Gesichter hinter Schutzhelmen verborgen sind, als „anonyme Masse“ das durchsetzen, was zuvor über eine Lautsprecherdurchsage als Verwaltungsakt formuliert worden war. Nachvollziehbar, anfechtbar und identifizierbar ist auch wegen der damit einher gehenden „Gefahr im Verzug“ nichts für die Demonstrationsteilnehmer. Damit entspricht dieses Geschehen ausgerechnet an der Stelle, an der es die Bürger im wahrsten Sinne des Wortes am empfindlichsten trifft, nicht den Normen eines Verwaltungsaktes. Rechtstheoretisch müsste dieser Verwaltungsakt also nichtig sein.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet müsste die Polizei eigentlich selbst ein großes Interesse daran haben, dass sie und ihre Maßnahmen rechtsstaatlich ein ausreichend sicheres Fundament haben. Schließlich wird so ein maßgeblicher Teil des von ihr unerwünschten Generalverdachts von vornherein beseitigt. Zudem erfordert die gesetzlich formulierte Erforschungspflicht aus der Strafprozessordnung außerdem, dass die Polizei bei Kenntnis vom Verdacht einer Straftatbegehung alles unternimmt, um den Sachverhalt aufzuklären. Und dazu gehört ja wohl auch, dass sie die Kollegen, die sich unverhältnismäßig verhalten oder gar vorsätzlich strafbare Handlungen begehen, identifizieren kann – einerlei, wie wenige oder viele das sind. Eine Polizei, die das weiß und trotzdem ihre Einsatzkräfte anonymisiert durch Schutzhelme und Uniformen einsetzt, kann auf diese Weise nicht konsequent rechtsstaatlich handeln.
Mein Abgeordnetenkollege Dirk Schatz aus dem Landtag von Nordrhein-Westfalen, der selbst Polizeibeamter ist, hat das bei einer Diskussion erfrischend schlicht auf den Punkt gebracht, als er dazu sagte:“Selbstverständlich bin ich für die Kennzeichnungspflicht. Wer von mir etwas auf die Fresse bekommt, soll auch wissen, wer das war.“ Auch wenn der Polizeieinsatz komplett rechtsstaatlich und verhältnismäßig abgelaufen ist, hat der Bürger selbstverständlich das Recht, zu wissen, wer ihm wehgetan hat.
Der Schutzanspruch der eingesetzten Polizisten gegen illegale Nachstellungen wegen ihrer Teilnahme an einem solchen Einsatz kann davon völlig unabhängig bedient werden, wenn diese Polizisten von Einsatz zu Einsatz randomisiert eine individuelle Kennzeichnung als leicht merkbaren alphanumerischen Code tragen. Die Auswertung von Videomaterial durch ggf. nach dem Einsatz ermittelnde Staatsanwaltschaften ginge dann anders als heute nicht regelmäßig ins Leere. Es wäre dann möglich, Polizeibeamte als Zeugen zu laden, die bis dato wegen ihrer Nichterkennbarkeit dazu nicht zur Verfügung stehen. Dies kann entlastend und natürlich auch belastend wirken für einzelne unter Verdacht geratene Polizeibeamte. Der hier und da leider immer noch praktizierte negative Korpsgeist unter Polizisten ist damit leichter zu durchbrechen als jetzt.
Im Krieg schießen Soldaten durch ihre Uniform anonymisiert auf einander. Im Rechtsstaat hat die Exekutive in der Auseinandersetzung mit den Bürgern anderen, höheren Ansprüchen zu genügen. Das Niveau der Erkennbarkeit bestimmen dabei nicht vermummte Demonstranten, weil diese sich lediglich nicht strafbar machen dürfen und in keinster Weise hoheitlich handeln. Die gerne als Pseudorechtfertigung benutzte Aussage „Die anderen sind ja auch nicht erkennbar.“ greift deshalb überhaupt nicht.
Demonstranten verantworten ihr eigenes Handeln. Polizisten verantworten das eigene Handeln und das des Staates, der sie einsetzt. Dieser Staat hat das Demonstrationsrecht als eines der wichtigsten Menschenrechte überhaupt in seiner Verfassung verankert. Will dieser Staat, dass dieses Menschenrecht als solches ernsthaft genutzt werden kann, muss er selbst dazu allen formellen Ansprüchen gerecht werden. Ohne die Erkennbarkeit polizeilicher Verantwortung organisiert der Staat das Demonstrationsrecht nicht ausreichend konsequent. Im Grundgesetz ist nicht die Rede von „ein wenig Demonstrationsrecht“. Dort heißt es: “Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“
Sich in diesem Sinne versammelnde Menschen müssen darauf vertrauen können, dass sie dabei rechtsstaatlich betrachtet nicht unterhalb des Niveaus eines Steuerbescheides von ihrem Staat behandelt werden. Derzeit können sie das nur in wenigen Bundesländern, weil sich Politiker weigern, als einzige „auf dem Markt“ befindliche Begründung den Generalverdacht einer „Hau-drauf-Polizei“ zu bedienen. Der eingesetzte Schlagstock braucht eine Visitenkarte, deren Layout und Druck Sache derer ist, die ihn benutzen lassen wollen. Es ist Sache der Politik, genau dafür zu sorgen. Wer hier untätig bleibt, verdient allergrößtes Misstrauen, weil er das Vertrauen der Menschen in ihre Polizei untergräbt und den Kern unseres Demonstrationsrechtes offensichtlich nicht erfasst hat.
Vor diesem Hintergrund ist die randomisierte, mittels leicht merkbarem alphanumerischen Code eingeführte Kennzeichnung von Polizisten auf Demonstrationen also nicht eine Frage des Generalverdachts gegen die Polizei. Sie dient der Nachvollziehbarkeit von Verantwortung, so wie es von jedem anderen anderen Verwaltungsakt erwartet wird. Damit wird ein Grundmaß an demokratischer Kultur bedient. Dem trägt übrigens bereits heute in meinem Bundesland (Schleswig-Holstein) die große Mehrheit der Polizisten Rechnung, weil sie im Alltagseinsatz freiwillig Namensschilder tragen. Was bei Ruhestörung oder Ladendiebstahl gilt, das soll bei der kollektiven Wahrnehmung von Grundrechten – und nichts anderes ist eine Demonstration ja – nicht gelten?